31.01.2007 | 10:29 | Supertiere | Vermutungen über die Welt
Abstract: "Ich verstehe, dass es da einen kleinen Chinesen bei euch gibt und dass in der Nature wie immer Sachen stehen, die uns vermutlich alle angehen, die aber nur Naturwissenschaftler spannend finden. Sonst nichts." (Michael Brake)
Die Welt ist voller Dämonen. Der kleine chinesische Mann zum Beispiel, der nahe dem Sather Gate am Südzugang zum Campus in Berkeley auf einen Stuhl einen Plastikeimer stellt und auf den Plastikeimer dann sich selbst, ein wirres Schild hochhält und stundenlang "Happy Happy Happy" singsangt, lässt nur fröhliche Menschen in den Campus und erhöht also damit die Gefühlstemperatur im Inneren. Vermutlich weiss er auch Erhebliches über Flugbahn und Antrieb der an ihm vorbeidriftenden Lunchhungrigen, und könnte daraus Zukunft und Vergangenheit von ganz Berkeley lesen. Der kleine Chinese also ist gleichzeitig eine Verkörperung der Dämonen von Laplace und Maxwell, den beiden in der Naturgeschichte umgehenden Gespenstern des Determinismus und der Ordnungswut, und so sieht er auch aus.
Abgesehen vom kleinen Chinesen gab es bislang wenig Anzeichen dafür, dass es diese beiden Dämonen auch real geben könnte. Dem Laplaceschen, der aus einer beliebigen Momentaufnahme des Universums alle Vergangenheit und Zukunft bestimmen kann, brach die Kombination aus Chaostheorie und Quantenmechanik das fiktive Dämonengenick, und der Maxwellsche muss, um wie von Maxwell vorgeschlagen Moleküle der Wärme nach sortieren zu können, Informationen verarbeiten, und der modernen chymischen Hochzeit von Thermodynamik und Informationstheorie zufolge gleicht sich der Zugewinn an Ordnung beim Sortieren mit der Notwendigkeit der Vernichtung der gesammelten Informationen exakt aus: der Maxwellsche Dämon, der scheinbar eine theoretische Möglichkeit schuf, die berühmte zerbrochene Kaffeetasse wieder auf den Tisch springen zu sehen, und den Zeitpfeil umzukehren, kann den Drang der Natur zum Gleichgewicht nicht umkehren. Weil er selbst wieder vergessen muss, was er weiss. Soweit die Theorie.
Seit heute nun aber bleibt auch in der Praxis alles dabei, denn wie Nature berichtet wurde zwar aus einem Molekül namens Rotaxan eine winzige molekulare Ratsche fabriziert, die bei Lichteinfall gezielt Teilchen verschiebt – das heisst, die selbst eine Art Maxwellscher Dämon wäre – würde nicht "während der Isomerisation des Gatters durch den Sensibilisator des Makrozyklus" ("Nummer Eins! Energie!") der molekulare Ordnungsgewinn wie von der Theorie vorhergesagt beim Zurücksetzen des molekularen Informationsspeichers wieder zunichte gemacht. Der Dämon bleibt also Fiktion, die Tasse kaputt, der Kaffee vergossen. Wie traurig. Kleiner Chinese, hilf.
28.01.2007 | 20:55 | Nachtleuchtendes | Supertiere
Genverschraubtes Mausmonster (Foto: Ikayama) Es ist ein alter Hut mit Propeller drauf, beziehungsweise eine alte Baseballkappe mit nach hinten gedrehtem Schild, dass die je gültige Annahme darüber, wie das Gehirn funktioniere, mit der gerade aktuellen Technologie Schritt hält. Erst hielt man es für eine Ätherschleuder, dann für eine ausgeklügelte Maschine, für einen Computer, demnächst dann für ein iPhone oder ein Universalgadget. Die schiere Beliebigkeit der Belegungen zeigt schon, dass hier wie in der Medizin nur die Ratlosigkeit hinter kompliziertem Zeug versteckt wird, dass also die Hirnforschung an galoppierendem Metaphernsyndrom leidet.
