Riesenmaschine

18.11.2007 | 16:33 | Supertiere | Essen und Essenzielles | Papierrascheln

Fisch- und Pressefutter


Eine aussergewöhlich banale Erklärung für vieles.
Wissenschaftliche Studien, die nicht das Ende von Übergewicht, schlechtem Aussehen morgens und Krebs in den nächsten fünf Jahren ankündigen, finden nur ein Medienecho, wenn die Tiere und ihr Sexualverhalten niedlich sind und man das Ganze doch noch irgendwie auf den Menschen anwenden kann.
Nehmen wir zum Beispiel das folgende: Buntbarsche sind Maulbrüter und Weibchen, die bereits unbefruchtete Eier in ihrem Mund tragen, reagieren auf die Muster der Afterflosse des Männchens, die ihren Eiern ähnlich sieht. Sie versuchen, die beim Transfer vermeintlich übersehenen aufzusammeln, was das Männchen zur Samenabgabe nutzt. Die Befruchtung erfolgt so im Mundraum. Forscher an den Universitäten von Basel und Konstanz fanden nun unlängst heraus, dass sich diese Muster mehrfach in der Evolution der Buntbarsche entwickelt haben und konnten auch ein zugehöriges Gen ausmachen. Nun wird die Studie von den Hochschulen nicht eben wie Fernsehbier angepriesen. Die Aufmerksamkeits-Fach- und Einzelhändler vom New Scientist laubsägten zwar die glitschige Schlagzeile "Oral sex gene helps male fish fake it" aus herumliegendem Jahrmarktattrappen, aber viel Medienecho hat die Studie trotz Erfüllung der eingangs genannten Kriterien nicht erhalten.

Geschickter ist es nämlich, wenn man der Orginalarbeit nicht irgendeinen sperrigen Namen gibt, sondern gleich zur Sache kommt. "An Exceptionally Simple Theory of Everything", zack, mit solchen Titeln muss man auch keine entstellenden Verkürzungen der Medien fürchten, und mit everything hat man Tiere und Menschen gleich mit abgedeckt. Wer für 16,95 Euro Quantenphysik studiert, in dem er Roger Penrose' Road to Reality koquergeblättert hat, kann sogar beim Abstract mit dem Kopf nicken, als hätte er es verstanden. Ein guter Teil der Physiker reagierte zwar mit der üblichen Litanei, dass es zu jedem Problem eine einfache, weil falsche Lösung gibt, aber wenigstens haben sie es gelesen. Die Medien haben Nachricht und den als Surfer-Dude posierenden Autor gleich geschluckt, so kann man es halt auch machen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Sexlos gerädert

Roland Krause | Dauerhafter Link


18.11.2007 | 00:43 | Anderswo | Alles wird besser

Islandaufschlag


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Länder! Was wären wir ohne sie. Doch – es gibt solche und solche, und es gibt Island. Island ist das jüngste unter allen Ländern überhaupt, erdgeschichtlich ist es mit 20 Millionen Jahren gerade mal in der Pubertät, während die anderen Kinder in der Klasse mindestens 200 Millionen Jahre alt sind und auch noch alle aus der gleichen Familie stammen. Diese Aussenseiterposition hat Island frech umgedeutet und ist nun die coole Sau in der Kontinenteschule, und zwar in den Fächern Aussehen, Natur, Action und Bewohner. Nur Klima verhagelt Island regelmässig das Zeugnis. Aber sonst herrscht angenehme, drucklose Innovation. Es wird nicht einfach bei der Inneneinrichtung mit Copy & Paste gearbeitet wie so oft, sondern auch scheinbar notwendige Standards werden hinterfragt. Bäume etwa hat Island als ständig im Weg herumstehend erkannt und abgeschafft, stattdessen stehen überall hübsch geformte (und wesentlich haltbarere) Dekofelsen herum. Auch auf Beschwerden ("ist ja gar nicht grün") hat Island reagiert und seine gesamte Oberfläche mit grünem, weichem Moos überzogen. Die Klimaschwäche, ausgelöst durch eine hartnäckige Regenveranlagung und übertriebene Kühlheit, gleicht Island von innen wieder aus: Island ist das einzige Land mit eingebauter Fussbodenheizung. Die felsigmoosige Landschaft auf dem Foto etwa, ein Teil der blauen Lagune, gewinnt noch an Attraktivität, wenn man weiss, dass das weisslichblaue Wasser etwa 37 Grad warm ist und an Menschen gewöhnt; dazu kann man sich den weissgrauen Schlamm vom Grund des Wassers ins Gesicht schmieren und wird gefühlte Verbrennungen neunten Grades erleiden, aber schon nach dreissig Minuten klingen die Schmerzen ab und die Gesichtshaut fühlt sich an wie ein frisch aus der Plazenta geschältes Kaiserschnittkälbchen. Stehend warmes Wasser mit Peelingmöglichkeit auch im Winter – andere Länder könnten ruhig einmal ihre vulkanischen Aktivitäten feinjustieren, anstatt lange nichts zu tun und dann alles aufeinmal nachholen und mit heissen Steinen um sich werfen. Dieser Beitrag soll der Start sein zu einer losen Serie über Island, einem Ort, der sehr viel mehr richtig macht als falsch und wer kann das schon von sich behaupten.


16.11.2007 | 23:36 | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Škoda machts vor


Lifestyle mal anders (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Neben eigenen Fahrrädern als untaugliche Versuche, den Flottenverbrauch auf dem Papier zu drücken, gehört mittlerweile eine eigene Kollektion von Kleidung und Accessoires als flankierendes Beiwerk zum obligaten Repertoire einer jeglichen echten Premium-Automarke – und sei es nur, damit die Showrooms in A-Lagen neben den Flagshipstores der Haute-Couture-Labels nicht so trist abfallen. So begab es sich, dass auch die ambitionierte Sub-Prime-Marke Škoda (denkwürdiger Slogan: "Bei Aldi Champagner kaufen und Škoda fahren – perfekt.") sich eine ebensolche eigene Superb Kollektion zulegte und damit einen vorbildlichen Case von "Brand Stretching" kreiert, der durch seine subtile Raffinesse besticht.

