Riesenmaschine

26.09.2010 | 00:02 | Anderswo | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Kentucky Fried Mao


Dem Volke bedienen!
In der ostchinesischen Hafenstadt Dalian treffen gelegentlich die Belegschaften der lokalen KFC-Restaurants aufeinander und versuchen sich dabei mit kleinen, einstudierten Auftritten zu übertrumpfen. Der letzte Wettbewerb fand Ende August auf dem Platz vor dem örtlichen Carrefour-Supermarkt statt. Hier räumte eine Belegschaft ab, die ganz im Stil kulturrevolutionärer Roter Garden auftrat, nur dass man statt der traditionellen oliven Kluft die KFC-Uniform trug und statt der Mao-Bibel ein kleines Portrait des KFC-Gründers
Harland "Colonel" Sanders
schwenkte. Echt waren allerdings die Mao-Zitate, die die Gruppe skandierte, zur grossen Erheiterung des Publikums.

Dabei lassen sich Maos Thesen und Maximen, die einst von Lin Biao in dem berühmten kleinen roten Buch versammelt wurden, tatsächlich ganz hervorragend auf die Strategie und Lebenswelt einer Fastfood-Kette übertragen. So predigte schon Mao den absoluten Service-Gedanken: "Mit Leib und Seele dem Volk (sprich: Gast) dienen..., sich in allem von den Interessen des Volkes (Gastes)... leiten lassen; sich in gleicher Weise dem Volk (Gast) wie der Parteileitung (Firmenleitung) verantwortlich fühlen, das ist unser Ausgangspunkt." (Mao, 1945). Zur Sauberkeit in der Filiale hatte Mao auch seine Ansichten: "Wo der Besen nicht hinkommt, wird der Staub nicht von selbst verschwinden." (Mao, 1945) Am aktuellsten aber ist sicher seine Analyse zum Verzehr eines z.B. "20 Piece Colonel's Picnic Feast": "Im Krieg kann nur eine Schlacht nach der anderen ausgefochten und die Feinde können nur einer nach dem anderen vernichtet werden... Mit dem Essen verhält es sich ebenso. Strategisch gesehen, ist die Einnahme einer Mahlzeit kein Problem. Wir können sie ohne weiteres bewältigen. Aber konkret gesehen, schlucken wir einen Happen nach dem anderen. Man kann nicht ein ganzes Festessen ("20 Piece Colonel's Picnic Feast") auf einmal verschlingen." (Mao, 1957)

Gut möglich, dass sich KFC in China wirklich von Maos Devisen hat leiten lassen. Das würde auch erklären, weshalb der Yum!-Konzern hier so gut aufgestellt ist: Auf zwei KFC-Filialen in Festland-China kommt nur eine von McDonalds. Im Rest der Welt ist es umgekehrt. Vielleicht sollte also mal jemand einen Ratgeber mit dem Titel "Mao for business people" o.s.ä. schreiben. Ach, den gibt es schon? Nun ja: "Ziehe die Brauen zusammen, und du kommst auf eine Idee." (Mao Tse Tung: "Unsere Schulung und die gegenwärtige Lage", 6. April 1944, Ausgewählte Werke, Bd. III).

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


24.09.2010 | 00:00 | Berlin | Papierrascheln

Der neue Horzon


Aber die System-Lüftung brummt. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Lange Zeit fragte man sich: Was macht eigentlich Rafi Horzon? Was treibt der sagenumwobene Initiator der Wissenschaftsakademie, Spiritus Rector von Redesign Deutschland und Gründer der Partnertrennungagentur Separitas und des legendären Pelham Clubs dieser Tage? Gut, der erste grosse Wurf Horzons, die gleichnamigen Regale verkaufen sich nach wie vor wie gehackt Koks und sind aus keiner Berliner Werbeagentur und Anwaltskanzlei mehr wegzudenken. Gerade ist eine Kleiderschranklinie hinzugekommen. Selbst die System-Lüftung, von vielen zunächst für einen elaborierten Konzeptkunst-Prank gehalten, scheint zu prosperieren. Jedenfalls suggeriert das die Lieferwagenflotte, die im Dauereinsatz Mitte und die angrenzenden Bezirke bestreicht, um Lüftungssysteme auszuliefern.

