Riesenmaschine

30.05.2006 | 12:35 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Verdammt, aber gut beleuchtet


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Nicht nur Pjöngjang in Nordkorea, sondern auch jede mittelgrosse ostdeutsche Stadt verfügt über ein BSP: eine bauliche sozialistische Peinlichkeit. So steht in Jena der fehlkonzipierte ehemalige Uni-Turm, im Fachjargon Penis jenensis genannt, in Leipzig das gigantisch-geschmacksichere Marxrelief, in Chemnitz der ebenso intransportable schwergewichtige Kopf von ebendiesem Karl Marx – und in Gera die legendären "drei Essen", das höchste Bauwerk im Lande Thüringen. Drei Essen sind es zwar, die zum ehemaligen Heizkraftwerk (HKW) Nord gehören, in Betrieb war aus ungooglebaren Gründen jedoch nur die kleinste von ihnen, die beiden grossen stehen seit mindestens den 70ern sinnlos funkelnd in der Industrielandschaft herum. Wer es schafft, am Hermsdorfer Kreuz in die einzige Richtung zu fahren, die nirgendwo hin führt (Osten), kann dieses Wahrzeichen der gesellschaftlichen Fortentwicklung ("Wir dampfen auf dem letzten Schlot") nicht verpassen – es leuchtet und blinkt im Dunkeln selbst noch Jahrzehnte nach Abschaffung der Fünfjahrespläne.

Nun sollen die Essen endlich abgerissen werden, weil sie der Bundesgartenschau 2007 im Wege sind, obwohl man genausogut auch Europas grösste Outdoor-Kletteranlage (nach den Alpen) daraus bauen könnte. Mit Recht regt sich Laienprotest in der Provinz, denn a) wird man Gera ohne Essen überhaupt nicht mehr finden und b) wird es noch nicht mal spektakuläre Abrissbilder geben, wie im Februar beim HKW Süd, denn dafür stehen die Türme zu dicht am McDonald's und am Discount-Möbelmarkt. Und zudem, und dies sollte am meisten Gewicht finden, versinnbildlichen allein die verbliebenen BSPs in zeitgemässer Art und Weise, dass der Sozialismus eine Sackgasse ist, und zwar eine Sackgasse, die auf einer grünen Wiese endet. Der Kapitalismus dagegen ist ein Kreisverkehr.

(Beitrag angeregt von Leser Björn Helm)

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das Grosse Hässliche Ding


Kommentar #1 von einem, der sich jetzt schon dafür schämt:

Ich finde es ja nicht gut, dass die Essen abgerissen werden soll, wo sie doch gerade vor ein paar Wochen erst Kulturhauptstadt Europas geworden ist.

30.05.2006 | 13:02

Kommentar #2 von björn:

hallo herr scholz,
so recht überzeugt vom industrie-kultur-historischen wert der BSP klingen sie ja nicht. finde es geht (mir) gar nicht zentral um den ästhetischen oder nostalgischen wert dieser monströsitäten (mmh viele umlauts) sondern darum, dass wegreissen verleugnen, in diesem fall der welteinstellung "wir wissen das der rauch schädlich ist aber wenn wir ihn nur hoch genug pusten merkts vielleicht keiner, oder wenigstens hier nicht", bedeutet. vielleicht wäre die geschichte anders verlaufen wenn die ddr nicht in einer westwindzone gestanden hätte – dann hätte man jetzt "drüben" den schaden. wie dem auch sei, man könnte die essen jetzt pathetisch mahnmal nennen oder sie einfach und pragmatisch umwidmen. im sonderfall von gera kommt noch dazu das ein guter teil derer die heute verleugnen wollen auch damals am hebel sassen (oder vielleicht deshalb?). so ist das nämlich, oder auch nicht

30.05.2006 | 23:16

Kommentar #3 von Umlautpolizei:

Herr Björn! So einfach geht das nicht! Nehmen Sie bitte sofort diese Punkte wieder von den Monstrositäten!

31.05.2006 | 12:03

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