Riesenmaschine

08.02.2006 | 12:36 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

Unterschicht von oben

Spätestens seit Yann Arthus-Bertrand ist Hubschrauberfotografie eine eigene ästhetische Fotogattung. Doch während Arthus-Bertrand auf die Veränderung der Welt und ihrer Schönheit fokussiert ist, verfolgen andere einen eher dokumentativen Ansatz, zum Beispiel ein mexikanischer Hubschrauberpilot, der seinen Arbeitsalltag über Mexico City fotografisch festhält. Ein wenig unbedarft und vermutlich unabsichtlich taucht er dabei mitten die Missstände des grössten Stadtmolochs der Welt mit über 20 Millionen Einwohnern, wobei, wie man an manchen Slumfotografien sieht, Einwohner mit wohnen nicht viel zu tun hat. Ein auf dem Dachfirst stehender Selbstmörder ist ebenso auf den Fotos zu sehen wie ein riesiger Pulk von Fake-Taxis, also Taxis ohne Lizenz oder eine gigantische brennende Müllkippe samt Müllfischern.


Architekten-Hospitalismus (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)


Ziemlich viel mit Wohnen zu tun hat diese Fotografie (Link über BLDGblog und Archinect). Es handelt sich um ein riesiges Hausbauprojekt für Finanzschwächlinge und deren Familien. Der Hang des Amerikaners zum Einfamilienhaus ist ebenso berücksichtigt wie der Wunsch zum farbenfrohen Haus mit Vorgärtchen, weil viele Lateinamerikaner durch das ständige Telenovelasehen unfassbar spiessig geworden sind. Bunte Häuser für Arme, es ist ja nicht alles schlecht in diesen Schwellenländern, der 1,8ten bis 2,9ten Welt, wie sich aus meinem Vierzimmerstuckaltbau mit W-LAN und Putzfrau leicht behaupten lässt. Der kleine Preis, den die Bewohner dort bezahlen, ist eben die vollständige Aufgabe der Wohnindividualität und der Verlust eines Gutteils der Kinder im verirrfähigen Alter. Dafür klingeln regelmässig neue Menschen an der Tür, und wer von uns würde nicht sein Rosenholzparkett eintauschen gegen ein regelmässiges Sozialleben.


Kommentar #1 von einem, der sich mit Architektur nicht auskennt:

Mich beschäftigt beim Betrachten die Frage, was das da oben auf den Dächern ist. Für einen Schornstein ist es zu gross, für ein Sonnendach zu eingezäunt. Für eine Trutzburg fehlen die Schiessscharten. Es scheint auch halb so gross zu funktionieren, wie die halben Häuschen an den Rändern demonstrieren. Regenwasserauffangbehälter?
Und, "Vierzimmerstuckaltbau", bist Du schon umgezogen, oder zählen Küche und Kloschlauch mit?

08.02.2006 | 15:35

Kommentar #2 von 500beine:

vermute mal, da würd ich (endlich)
bekloppt werden.

08.02.2006 | 15:54

Kommentar #3 von didi:

nein, das funktioniert nicht halb so gross, aber irgendwo musste man eben einen Lebensqualitätgrünstreifen durchziehen, wen kümmern da die paar Häuserhälften die dem weichen mussten.
Diese Aufbauten scheinen entweder kreativ angelegte Bunker oder doch diese neuartigen interstellaren Fluchtkapseln von, ich glaube tetrapack, zu sein.

08.02.2006 | 16:48

Kommentar #4 von kosmar:

das bild hat ich heut schonmal unter den augen. bei flickr. bei dem tag lego. also http://flickr.com/photos/tags/lego . da so. warum auch nicht.

09.02.2006 | 00:35

Kommentar #5 von klugscheisser:

also
1. nennt man solche bilder dann auch: computeranimierte fotos ohne animation und
2. ist tokyo der grösste moloch der welt und das schon seit einigen jahren.

09.02.2006 | 10:07

Kommentar #6 von grienhans:

Ja furchtbar, diese Massengesellschaft. Als ob die absolut fantasielosen Mietskasernen von Gründerzeit und Jahrhundertwende in Berlin irgendwie individueller wären. Dass die Bewohner zur "vollständigen Aufgabe der Wohnindividualität" gezwungen sein sollen, weil sie in typisierten Häusern leben, ist ein ebenso stereotypes wie beliebtes Missverständnis angesichts von Luftaufnahmen von Wohnsiedlungen. Die Häuschen da scheinen mir aber im Gegenteil prinzipiell ein wesentlich freieres Wohnen zu gestatten als etwa die "Hundertwasserhäuser" mit ihrer vorgestanzten Pseudoindividualität oder pittoreske Wellblechhütten, die immerhin schön vielgestaltig aussehen. Aber wahrscheinlich sind die Bewohner genauso spiessig wie überall sonst, was aber nicht unbedingt nur an den Häusern liegen muss. Rechts in der Ecke ist übrigens der Eingang zur Herbertstrasse und die seltsamen Aufbauten sind wahrscheinlich Trockenböden: Sie haben kein Dach, weil es in Mexico niemals regnet, die Spiesser aber ihre Wäsche vor den spiessigen Nachbarn verbergen wollen, oder auch mal unbeobachtet unter freiem Himmel hrm den Himmel beobachten möchten.

09.02.2006 | 12:01

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