Aber füllt das einen nimmermüden und ideensprühenden Impresario wie Horzon wirklich aus? Jetzt ist es raus: Der Grund für Horzons temporären Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben war ein Buch, genauer: die Abfassung seiner Autobiographie "Das Weisse Buch". Nicht von ungefähr erinnert der Titel des erwartbar minimalistisch mittels Lochstanze gestalteten Werkes an das anstrengend verbastelte Konzeptalbum der Beatles. Im Gegensatz zu Horzons vergriffenen Erstlingswerk "Modern sein – Fit im Kopf ins dritte Jahrtausend", das noch mit leichter Hand zu gleichen Teilen aus einem Management-Lehrbuch und einem Fitness-Ratgeber zusammenkompiliert war, wirkt der neue Horzon streckenweise etwas bemüht, beflissen und – lau. Hat ihm da ein allzu wohlmeinender Suhrkamp-Lektor im Nacken gesessen und – horribile dictu! – gedungen, "Literatur" zu produzieren? Werden wir lediglich Zeuge der midlife crisis eines Genies? Oder hat Horzon womöglich ein für allemal es verloren? Diese Frage wird nicht der vorliegende Band beantworten, sondern allenfalls der nächste unternehmerische Geniestreich des gelegentlich als "Nicolas Hayek von Berlin" Apostrophierten – bzw. dessen Ausbleiben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Horzons neuer Coup


22.09.2010 | 14:14 | Vermutungen über die Welt

Flohzirkus im Weltall


Paradigmenfalle, erfunden von Kathrin Passig (Foto: Kathrin Passig)
Paradigmen sind so ähnlich wie Flöhe, die auf der norddeutschen Tiefebene balancieren: Sie fallen erst runter, wenn die Mongolen einfallen. Moment, das ergibt keinen Sinn. Zufällig ist der letzte Satz identisch mit der Reaktion nahezu aller Physiker, als sie davon lasen, dass der radioaktive Zerfall jetzt plötzlich periodisch schwanken und zudem davon abhängen soll, wieviele Neutrinos gerade von der Sonne kommen. An dieser Stelle soll egal sein, dass diese Erkenntnis unter anderem von einem Professor verbreitet wird, der in den 90ern noch UFOs gejagt hat, auch soll keine Rolle spielen, dass die Meldung vorwiegend über Pressemitteilung, Blogs und Twitter Verbreitung fand (Blogs! FEURIO! MORDIO!) und dass solche Meldungen natürlich wie frische Möhren auf die Kaninchen der Kreationisten wirken. Wichtig ist allein, dass sie das Paradigma erschüttert und auch sonst nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.

Einigermassen freundlich weist das Paradigma auf folgende Umstände hin: Radioaktiver Zerfall ist vollständig dem Zufall unterworfen; zu jedem Zeitpunkt gibt es eine festgelegte Wahrscheinlichkeit für den Zerfall, ob er wirklich stattfindet oder nicht, weiss kein Mensch. So ist es halt mit den Quanten, genauso wie mit Würfeln, sagt das Paradigma, wenn es anders wäre und die Sonne die Quanten beeinflusst, könnten wir den Laden erstmal dichtmachen. Wir müssten von vorne anfangen, die ganzen Lehrbücher neu schreiben, alle Vorlesungen überarbeiten, die Institute neu organisieren, neue Leute einstellen, neue Experimente bauen, alles anders anstreichen und am Ende den Hund rausbringen. Das wäre ungeheuerlich und ausserdem jede Menge Stress. Weswegen sich die meisten dagegen sträuben, und zwar zu Recht, die dubiosen paradigmengefährdenden Dinge auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Schliesslich ist es nicht von ungefähr ein Paradigma, und nicht nur eine Scheibe verschimmeltes Graubrot, die so einfach umfallen würde. Wie eine grosse Bleikugel hängt das Paradigma am Bein des Wissenschaftlers und hält ihn auf den Boden dessen, was wir für Tatsachen halten.