Denn statt auf den vordergründigen Effekt zu setzen und etwa die namensverwandte Modedemacherin Claudia Skoda zu heuern, die mit ihrem Strickpunk-Design nun wirklich nicht zur Marke gepasst hätte, ist man bei Škoda das Thema grundlegender angegangen, hat sich "vom edlen Superb Design" inspirieren lassen und auf diese Weise einen perfekten Fit zur Marke erreicht. Unter Rückgriff auf führende Designer der Häuser Kik und Zeeman wurde ein Look kreiert, der in seiner zeitlosen Formensprache auch über den Tag hinaus Bestand hat, und damit dem Bedürfnis der Škoda-Fahrer nach langlebiger Wertigkeit entspricht. Auch die dominierenden Farbtöne, gedeckte Ocker-, Apricot-, Aubergine- und Beige-Nuancen, sind zeitlose Klassiker und werden so schnell nicht aus der Mode kommen. Die grosszügigen Schnitte richten sich an eine spontan-hedonistische Zielgruppe, deren Zeit vor dem Fernseher zu kostbar ist, um sie zu lange am Herd zu verbringen, und die deshalb gern auf die bewährten Angebote der Fast-Food-Industrie zurückgreift. Hier sitzt buchstäblich jedes Detail, wenn man bei der Ärmellänge – ein Tribut an das markentypische "Offshorings" – mal grosszügig ein Auge zudrückt. Für die Präsentation in einer Schaufensternische im Automobilforum unter den Linden in Berlin schliesslich hat man auf ausrangierte Schaufensterpuppen eines liquidierten Modehauses zurückgegriffen: eine augenzwinkernde Absage an überzogenen Perfektionswahn und Hochglanz-Schicki-Micki, die direkt ins Herz des Leitmilieus trifft. Damit ist die Škoda-Markenwelt vollends im Lifestyle angekommen.


16.11.2007 | 12:11 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Es geht voran


Man darf hoffen, dass solcherart dunkle, nur von in Duschköpfen integrierte LEDs beleuchtete Räume bald der Vergangenheit angehören werden. Bild: Luccon.
Es soll der Bauindustrie später niemand vorwerfen, sie hätte sich nicht bemüht. Das Gegenteil ist der Fall: bereits vor zwei Jahren brachte sie das Licht aus der Leitung auf den Markt und neu gibt es jetzt lichtdurchlässigen Beton zu kaufen.

Er ist zwar noch sehr teuer, aber trotzdem: Es geht rasant voran auf dem steinigen Weg zur Erfüllung des uralten Menschheitstraums, Tageslicht nicht nur draussen, sondern auch im Haus zu geniessen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird demnächst irgend jemand sogenanntes Glas erfinden – ein Zauberstoff, von dem SciFi-Autoren seit Jahren fabulieren. In dieser gut ausgeleuchteten Zukunft wird man von der Dusche aus die Passanten auf der anderen Seite der Wand klar und deutlich und komplett in Farbe sehen können!


16.11.2007 | 00:27 | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Spiele ohne Reue

Qualitätsjournalisten haben in weisser, papierner Vorzeit einst den Mühlstein der Recherche vor das aufklärerische Schreiben gewuchtet. Dort sitzt er nun, glotzt einen an und ist gespickt mit Wurmzeitlöchern, die in wenigen Minuten vielen Stunden kostbarster Premiumproduktivität vernichten. Wenn man einen Beitrag über etwa produktivitätssteigernde Browsergames schreibt, wird einem nicht gedankt, ja nicht einmal zur Kenntnis genommen, dass beispielsweise 21 Stunden mit Vergleichen zu World of Warcraft und seinen Erweiterungen zugebracht wurden, bevor man merkte, dass es sich dabei ja gar nicht um ein Browsergame handelt. Auch die daran anschliessenden Leistungen in Crazy Flasher 4 (4 Std.), Ambivalence (15 Std., ohne Ergebnis), Via Sol 2 (9 Std.) und verschiedenen anderen von Flash Gamez durchgereichten Titeln (1 WE, 3 Nächte à 12 Std.) werden nicht honoriert.


Da klicken für mehr Qi! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Dabei muss man diese vermeintlichen Zeitvertreibe doch erstmal kennen gelernt haben, um sie von den anderen, den edleren Browsergames abgrenzen zu können: Von den Self Esteem Games, die von Psychologen an der McGill-Unversität zur Verbesserung von Qi und Selbstwertgefühl eingesetzt werden.

Nun ist Self Esteem Games angeblich schon seit 2004 im Internet zu finden und der Artikel des New Scientist über eine neue Veröffentlichung der Arbeitsgruppe vielleicht kaum nennenswert. Bevor man sich aber darüber echauffiert, spiele man zuerst ein paar Runden Wham! und erforsche selbst, ob das beworbene Self-Esteem Conditioning auch ohne Meinungsäusserung erfolgen kann. Alternativ kann man statt des eigenen Namens und Geburtsdatums neben "Horst, February 2" oder "Versager, April 20" auch andere Kombinationen angeben und das gefühlte Ergebnis irgendwoanders hinschreiben (6 Std.).

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Schlechter Stress und ganz schlechter Stress (und Stress)


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"Gravity", Alfonso Cuarón (2013)

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Gesamt: 6 Punkte


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