Der Grund dafür ist natürlich, dass das Gehirn zuallererst mal ein Gehirn ist, das heisst ein riesiger Haufen komplizierten Schmadders, Milliarden von Neuronen, die aufs Verwirrendste zusammengestöpselt sind, und alle bisherigen Versuche, ein wenig Ordnung in den Wirrwarr zu bringen, hauptsächlich das Gefühl verstärken, kaum was über das schwabbelige Organ der Erkenntnis zu wissen. Zwar kann man Tieren – und manchmal sogar Menschen – Elektroden in die Rübe stecken, und Hirnimpulse knattern hören, aber man hört dabei nur wenigen Neuronen zu, und weiss obendrein nicht genau, welchen, bis man das Tier zerschneidet, und dann ist es ja kaputt.
Um besser sehen zu können, was ein Tier so denkt, haben Genmechaniker jetzt fluoreszierende Eiweisse in Mäuseneuronen geschraubt. Die so zerbastelten Mäuse sehen in Betrieb aus wie eine Science-Fiction-Dekoration aus den Siebzigern, mit Lichtimpulsen, die Kabel entlangflitzen, und können also buchstäblich beim Denken beobachtet werden. Man muss dazu nur den Mäusekopf aufsägen und das Gehirn freilegen. Dass das dann beobachtete Funkenfeuerwerk "Hey, mach den Kopf zu, Blödmann" bedeuten wird, wissen wir zwar schon vorher, aber wir wollen den Mechanikern ja nicht den Spass verderben.
26.01.2007 | 12:10 | Alles wird besser | Papierrascheln
Biomedizinische Substanz mit spitzen Noppen und Sexualorganen. Es ist ja immer ein bisschen aufregend, wenn etwas Neues in die Welt kommt. Ob dem bebenden Berg eine Maus entkraucht oder dem Schaum oder dem Gotteskopf ein nacktes Weib, ob das Chaos einen tanzenden Stern oder der Autor eine kitschige Metapher gebiert, immer guckt man sich das neue Gebilde ein bisschen neugierig und interessiert an und sagt herzlich Dutzidutzi, denn man kann einfach nicht anders. So geht es uns auch beim grade aus der Taufe gehobenen Journal of the Mechanical Behavior of Biomedical Materials, dessen Titel Hoffnung macht, hier werde endlich an einem ordentlichen Wissenschaftsporno gearbeitet, bei dem dem Zuschauer nicht der Kopf einschläft. Die Ankündigung, sich mit "deformation, damage and failure" der "biological materials" befassen zu wollen, klingt zwar ein bisschen nach einem Nischentitel, aber man ist auch offen für "emerging experimental and theoretical techniques". Dutzidutzi. Wir können es kaum erwarten.
25.01.2007 | 05:21 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren
Süsse Teilchenphysik: Aprikonen in einer Pentaquarkmatrix. (Foto: kochtopf) Man darf der Physik nicht böse sein. Zwar hat ihre Ausübung über die Jahrhunderte Atombomben und Handys ermöglicht, aber auch das Internet und Wasserpistolen, und im Ganzen gleichen sich die Vor- und Nachteile aus, und die Wissenschaft von den Sachen und ihren Erlebnissen ist nutzneutral. Ganz genauso verhält es sich zufällig mit Materie und Antimaterie im Universum, Prozesse, die die eine erzeugen, erzeugen in den allermeisten Fällen auch die andere, und selbst wo das nicht so ist, weil mutwillig eine Symmetriebrechung verübt wird, gibt es keine Präferenz für die gute oder die böse Materie in den Modellen der Physik. Warum also gibt es mehr von der einen, und weniger von der anderen da draussen?