Eine Woche später dann weist David Crawford darauf hin, dass das mittelschwere Paradigma mit diesem sogenannten Urknall komplett falsch ist. Niemand zuckte auch nur mit den Achseln.


18.09.2010 | 00:18 | Nachtleuchtendes | Supertiere | Papierrascheln | In eigener Sache

Schwule daoistische Kaninchenanbeter können weiterklicken


Erstaunliches Buch (Bild: Christian Y. Schmidt / Tiamat Verlag)
Dieses Buch hat, wie man deutlich sieht, ein Kaninchen auf dem Cover, mithin fast ein Nagetier. Es stammt aus dem daoistischen Dong Yue Tempel im Osten Pekings, der dem Gott des heiligen Bergs Taishan gewidmet ist, der wiederum mit dem Unterweltgott Yama identisch sein soll. Das etwa ein Meter siebzig grosse Kaninchen steht in einer der siebzig Hallen, die sich um den Haupttempel gruppieren und in denen Szenen aus der chinesischen Hölle nachgestellt sind. Was das Kaninchen in der Hölle soll, ist nicht exakt herauszukriegen. Wahrscheinlich wird es der vom Herrn der Unterwelt ernannte Kaninchengott Tu Er Shen sein, der im daoistischen Götterkosmos die Liebesbeziehungen zwischen homosexuellen Männern verwaltet.

Und so spricht das soeben erschienene Buch bisher in erster Linie schwule daoistische thanatophile Kaninchenanbeter an, die es auch ohne weitere Aufforderung kaufen. Da diese Gruppe allerdings zu klein ist, um nur die Druckkosten wieder einzuspielen, muss das Buch für andere Käuferschichten ganz platt und deutlich beworben werden. Also: Zum ersten Mal tot wurde auch speziell für Riesenmaschinenleser geschrieben. Es handelt nämlich nur von extrem wichtigen Innovationen, und zwar im Leben des Riesenmaschinenautors Christian Y. Schmidt: Der ersten Ratlosigkeit, dem ersten Sex, der ersten Droge, der ersten Tracht Prügel, der ersten Reue und dem ersten Aufenthalt in der echten Hölle. Das Buch ist ganz gut und darf in keiner Innovationsfreakbibliothek fehlen. Ergo: Kaufen Sie's!

Nicht mehr ganz so taufrisch ist die Idee, Riesenmaschinenautoren ihre eigenen Bücher in der Riesenmaschine selbst bepreisen zu lassen. Darum ist es auch nicht mehr ganz so peinlich. Sollten Sie mich allerdings eines Tages dabei erwischen, wie ich Leserbriefe an Tageszeitungen verfasse: siehe hier: 1. Absatz, 9. Zeile!

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


04.09.2010 | 14:07 | Alles wird besser | Sachen anziehen

Endlich! Mit Video!

Wie oft hat man nicht schon behauptet, die Zukunft sei da. Zum Beispiel 1620, 1875, 1911, 1975 und 1992. Und den absurden Claim von 2005 natürlich. Aber kann es wirklich eine Zukunft geben, in der man sich seine Schnürsenkel selbst zubinden muss? Eine Frage, die Blake Bevin aus dem nebelverhangenen San Francisco in jahrelangen Bemühungen erhängt und gevierteilt hat, und zwar mit den Power Laces 2.0, den ersten Schuhen mit selbstzubindenden Schnürsenkeln, auf der gesamten Welt. Endlich. Wir sind keine Schnürsenkelzubinder mehr. Jetzt werden uns die Aliens nicht mehr auslachen.


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"New World", Park Hoon Jeong (2013)

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