Riesenmaschine

29.03.2006 | 18:26 | Berlin | Alles wird schlechter

Der Kapitalismus macht alles kaputt


Kapitalistischer Realismus in märkischem Sand (Ausriss Berliner Zeitung) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Umgestaltung von Berlins Mitte, einst stolzes und stilsicher eingerichtetes Wohnzimmer der DDR, schreitet mit grossen Schritten voran: Nachdem der Palast der Republik nun endgültig abgerissen wird zugunsten von garnichts, der liebenswürdige Kaufhof am Alex mit seiner Eierkartonfassade mittels massiver Sandsteinisierung jedem mittelstädtischen Einkaufscenter gleichgemacht wurde, enthüllte die verantwortliche Investorengruppe nun die Pläne für das in unmittelbarer Nähe entstehende Einkaufszentrum Alexa, die so unvorstellbar deprimierend sind, dass man nur noch weinen möchte. Natürlich handelt es sich beim Grundraster abermals um die vertikalen Albert-Speer-light-Portiken mit einheitlicher Traufhöhe in Sandstein. Davor geklatscht aber finden sich Deko-Elemente wie Rundbögen und Mosaike in sogenanntem "Art-Deco-Stil", die an die "Goldenen Zwanziger" erinnern sollen, "als Berlin zur europäischen Kulturmetropole aufstieg", dabei in Wahrheit aber eher an die typische Messing-und-Rauchglas-Wohnzimmereinrichtung von Möbel Hübner erinnern, die ihrerseits wohl als bastardisiertes Art Deco durchgehen kann.

Weil derart monströs-missratener Eklektizismus aber nicht einfach so für sich stehen kann, sondern einen Bezugspunkt ausserhalb braucht, ist davor ein ragendes, postmodernes Etwas in einer Art Memphis-Design eingeplant, das erkennbar keiner anderen Funktion dient, als die unmittelbar vis-à-vis befindliche Weltzeituhr zu verhöhnen. Das ganze findet ja nicht irgendwo draussen auf der grünen Wiese statt, sondern in unmittelbarer Nachbarschaft des vom Bauhausschüler Hermann Henselmann im fortschrittsoptimistischen international style der DDR-Nachkriegsmoderne gestalteten Ensembles aus Kongresshalle und Haus des Lehrers. Zum Glück wird Henselmann dieser Anblick erspart bleiben – er starb 1995.

Über die geplante Innenarchitektur wissen wir noch nicht viel, ausser dass dort – Erbarmen! – "Themen wie Musik, Tanz und Licht" aufgenommen werden sollen und der üblichen Einheitsmix an Läden dort einziehen wird. Damit sich der Kapitalismus endgültig auch in Berlin so anfühlt wie in Hannover und Bielefeld, und ja nichts mehr daran erinnert, dass es hier mal eine Alternative gab. Damit Deutschland endlich überall gleich aussieht, wie es Henry Morgenthau vorgeschlagen hatte – nur eben in kleinbürgerlich-kapitalistisch. Damit ein für allemal klar ist, dass es kein Entkommen gibt aus der ganzen Scheisse. Augen zu und durch.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Public Private Prostitution


Kommentar #1 von Hansen:

Es sieht tatsächlich zum Kotzen aus, besonders der Köcher im Vordergrund lässt einen zweifeln, ob Investoren, Politiker, Architekten noch alle Pfeile in dem selben haben.

29.03.2006 | 19:05

Kommentar #2 von Spork:

Eine kongeniale Widerspiegelung der Gesellschaftsstruktur, jede Zeit hat ihre Werke.

29.03.2006 | 19:19

Kommentar #3 von ronzo der schmied:

Für mich sah das Bild erstmal aus wie eine DDR Zukunftsvision aus den 60ern, insofern wärs doch echt passend... ich freu mich drauf!

29.03.2006 | 22:25

Kommentar #4 von ruebe:

ja, sieht aus wie eine leicht modernisierte version des palasts, honecker würds gefallen

29.03.2006 | 23:07

Kommentar #5 von Keule:

Und garniert wird das ganze mit einer krampfig auf Russischen Konstruktivismus getrimmter Wandmalerei. Allerliebst. So wird zusammengematscht was nie hätte zusammenkommen dürfen.

30.03.2006 | 01:31

Kommentar #6 von irgendwem:

Sieht aus wie der dreizehnte Platz eines Architekturwettbewerbs für die Neugestaltung des Kulturhauses einer rumänischen Kleinstadt von 1982.

30.03.2006 | 12:00

Kommentar #7 von Christoph:

Naja, hömma, der Kaufhof am Alex sah GRAUENHAFT aus – und passt sich jetzt gut an das Berolinahaus etc an. Das ist wirklich ein Fortschritt in Sachen Rettung des hässlichsten Berliner Platzes!

30.03.2006 | 16:40

Kommentar #8 von irgendwem:

Zu Kommntar #6: Habe ich exakt so empfunden. Und zur Einweihung kommt Patrick Swayze stilecht mit Slippern, schmaler Lederkrawatte, weissen Socken und Schulterpolster inkl. Bombastfrisur.
Herr Schäuble, HIER sollte die Bundeswehr eingreifen! Baustelle einnehmen, stillegen und Investoren wegen Bau-Terrorismus anklagen.

31.03.2006 | 09:31

Kommentar #9 von didi:

wie keck der Chopstick-Köcher ausserhalb des Mittelpunktes des grösseren Kreies am Vorhof dieser postkommunistischen russischen Enklave platziert wurde. Alle Achtung, die traun sich was!

01.04.2006 | 20:48

Kommentar #10 von hui:

Bielefeld hat nichts, was man irgendwie fühlen könnte

04.04.2006 | 15:38

Kommentar #11 von Britschnitte:

"... der liebenswürdige Kaufhof am Alex mit seiner Eierkartonfassade mittels massiver Sandsteinisierung jedem mittelstädtischen Einkaufscenter gleichgemacht wurde"
Also der Kaufhof und liebenswürdig? Gleichmachung? Der neue Kaufhof sieht von aussen elegant minimalistisch aus, innen elegant und klar. Das Teil ist echt gelungen und hat viel dazu beigetragen die Alexwüste aufzuwerten.
Wie das Alexa aussieht wid sich herausstellen. Es scheint aber so als ob es so ähnlich würde wie das vielgepriessene Schloss in Steglitz, was an Kitsch und Plunder kaum noch zu überbieten ist.

15.08.2006 | 16:21

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