Riesenmaschine

27.09.2009 | 17:29 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Are we crazy? Maybe!

Als dieses Jahr Billy Mays an einer seltsamen Drogenmischung starb und Vince Offer verhaftet wurde, nachdem er von einer Prostituierten in die Zunge gebissen wurde, wurde es still in der Welt des Infomercials. Keine andere Branche, vielleicht abgesehen von Profi-Golf, Buzkashi* und Kochen, hängt so stark von ihren Superstars ab. Nostalgisch sassen die Aficionados vor den Geräten und spielten die Vince-Klassiker ShamWow und SlapChop auf Endlosschleife. Niemand sprach ein Wort. In Gedanken stritt man sich abermals darüber, ob ShamWow wirklich eine billige Imitation von Mays' Zorbeez ist oder umgekehrt. "You know the Germans always make good stuff", sagten die Diehard-Fans zu sich selbst, während sie melancholisch ihren Schäferhund abtrockneten. Erneut wurden in langen Abenden die alten Vince vs. Billy Argumente durchgezogen, bei billigem Bier, das nach Reinigungsmittel schmeckte. Vince, der zu sagen scheint: Hey, ich bin ein reisserischer Scharlatan, aber das macht nichts, denn mein Produkt ist super. Und Billy, der extrem laut, aber als freundlicher Kumpel seine Lappen unters Volk bringt – mit dem Hauptargument, dass er einer von uns ist, Kokain hin oder her. Es waren wie gesagt traurige Monate.

Die Rettung und Wiederbelegung des klassischen Verkaufsvideos kam schliesslich vor wenigen Tagen ausgerechnet von Canadian Celebrity Steve Nash, überraschenderweise im richtigen Leben nicht mal Scharlatan, sondern Point Guard, genaugenomen der zweitbeste der letzten Dekade, und ausserdem der bescheidenste Mensch der Welt. Nashs vollendete Konflation aus Hyper-Schtick ("like you just wanna bust out"), billigster Computergrafik, 80er-Jahre Farbverläufen, Musik von der ZDF-Hitparade und vorbildlicher Produktverarschung folgt der Vince-Logik, die Verkaufslüge nicht redundant, sondern retorsiv ("I don't know, it sells itself") anzubringen, was auch immer das jetzt genau heissen mag.

* Eine afghanische Art Polo, anstatt eines Balles verwendet man eine tote Ziege.


26.09.2009 | 09:22 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Wählen nach Sprechblasen


Wabernde Wortwolken werden wichtiger (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Und noch ein kurzer, schneller Hinweis zur bevorstehenden Bundestagswahl: Natürlich verzichtet die Riesenmaschine wie schon 2005 darauf, ihren Lesern eine Wahlempfehlung an die Hand zu geben und überlässt dies anderen Medien mit einer weniger mündigen Klientel. Auf eine mögliche Entscheidungshilfe jenseits des deprimierend öden Wahl-O-Maten, der ja doch immer nur MLPD und BüSo ausspuckt, möchten wir aber an dieser Stelle doch noch rechtzeitig aufmerksam machen, weil sie nicht nur die Information über politische Programmatiken radikal rationalisiert, sondern der gesamten politischen Debatte einen Weg in die Zukunft weisen könnte.

Und zwar hat das ZDF mit dem WortWahl-Scanner (Achtung: Pop-up!) ein geschmeidiges Flash-Tool programmiert, dass die Aussagen der Partei- und Wahlprogramme, sowie der Debattenbeiträge der Kandidaten auf handliche Wortwolken komprimiert. Damit wird etwa auf einen Blick erfassbar, dass die Wahlprogramme von SPD, Grünen, und Linksparte quasi identisch sind und grosse Nähe zur FDP aufweisen, während einzig die CDU/CSU "Arbeit" nicht ins Zentrum ihrer im Wahlprogramm annoncierten Politik stellt. Um hingegen zu verstehen, warum der Begriff "Staat" im FDP-Programm mit 178 Erwähnungen (Worthäufigkeit: 1,67 Prozent) eine so zentrale Rolle spielt, kann man zusätzlich auf die den jeweiligen Begriffen hinterlegte "detaillierte Analyse" klicken. Und erfährt dort, dass der Staat in diesem Fall gar nicht unbedingt immer positiv konnotiert ist.

Das wirklich Verblüffende an dem Spielzeug ist jedoch, wie aus der Konstellation und Grösse der Begriffe ein subjektiv vollständiges und stimmiges Bild der jeweiligen Parteien und Akteure ersteht, und wie verzichtbar im Umkehrschluss das gesamte syntaktische und semantische Beiwerk nicht nur in Politikerreden und Parteiprogrammen erscheint. Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist. (Bzw.: Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist.) Wenn in ein bis zwei Legislaturperioden eine neue Generation von Politikern und Spin-Doktoren erkannt und verstanden haben wird, dass das Reden in Tagclouds das einzig probate Mittel ist, um in der verschärften Aufmerksamkeitsökonomie noch wirksam um öffentliche Zustimmung zu werben, dann wird sich auf einen Schlag auch die Web-Jugend wieder für Politik begeistern können.


