Riesenmaschine

01.10.2005 | 15:16 | Anderswo | Supertiere | Zeichen und Wunder

Kunsthasen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Hasen haben es im Kunstbetrieb leichter als, sagen wir mal, Spulwürmer. Albrecht Dürer erkannte bereits 1502 deren gut verkäufliche Mischung aus Flauschigkeit und Symbolhaftigkeit (Rammeln und Wiedergeburt), sein Feldhase hängt in der Wiener Albertina, dramatisch und effektvoll beleuchtet, ist aber nur eine Kopie, das Original ist wegen Lichtempfindlichkeit im dusteren Keller verstaut, wenn er nicht gerade illegal vom zwielichtigen Albertinadirektor Schröder an den Prado verliehen wird, wo er in vollkommener Finsternis hängt, was eigentlich auch schon wieder egal ist.
Joseph Beuys teerte und federte am 26. November 1965 sein Gesicht mit Honig und Gold, hielt einen toten Hasen im Arm und erklärte ihm die Bilder einer Ausstellung, weil er die Menschen, die drei Stunden draussen vor den verschlossenen Ausstellungstüren warten mussten, für langsamer bei "Gehirnkapriolen" hielt als selbst einen Hasenkadaver, womit er nicht ganz unrecht hat.
Das Wiener Künstlerkollektiv Gelitin hat nun einen von einem Dutzend Omis gestrickten klopapierrosa Riesenhasen auf einem italienischen Berg abgeladen, und er sieht aus, als sei er aus dem All geplumpst. 20 Jahre soll er dort liegen bleiben. Die Gelitinbuben hatten hier aber eher nicht das Wiedergeburtssymbol oder die schnelle Auffassungsgabe des Nagers im Sinn, sondern die Friedlichkeit des auf dem Bürgersteig verlorenen Spielzeugs oder das Strassenränder säumende unschuldige Aas. So ist auch seine Flanke aufgeplatzt, aus der allerlei wollenes Gedärm quillt, in das man sich kuscheln kann wie eine Made. Und sind wir nicht letztlich alle Maden aus dem All?

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


Kommentar #1 von Robert Rentokil:

Das soll 20 Jahre dort liegen bleiben, das finde ich im Diter Rothschen Sinne interessant (schweizisländischer Verrottungskünstler), weil die ganze Wolle und die Strohfüllung ja bereits nach kürzester Zeit und Nässeeinwirkung zu stinken, schimmeln, faulen und zusammensacken beginnen wird, Kinder werden weinen und traumatisiert, wenn ihre Eltern sie zu der regionalen Sehenswürdigkeit auf den Berg schleppen.

02.10.2005 | 00:03

Kommentar #2 von Einar Shyssir:

Wolfgang Müller: Von Dieter Roth ist seine ausufernde Gartenskulptur zu sehen. Mir kommt seine Position manchmal fast wie ein Gegenbild zu der von Beuys vor. Roth lebt und schöpft sein Werk aus seinem Scheitern. Er scheint nicht an die Autonomie der Kunst, an Utopien, eine verheissungsvolle Zukunft und den guten Menschen zu glauben – gestaltet das alles aber um so eigenartiger, um nicht zu sagen «autonom». Ist er vielleicht näher dran an der Wirklichkeit?
Eugen Blume (Flick Collection Kurator): Was Beuys und Dieter Roth am ehesten vereint, ist ihr Humor. Natürlich war und ist diese messianische Seite von Beuys, die Sie hier ansprechen, für einen Charakter wie Roth schwer auszuhalten. Sieht man aber genauer hin, hat Beuys in seiner plastischen Theorie genau das immer wieder erklärt, was Roth auch als Künstler praktisch versucht hat: Nämlich aus dem Chaotischen zur Form zu kommen, unabhängig welches Material gewählt wird.
Die «Soloszenen» von Roth in der Ausstellung schildern besonders eindrucksvoll, wie der Künstler mit sich als Material ringt, auch unter der Dusche und im Bett. Denken Sie sich dazu Beuys radikale Forderung Lebenslauf = Werklauf. Die eine Seite ist unsere Wirklichkeit, die andere Seite sind die immateriellen Dinge, die Ideen, die Beuys als Wirklichkeit definiert hat und die sich bei Roth etwa in der an sich absurden «Gartenskulptur», in dieser Sperrmüll-Arche Noah aufhalten.

03.10.2005 | 03:56

Kommentar #3 von chriZ:

Eugen Blume? Der Mann prägt wahrhaft geniale Sätze! Gern unter dem Motto: Wer A sagt muss auch B sagen, wobei B wahlweise das Gegenteil von A oder das gleiche wie A sein darf:
Blume: "Als wir die Kisten auspackten und die Kunst zum Vorschein kam, rückte alles weit weg und irgendwie auch viel näher."
"Das Konkrete/Unkonkrete der Kunst ist offenbar der Wahrheit viel näher, als die Halbwahrheiten und Heucheleien vieler Ideologen."
"Ich habe nichts gegen intelligente Aktionen, nur müssen sie intelligent sein"
Blume Ende.
Ich finde Zitate toll, nur im Zusammenhang sollten sie stehen:
http://www.netzeitung.de/voiceofgermany/330912.html
Denn sonst ist sowas schwer zu verstehen :
"Braun gleich Nazi, Hase gleich germanisches Symbol"
(was ja zum Kunstwerk noch viel schöner passt)
oder:
"Was allerdings fehlte, war die konsequente Folgerung, dass die von Beuys mitgegründeten Grünen im Grunde eine verkappte Blut- und Bodenpartei sind."

03.10.2005 | 15:45

Kommentar #4 von Einar Schyssir:

Ja, stimmt, dass die Zitatherkunft deklariert werden sollte, aber ich war gestern zu muede. Danke für den Nachtrag, auch wenn sich Ihre Quelle nicht anklicken lässt

03.10.2005 | 16:55

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