Riesenmaschine

27.04.2006 | 23:39 | Was fehlt

3000 Zimmer


Ersatzbild für dieses vermutlich nicht rechtefreie Bild
Hotel Post ist der beliebteste Herbergsname im deutschen Sprachraum. Google hat 191 Millionen Einträge zu diesem Namen, was hypothetisch bedeutet, dass sich jeder Deutsche in etwas mehr als zwei Posthotelbetten gleichzeitig breitmachen könnte, und auch für Österreicher, Südtiroler, Schweizer und Wolgadeutsche noch reichlich Platz wäre, wenn jedes Hotel auch nur ein einziges Bett hätte. Das grösste Hotel der Welt hingegen steht in Pjöngjang/Nord Korea. Allerdings ist es in keinem Stadtplan eingezeichnet und kein Fremdenführer kennt es, wenn man nach ihm fragt. Dabei hebt es sich für jeden gut sichtbar von der Silhouette der Stadt ab. Das ist so, als ob man einen Elefanten in einer Ecke seines Zimmers stehen hätte, und ihn einfach ignorieren würde. (Vielleicht tarnt Nordkorea sein Superhotel aber auch mit einem Problem-Anderer-Leute-Feld.)

So war das nicht immer, denn als das Ryugyong Hotel noch gar nicht existierte, gab es bereits Briefmarken, die es abbildeten, und in die Stadtpläne hatte man es auch schon aufgenommen. Es sollte das höchste Gebäude der Welt werden, bis 1992 jählings alle Bautätigkeiten eingestellt wurden, keiner weiss warum, vermutlich sah man ein, dass das Haus sowieso nie richtig ausgelastet werden würde – bei 3000 Zimmern für die paar tausend Touristen, die das Land pro Jahr besuchen dürfen. Nun scheint aber nicht nur Pjöngjang unter einer Hotelkrise zu leiden, sondern auch Berlin, wo Luxuszimmer im von Karl Lagerfeld ausgestatteten Schlosshotel Vier Jahreszeiten längst beim Lebensmitteldiskounter Plus ("Prima Leben und Sparen") verramscht werden.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Im Dutzend surrealer


Kommentar #1 von Gevatter Józef:

Dieses Hotel da ist ein Prachtstück des "gelebten" Stalinismus. Grossartig. Dass es sowas noch gibt, mir kommen Tränen der Rührung und Nostalgie.

27.04.2006 | 23:47

Kommentar #2 von TR:

Das brutalste und erschüttend und verzweifelt Symbolhafte an dem Bauwerk ist ja, man bekommt diese unfassbare Dimension ein bisschen wenigstens mit, wenn man auf den Elefantenklick geht, dass da oben noch ein einsamer Kran steht, entweder waren die verhungerten koreanischen Bauarbeiter zu schwach den abzumontieren, oder eher noch, er soll der leidenden Bevölkerung Koreas zeigen, dass es noch weitergeht, dass man noch weiterbaut, und jederzeit weiterbauen könnte, was für ein groteskes Monument der sichtbaren Lüge, Bosartigkeit und Schmerzen. Ich würde sofort eine militärische Aktion gegen Nord Korea befürworten, sofort, Widerstand gäbs sowieso keine, bei DER geschwächten Armee, wenn die USA und seine hündischen südkoreanischen Vasallen nicht panische Angst hätten vor den Horden hungriger, ungebildeter, unterernährter, kleinwüchsiger, kranker Zombies aus dem Norden, die das Land destablisieren und auffressen könnten, es ist so erschütternd, sie werden alle verhungern. Mir kommen die Tränen, aber nicht wie der Zynikerbastard aus Kommentar Nr 1 vor Rührung und Nostalgie, sondern vor Wut

28.04.2006 | 00:39

Kommentar #3 von Gevatter Józef:

Zynikerbastard? Das ist Stalinismus, die Optimierung von Zynismus! Der Stalinismus ist allem überlegen.

28.04.2006 | 01:21

Kommentar #4 von dogbert:

Das Raetsel um den "einsame Kran" laesst sich meiner Meinung recht einfach loesen: Ich tippe mal darauf, dass es sich dabei nicht um ein Ueberbleibsel der Bauarbeiten handelt, sondern er einfach dazu dient, die Kabine fuer die Fensterputzer an der Fassade herunterzulassen. Tja, TR, vielleicht doch gar nicht so "brutal" und "erschuetternd", es sei natuerlich, man hat etwas gegen saubere Fensterscheiben.

