Riesenmaschine

06.11.2006 | 19:10 | Vermutungen über die Welt

Plattenkritik

Seit vierzig Jahren etwa glauben grosse Teile der Menschheit an die Plattentektonik: Kontinente driften schön langsam und sinnlos über die Erdoberfläche, angetrieben von dunklen Mächten ganz weit unten. Geblendet von der Schönheit der Kontinentaldrift und gründlich indoktriniert von den Hohen Priestern der Geologie, ignorierten wir dabei jahrzehntelang eine Reihe von aufrechten Untergrundkämpfern, deren Theorien noch besser klingen als stupides Herumwandern von Erdteilen. Aber seit der Erfindung des Internets vor einigen Tagen schlagen sie zurück. Hier die drei besten Alternativen zur Plattentektonik:

1. Beinahe tot waren schon die Hohlwelttheorien – die Erde sei hohl und entweder von innen oder von aussen bewohnt. Wenig überraschend spielt Hitler in beiden Varianten eine Rolle: Entweder ist er 1945 aus dem Führerbunker ins Innere der Erde geflohen. Oder aber er richtete Fernrohre hoch in den Himmel, um die britische Flotte drüben auf der anderen Seite zu beobachten. In letzter Minute gerettet aus dem Sumpf der Science-Fiction/Fantasy wurden die Hohlwelten vom Internet, Paypal sowie Kevin und Matthew Taylor, deren Sonne sich IN der Erde befindet.

2. Nur kurz erwähnt seien die Kreationisten, die natürlich auch hier ihre eigene Superhypothese an den Start bringen müssen, die angenehmerweise viel einfacher ist als der ganze Wissenschaftsquatsch. In diesem Fall werden die Kontinente einfach durch einen "Schock" in Bewegung gesetzt, der widerum durch einen gewaltigen Meteoreinschlag verursacht wird, und zwar knapp neben Madagaskar. Madagaskar, musste das sein? Ohne Madagaskar erscheint das Szenario sofort glaubhaft.

3. Ästhetisch beiden vorgenannten Ansätzen überlegen ist jedoch die sich aufblasende Erde, eine bestechend elegante Theorie, die bewegliche Kontinente mit Leichtigkeit erklärt. Seit den 30er Jahren auf der Welt, erlebt sie im Halbwissensdschungel des Internet eine überraschende Renaissance. Klares Highlight des mächtigen Gedankengebäudes ist die Fähigkeit, die Grösse der Dinosaurier zu erklären – Erde wird grösser, Schwerkraft wird geringer, Tiere wachsen dadurch höher. Zwar verzichten die Erdaufblaser auf Hitler und Madagaskar, aber auch sie begehen einen klaren Anfängerfehler: "The evidence is obvious, unmistakable and irrefutable!" Das ist mittelalterliche Rhetorik, Freunde, so darf man mit wikipediagestählten Kreaturen heute nicht mehr umgehen. Wenn sich das nicht bessert, wird die Plattentektonik auch dieses Jahr wieder Deutscher Meister.


06.11.2006 | 12:49 | Anderswo | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Böse Menschen haben keine Liter


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Weitgehend unbemerkt von der uninteressierten Öffentlichkeit fand vor drei Wochen der Weltnormentag statt, Mailer hätte sich gefreut, aber er war weder richtig geschrieben noch überhaupt gemeint. "Normen zum Anfassen", das Motto des damit verbundenen Tages der offenen Tür im Deutschen Institut für Normung, klingt wahnsinnig verlockend, um so mehr, wenn man weiss, dass der wirtschaftliche Erfolg Deutschlands im 20. Jahrhundert wesentlich von Normierungen abhing. Eine alte Anwaltsregel sagt, "Wenn Du einen Fall nicht lösen kannst, verkompliziere ihn", und genau nach diesem Motto wirkte die Normenflut über Jahrzehnte auch als Schutz vor Industriespionage, weil praktisch keinem ausländischen Ingenieur klarzumachen war, wofür es eine DIN 25124 für Schwenkvorrichtungen an Mannlochverschlüssen, Teil 1 bis Teil 3 gibt und was sie genau bedeutet (verkürzt dargestellter Zusammenhang).

Das portugiesische Bier Sagres hat eine vollkommen unbrauchbare Website, die offenbar der Regel folgt, dass jeder Klick doppelt so schmerzhafte Effekte mit sich bringen muss wie der vorhergehende. Dabei schmeckt es eigentlich nicht schlecht, wie fast jedes Bier, wenn es nur ordentlich auf geschmackslähmende Temperaturen heruntergekühlt ist. Was die Biermarke aber ganz besonders auszeichnet, ist ihr, sagen wir, flexibles Normenverständnis. Auf dem Frontetikett zu behaupten, es wären 33 Zentiliter in der Flasche, hinten aber draufzuschreiben, dass nur 250 Milliliter drin sind, das zeugt von einem fortschrittlichen, zukunftsgewandten Umgang mit dem starren Korsett Normierung. Letztlich sind Normen, so erfolgreich sie während der Durchindustrialisierung gewesen sein mögen, in Zeiten des Rapid Prototyping und der Unikatisierung der Warenwelt nur noch ein kümmerlicher Ausdruck des Konsummaoismus.