25.09.2009 | 04:21 | Anderswo | Fakten und Figuren | Listen | In eigener Sache

Jörg Schönenborn muss husten


Das ganze Spielfeld besteht aus 5 mal 5 Feldern, man darf ankreuzen,
wenn das Ereignis im Feld eintritt und wer eine Reihe voll hat, hat gewonnen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)


Jeder Versuch, 2009 noch einen alsneuverkaufenden Einstieg zum Thema Bullshit Bingo zu finden, ist vergebens. Der Dilbert-Strip zum Thema ist mittlerweile über 15 Jahre alt, sogar der den Dilbert-Strip nacherzählende IBM-Werbespot ist von 2007. Bullshit Bingo gehört längst zum Grundwortschatz der Bürofolklore und wird dereinst sicherlich in die New-Economy-Hall-of-Fame aufgenommen werden. Ungeachtet dessen wurde zur anstehenden Wahl jetzt eine naheliegende Subvariante von Michael Brake und den Gebrüdern Metz entwickelt: Das Wahlshitbingo basiert auf einer Sammlung von rund 400 Floskeln und Fakten und sorgt für eine nachweislich veränderte Fernsehrezeption. Öffentlich vorgeführt wird es am Sonntag ab 17.30 Uhr bei der Wahlparty im Frankfurter Kunstverein, wo es ausserdem noch weitere Gimmicks und Gäste zu sehen gibt. Man kann es sich aber auch einfach nur ausdrucken und zu Hause spielen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: "Hinten kackt die Ente"

Schlager Densford | Dauerhafter Link


24.09.2009 | 11:11 | Vermutungen über die Welt | Effekte und Syndrome

Freiheit aushalten


Das Regime der Freiheit zu Gast an der Staatsoper in Berlin (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Für eine erweiterte Interpretation des Regierens bzw. der Regierungskunst, die auf den Mikrostrukturen der Macht aufbaut, hat Michel Foucault in seinen Vorlesungen Ende der 1970er am Collège de France den Begriff Gouvernmentalität geprägt. Gemeint sind damit weniger physische und institutionelle Machtmittel, sondern die psychische Kondition – buchstäblich: die Mentalität –, die das Regieren zur Angelegenheit der Regierten macht. Wie das allgemeine Einverstandensein so ist auch die Forderung nach Selbstregierung in Eigenregie heute triviale Realität einer gleichermassen deregulierten und permissiven Gesellschaft. Das Paradoxon des antiautoritären Kinderladens ("Tante, müssen wir heute wieder machen, was wir wollen?") ist uns so sehr zur zweiten Natur geworden, dass es uns selten bewusst wird. Dabei bezieht sich der Zwang zur Freiheit keineswegs nur auf das Erwerbssubjekt, sondern zuvorderst natürlich auf den als mündig und autonom vorgestellten Konsumenten. Dass der Kunde König sei, ist eine Binse. Dass der vermeintliche Souverän aber selbst keineswegs souverän ist, sondern seinerseits in multiple Zwänge verstrickt, die foucaultsche Pointe bei der Angelegenheit. Uns auf offener Strasse in kondensierter Form und unsubtilen Lettern die Zweischneidigkeit und Abgründigkeit des Imperativs zum Selbstregime im entfalteten Konsumkapitalismus vor Augen zu führen – das hinwiederum ist der kollaterale Verdienst einer neuen Bionade-Aussenwerbung, die an sich einfach nur auf die kommende Wahlen eincashen wollte.


19.09.2009 | 20:54 | Alles wird besser | Sachen anziehen

Der Einäugige unter den Brillen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Avast! Heute ist schon wieder International Talk Like a Pirate Day! Und damit einjähriger Geburtstag der Google Pirate Edition. Wer den ITLAPD nicht nur verbal, sondern auch fashiontechnisch angemessen feiern will, dem sei die zeitgemässe Adaption der Augenklappe empfohlen: Die Fuck-3D-Brille vom in der Riesenmaschine allseits geschätzten Medienkünstler Aram Bartholl (via Nerdcore, hier als Bausatz-PDF zum Download). Nicht nur ein würdiger Nachfolger von Bartholls First Person Shooter-Brille – sondern zugleich ein wichtiges Statement im täglichen Kampf gegen die 3Disierung unserer Umwelt. Savvy?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Piraten-Statusmeldung


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"Evil Aliens", Jake West (2005)

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