Diese Frage ist der Kern einer bislang unspaltbar harten Nuss, aber jetzt gibt es endlich eine Antwort. Einige Physiker folgten Eisenhowers Tipp, unlösbare Probleme einfach zu vergrössern, und bauten sich eine Theorie, die nicht nur das Fehlen der Antimaterie entschuldigt, sondern auch gleich noch erklärt, wo die ebenfalls sehr rätselhafte und noch nirgendwo direkt beobachtete dunkle Materie herkommen könnte. Die Antwort ist natürlich unbegreiflich und enthält so herrliche Dinge wie Baryogenese, Pentaquarks und Sphaleronen, was so grossartig klingt, dass sie eigentlich nur falsch sein kann. Und also, dem Bohr-Prinzip zufolge, wahr sein muss. Sphaleronen und Pentaquarks! Wer hätte das gedacht.
23.01.2007 | 19:03 | Vermutungen über die Welt
Die Entdeckung des Geldbewusstseins durch Kleinsäugetiere. (Foto: AlexK100) Das Bewusstsein ist ein scheues Tierchen, umgeben von drolligen Mythen. Julian Jaynes zum Beispiel vermutete seinen Ursprung im Ende der prähistorischen Herrschaft der Schizophrenie über die Erde, Sir John Eccles witterte Quantenröhren am Werk, und jeder meint zu wissen, was es ist, aber keiner kann es so recht definieren. Die einen glauben, es ist ein Computerprogramm mit Selbstreferentialität, andere halten das für chinesischen Quark, und die einzige Person, von der wir sicher wissen, dass sie ein Bewusstsein hat, bin ich. Alle anderen sind vermutlich Zombies (ausser Mutti).
Eins der grössten Probleme in der Modedisziplin Bewusstseinsforschung ist, dass objektive Experimente bislang nicht zu haben waren. Weil niemand weiss, wie so ein Bewusstsein auf der neurophysiologischen Ebene aussehen mag, kann man nicht danach suchen, und der einzige offensichtliche Ausweg, die Versuchspersonen einfach zu fragen, ob ihnen etwas bewusst ist, erinnert an die Aufforderung, nicht an einen rosa Elefanten zu denken: die blosse Frage danach, ob jemandem etwas bewusst sei, ändert dieses untersuchte Bewusstsein.
Ein ermutigender neuer Ansatz, der am Sonntag online in Nature Neuroscience veröffentlicht wurde, verspricht Abhilfe: in Experimenten, für die bewusste und unbewusste Strategien gleichermassen zum Erfolg führen können, lässt sich zwischen den beiden unterscheiden, wenn man die Versuchspersonen zusätzlich zur experimentellen Frage auch noch darum bittet, Wetten darauf abzuschliessen, wie gut sie abgeschnitten haben. Interessanterweise ist diese Wettbereitschaft weitgehend unabhängig davon, wie gut man die gestellte Aufgabe tatsächlich beherrscht, und mehr davon abhängig, ob man das bewusste Gefühl hat, zu wissen, was man tut. Das ist praktisch für die Bewusstseinsforscher, die das scheue Geschöpf jetzt vielleicht endlich messen können, ohne es beim Fressen zu stören. Und obendrein bestätigt das Ergebnis, dass die Selbstsicherheit des Menschen nicht viel mit dem zu tun hat, was er kann, aber allerhand mit dem, was er Tolles über sich selbst denken kann. Darauf hätten wir allerdings schon vorher gewettet.
... 10 11 12 13 14 [15] 16 17 18 19 20 ...
|
IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Placeboeffekt
- Texte entfloskeln
- den Zerberus machen
- Schmiegeprofi Tintenfisch
SO NICHT:
- Schauberger-Repulsine
- Verschlechterungen
- Mehlschokolade
- scheuermilchpflichtige Verkrustungen
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Carriers", Àlex Pastor / David Pastor (2009)
Plus: 37, 41, 42, 48, 64, 80 Minus: 1, 2, 117, 138 Gesamt: 2 Punkte
KATEGORIEN
ARCHIV
|
|