Riesenmaschine

22.09.2006 | 01:45 | Berlin | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Alles wird schlechter

Von Hasen und Sternen


Kaum vorstellbar: Furioses Ende eines pornographischen Kurzfilms (Foto: Trevor Blake / Lizenz)
Heute, wo die einen denken, man müsse schon für die theoretische Möglichkeit, Radio- und Fernsehprogramme zu empfangen, Gebühren bezahlen und andere, vielleicht aber sogar die gleichen Menschen der Meinung sind, ihre recht freie Auslegung des all das legitimierenden Begriffes Bildungsauftrag würde ihre Zuschauer auch nur in irgendeiner Weise bilden, da ist jede Alternative willkommen, die ihre Zielgruppe etwas genauer definiert als all die Hunderte von via Kabel, Antenne und DVB-T empfangbaren Fernsehsender mit ihrem inhomogenen Programmplan.

Zumindest für die Männerwelt, genauer gesagt deren Vertreter zwischen 14 und 49 Jahren, ist zu Beginn dieses Monats eine Alternative in sehbare Nähe gerückt worden: DMAX. Ein Sendername, der nur so vor Testosteron und Abenteuerlust strotzt, und ein Programm, das dem Mann nun erstmals 24 Stunden am Tag alles bieten möchte, was er sich wünschen kann und dabei liest wie das Worst of sämtlicher auf anderer Sender verheizten Infotainment-, Docutainment- und Pop-Science-Formate: Angeln, Autotuning, unglaubliche Riesenmaschinen, Schuldnerberatung, Waffen, Jagen, Häuserupgepimpe, schlechte Berufe, super Berufe. All das steht auf dem Stundenplan. Interessanterweise aber weder Erotik, Pornographie, noch was sich 14-Jährige unter beidem vorstellen. Nach der Befriedigung seiner sexueller Bedürfnisse wird man wohl also im wahren Leben suchen müssen.

Auf dem demnächst stattfindenden Cum2Cut Festival könnte man aber fündig werden, auch wenn bei diesem ganz in der D.I.Y Bewegung verwurzelten Wettbewerb das Mitmachen im Vordergrund steht: Pornographische Kurzfilme, innerhalb von 3 Tagen in Berlin gedreht, mit einem pinken Stern und einem Plastikhasen als Requisite und der manischen Dialogzeile "I'll fuck anything that moves!". Klassische pornographische Subgenre wie Comedy, Musical oder Splatter werden auf der Opening Party den Teilnehmern zugeteilt, die fertigen Filme schliesslich auf dem kooperierenden 1. Porn Filmfestival Berlin präsentiert, und gewinnen kann man selbstverständlich auch was. Volljährigkeit dürfte für die Teilnahme aber Voraussetzung sein; die 14-17-Jährigen gucken also weiter in die Röhre – vermutlich Sportkanäle.

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


21.08.2006 | 01:38 | Alles wird besser

In Cogito


"Komm mir nicht mit Urlaub!
Die Ausrede höre ich tausend Mal am Tag."
(Foto: racatumba)
Die Zeiten, in denen man durch vermeintlich unpassendes Betragen beim Sicherheitspersonal von Flughäfen den Eindruck erweckte, man führe Finsteres im Schilde, folglich stundenlange Verhöre über sich ergehen lassen musste und mit bis zu den Knien herabgelassener Hose seinen Flug verpasste, dürften, wenn es nach einigen israelischen Wissenschaftlern ginge, bald der Vergangenheit angehören. Der Grenzbeamte der Zukunft hört auf den Namen Cogito und wird als Speerspitze im Kampf gegen Terroristen für die Präselektion am Security-Checkpoint zuständig sein, also entscheiden, wen die humanoiden Kollegen genauer in Augenschein nehmen müssen und wer die Hosen an behält. Menschen mit "feindlichen Absichten" will Cogito überführen, indem er den Verdächtigen – also allen Fluggästen – an Nationalität und Reiseziele angepasste, allerdings noch streng geheime Fragen stellt und dabei die Veränderung biometrischer Daten erfasst. Unbescholtene Bürger dürfen aber beruhigt sein, denn weder auf einfache Lügen noch auf Nervosität reagiert Cogito, sondern nur auf die Angst, entdeckt zu werden.

Aber auch, wenn Cogitos Fragenkatalog noch geheim ist, darf man jetzt schon davon ausgehen, dass die Frage nach dem Lieblingslied nicht gestellt werden wird. Denn die über 200 Jahre alte und oft zitierte Behauptung, Bösewichte interessierten sich gar nicht für Musik, wurde schon zu oft widerlegt.