28.04.2006 | 04:23

Kommentar #5 von CYS:

Nein, dogbert, denn das Hotel hat meines Wissens noch gar keine Scheiben, die man putzen könnte. Aber was RM-Kollege TR in Kommentar #2 schreibt, ist natürlich trotzdem Unsinn. Eine akute Hungersnot gibt es nach Angaben westlicher Hilfsorganisationen (die in Nordkorea arbeiten) momentan nicht, auch wenn sie für die Zukunft nicht auszuschliessen ist. Und dass die nordkoreanische Armee sich bei einem Angriff nicht erbittert wehren würde, glaubt wahrscheinlich nur TR. Ganz sicher werden auch nicht "alle verhungern", insbesondere nicht das viel besser versorgte Militär. Eine viel wahrscheinlicheres Szenario ist, dass Nordkorea über kurz oder lang den Weg Chinas beschreiten wird. Im Land existieren bereits vier Sonderwirtschaftszonen, wobei in Kaesong (an der Grenze zu Südkorea) schon eifrig produziert wird: Ganz kapitalistisch, von südkoreanischen Unternehmen. Wer weiss, vielleicht trägt sogar Tex bereits eine Hose, auf der 'Made in Southkorea' steht, die aber tatsächlich aus dem Norden stammt? Ich hoffe, er vergiesst dann beim Tragen auch Tränen der Wut.
Sollte Nordkorea tatsächlich den beschriebenen Weg einschlagen, dann wird man auch irgendwann im Ryugyong Hotel sitzen, vielleicht in einem Nostalgierestaurant, das mit Kim Il Sung-Plakaten dekoriert ist und in dem man dann noch mal Loblieder auf den geliebten Führer singt. Etwas ähnliches passiert hier nämlich gerade in China, wo neueröffnete Kulturrevolutionsnostalgie-Läden sich grossen Zuspruchs erfreuen. Gut, dass man dann nicht auf die Freizeitstrategen gehört hat, die immer gleich bombadieren wollen – nie allerdings selbst.
Hier mehr zur Sache:
http://www.kaesong.de/4481.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Sonderwirtschaftszone#Nordkorea

28.04.2006 | 05:17

Kommentar #6 von einem geneigten Leser:

Bevor das hier in eine Pazifismusdebatte ausartet:
Das Ryugyong Hotel war vor kurzem Gegenstand eines Architekten-Ideen-Wettbewerbs, veranstaltet von der Zeitschrift domus. Kein ganz unwichtiges Blatt. Er stand unter dem Motto: "The Ryugyong competition is a simbolic bridge to open a crack in the regime's isolation without using smart bombs". Die Ergebnisse zeigen, wozu kranke Architektenhirne so fähig sein können. Architekten für den Weltfrieden, das ging noch nie gut. Nur ein gewisser Giovanni Cagnato aus Triest zeigt mit einer 9/11-Montage (bitte mal raussuchen, hochladen, danke), wozu das Ding wirklich nützlich sein könnte: Quasi als riesiger Kratzbaum für die Terrorpiloten dieser Welt. Link (aber man muss sich anmelden): http://www.domusweb.it/Domus/specials/ryugyong_hotel
Wer dazu zu faul ist, nimmt den Markenworkshop-Beitrag unter http://riesenmaschine.de/index.html?nr=20060426145503 und denk sich das Hotel dazu (verpasst dann aber gewisse grafische Finessen)

28.04.2006 | 12:11

Kommentar #7 von Selbstbedienungsjózef:

Ohne Stalinismusnostalgierestaurant gibts sowieso Tränen der Wut frei Haus.

28.04.2006 | 23:26

Kommentar #8 von Ruebe:

ich wollte natürlich sofort im hotel vier jahreszeiten über plus buchen, aber das angebot, der link, alles stammt schon aus dem jahr 2004 und ist leider überholt. schade, wieder nix mit luxus billig.

29.04.2006 | 01:54

Kommentar #9 von pult:

Hotel Post brint knapp 700.000 Google Einträge, nicht 191.000.000... Hier zeigt sich wieder der gefärliche Umgang mit Suchmaschinen. Selbst ohne Anführungszeichen sind es nur 141.000.000, hat hier wieder das Statistische Bundesamt seine Finger im Spiel. Sonst echt geil.

30.04.2006 | 14:53

Kommentar #10 von Tex:

Hallo Pult, wie gehts denn so?
Ich kam vor ein paar Tagen beim Recherchieren für den Text auf 191 Millionen, kurze Zeit später sogar auf 195. Absurderweise jetzt gerade eben auf 205 000 000. Ich kann mir das nicht wirklich erklären, wie man da in der Zwischenzeit so schnell ein paar Millionen neuer Posthotels gebaut hat. Und vor allem, wie soll das weitergehen, wie siehts nächste Woche aus?

30.04.2006 | 16:11

Kommentar #11 von einem geneigten Leser:

"Recherchieren ist ein Zeichen von Meinungsschwäche." Dieser Spruch stammt aus der Redaktion der ZEIT. Stimmt, echt.

30.04.2006 | 23:10

Kommentar #12 von Tex:

Kann man auch umdrehen: Rummeinen ist ein Zeichen von Recherchierfaulheit. Und wie soll ich eine Meinung entwickeln, wenn sich die Hotel Post Treffer bei Google andauern (heute 207 Mio) ändern, wo ansetzen mit der Meinung?

01.05.2006 | 14:52

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