06.11.2006 | 00:27 | Anderswo | Fakten und Figuren

Borat, Bruno, Bewarzer


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nach dem riesigen Erfolg des Films "Borat", und nachdem nun langsam durchsickert, dass der angeblich kasachische Journalist Borat Sagdiyev in Wirklichkeit ein englischer Komiker namens Sacha Baron Cohen ist, beschäftigen sich die Medien derzeit verstärkt mit den anderen Aliasen Cohens. Noch nicht abzusehen ist, mit welchem seiner Kunstfiguren er als nächstes an den enormen Erfolg von Borat anzuschliessen gedenkt. Ist es der österreichische OJRF-Modejournalist Bruno ("How far up the poopenschaft can it go before it's dangerous?") oder doch eher, was wahrscheinlicher ist, mit Eckhard Bewarzer, dem deutschen Reporter, der einmal pro Woche auf SPAM, dem Investigationsportal von Spiegel Online, aus den Krisenregionen der Welt berichtet.

Für Bewarzer spricht, dass Deutschland einfach ein attraktiver und grosser Markt ist, wenn deutsche Belange thematisiert werden (Stichwort "Deutschland, ein Sommermärchen"). Für Bruno, dass er aus einem nicht unähnlichen Land wie Kasachstan kommt, mit einer Bevölkerung mit bizarren Regeln, Gebräuchen und skrupellosen Klopapierdieben.


05.11.2006 | 16:28 | Anderswo | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

South of heaven

Rätselhafte Völker gibt es viele, die an dieser Stelle schon mehrfach erwähnten Uiguren sind eins davon. So ist beispielsweise bis heute nicht geklärt, ob man sie nicht doch eher als Uighuren verdeutschen soll, oder gar als Uyghuren? Kryptisch bleibt auch die englische Untertitelung dieses uigurischen Restaurants in der an der südlichen Seidenstrasse gelegenen Jadestadt Hotan. Werden hier essbare Steine serviert, oder spielt man Rockmusik (für die die Uiguren auch in China bekannt sind)? Und warum heisst der Laden nicht gemäss der sonstigen uigurischen Gewohnheit "Rock Speed Foods"? Respektive dann doch wohl besser, weil präziser: "Speed Rock Foods", oder ganz genau: "Speed Metal Food"?

So würde wirklich ein echter Marketingschuh draus; gleich eine ganze Kette könnte man derart benennen, die sich gewiss in rasender Geschwindigkeit über den Globus ausbreiten dürfte. Was dort dann serviert werden soll, ist zwar noch nicht ganz klar. Aber wer an der Spitze des Konzerns steht, das haben wir hier schon mal gelesen: "In their over 20-year career, Slayer has ranked at the top of the speed metal food chain". Eigentlich klar.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Food speeds!

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


05.11.2006 | 00:58 | Berlin | Supertiere

Die weissen Frösche


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Seit kurzem hat die Rütli-Schule, manche werden sich an sie erinnern, einen neuen Direktor und auch sonst ist an der Schule dem Vernehmen nach alles wieder in bester Ordnung, so dass der Brandbrief in der Rückschau bloss noch wie eine gelungene Marketingmassnahme zum Launch des Modelabels Rütli-Wear anmutet. Ausserdem wurden die vormals blaugrünen Riesenfrösche am Eingangstor, bekanntermassen die Wurzel allen Übels, weiss angestrichen, Neuanfang und so.

Das Ganze passierte vor mindestens drei Wochen und bis heute ist auf den Fröschen nicht ein einziger Buchstabe Graffiti zu finden. Was nur zwei Gründe haben kann: Entweder wurden die Rütli-Schüler von ihren Lehrern ermutigt, die Frösche nach eigenen Ideen zu verschönern; und die Aufforderung, etwas zu bemalen, ist die beste Voraussetzung, dass es für immer weiss bleibt, wie man hier oder auch hier sehen kann. Oder aber das Aggressionspotenzial der Frösche sorgt für dermassen viel Respekt unter Sprayern und Street-Artisten, dass sie sich lieber unbedenklichere Ziele wie mittelschwer bewachte S-Bahn-Depots suchen. In diesem Fall dürfte es nicht mehr lange dauern, bis Nofitti aufmerksam auf die Sache wird und entsprechende Architekturprojekte startet. 2030 dürfte Deutschland dann ein graffitifreies Land sein, dafür vollgestellt mit Häusern in Form von 25 m hohen Fröschen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Die teuflischen Frösche und Weisser Riese


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