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


14.08.2006 | 01:18 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen kaufen

Tod ohne Himmel


Puttin' the "fun" back in "funeral"
Eine klare Vorstellung davon, was im Todesfall mit unseren sterblichen Überresten geschehen soll, gibt es nicht. Allerdings arbeiten hier die Fachleute, anders als beim Thema der Unsterblichen Seele, laufend an neuen Optionen und Verbesserungen. Die Rolle eines Katalysators für Innovationsprozesse im Bestattungsgewerbe scheint dabei Nordrhein-Westfalen einzunehmen, in dessen Grenzen einem das bundesweit breiteste Angebot für die Zeit nach dem Lebensabend offeriert wird. Wer z.B. während der Fussball-WM zu sterben gedachte, konnte sich dank eines Düsseldorfer Bestattungsunternehmens in einer Fussball-Urne zur letzten Ruhe betten lassen. Auch so genannte Streuwiesen gab es in NRW schon lange, bevor man anderenorts auch nur davon zu träumen wagte, nach einer feurigen, vielleicht sogar mit Filmzitaten gespickten Rede, Grossvaters Asche den verhassten drittgradigen Verwandten ins Gesicht zu schleudern.

Vor kurzem schliesslich eröffnete in Düsseldorf der erste Indoor-Friedhof Deutschlands – mit tiefer Decke statt hohem blauen Himmel. Die offizielle Erklärung, im entsprechenden Stadtteil gäbe es keinen konventionellen Friedhof, wohl aber genug leer stehende Kellerräume, mit deren Nutzung man dem Outsourcen von Leichen in andere Bezirke ein Ende setzen könne, scheint vorgeschoben: Denn Tote sind eigentlich vom Aussterben bedroht! Unzählige Plätze auf Friedhöfen stehen frei und die Wirtschaft leidet. Welche Möglichkeit hätte man also, die überflüssige, leere und somit Kosten verursachende Friedhofsfläche lukrativ zu nutzen? Die Zahl der Toten aktiv zu erhöhen wäre unter ethischen Gesichtspunkten nur schwer legitimierbar, und eine Nutzung durch Dienstleistungsunternehmen oder Ähnliches würde die Totenruhe stören. Vermutlich also genau deshalb jetzt alles indoor, mit schalldämmender Doppelverglasung und dicken Wänden. Die Toten nach drinnen in selige Ruhe und auf die Friedhofswiesen dann... hoffentlich keine Wohnräume. Denn Wohnen auf Friedhöfen, das hat sich nicht bewährt.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Urnenwahl

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


10.08.2006 | 03:34 | Anderswo

Gewalt und Entspannung


Prügelknabe
(Foto: Noah Slater
/ Lizenz)
Der Musikpädagoge Karl Hörmann, so hört man, hat im Bereich der Tanzpsychologie und Musikpädagogik nicht Unwesentliches geleistet – auch wenn die wirklich erstaunliche Erkenntnis, dass Tanzen nicht gleich Ficken ist, aus einem Reisebericht für Homosexuelle stammt. In seinem 2004 erschienenen Buch erklärt Hörmann zum Beispiel, dass Musikgenuss faszinierende Auswirkungen wie Halluzinationen und Narkose haben kann, vorausgesetzt, die Musik beinhaltet "über weite Klanglandschaften gespannte Bögen". Eine Wunderdroge wäre die Musik, hätte dieses scheinbar omnipotente Add-On zur Polytoxikomanie nicht auch ein anderes, düsteres Gesicht: Denn auch der Stress, die Geissel der sozialen Ordnung und der Arbeitswelt, treibt sein destruktives Spiel in Form atonaler Klangfolgen.

Um der zersetzenden Kraft des Stresses Einhalt zu gebieten, hat nun ein findiger Chinese versucht, eine Bar um eine neue Dimension, nämlich die körperliche Züchtigung der Kellnerschaft als Ventil für aufgestaute Aggressionen, zu erweitern. Dies wohl ohne grosse Zukunft, denn die örtlichen Behörden argumentieren streng nach den Gesetzen der Logik: Von Stressabbau war bei Lizenzerwerb nämlich keine Rede, nur von Tanzlokal. Da Tanzen aber nicht gleich Ficken ist, und Stressabbau aus staatlicher Sicht auch kein Tanzen, muss folglich Stressabbau gleich Ficken sein, das Ganze also ein Ficklokal und somit von den Stadtvätern dieser Welt sowieso und keinesfalls erlaubbar. Sicher ist allerdings eines: Mit Tanzpsychologen statt verprügelbaren Kellnern hätte der Wirt argumentativ die Oberhand gehabt.

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


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