Riesenmaschine

31.08.2006 | 20:33 | Papierrascheln

Mit Spatzen auf Kanons schiessen


Buch mit Internetanbindung (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Alles Banausentum strebt zum Kanon, und das Bildungsbürgertum geht kaputt auf die Idee, alles, was man eben kennen, wissen oder gelesen haben muss, überschaubar einzuhegen und auf wenige Regalmeter bis -zentimeter einzudampfen. Schwanitz und Reich-Ranicki haben ihre Versionen vorgelegt. Zeitungen bringen uns per Sondereditionen die literarische Welt according to Süddeutsche, Bild oder neuerdings Spiegel ins Haus. Aber wie bei Atomen steckt selbst im eingedampftesten Kanon noch jede Menge überflüssiger Luft respektive Textmasse, wie das neue Angebot des Summary-Dienstes GetAbstract beweist, der ansonsten vorrangig Wirtschaftsbücher für Unternehmenskunden zusammenfasst. 4.000 Klassiker der Weltliteratur und Geistesgeschichte sollen dort langfristig – jeweils auf acht Seiten komprimiert – als PDF abrufbar sein. 300 sind es bisher, darunter auch Klopper wie Die Brüder Karamasow oder die Bibel. Überhaupt ist Unternehmensgründer Rolf Dobelli, der nebenher sehr lesenswerte Bücher schreibt, für literarisch-technische Innovationen gut: Sein neuer Roman "Himmelreich", eine zeitgenössische "Homo Faber"-Adaption, dürfte das erste Buch weltweit sein, dessen Frontispiz mit einem Semacode versehen ist, der mit dem Handy abfotografiert direkt zur Autoren-Website führt.


31.08.2006 | 13:14 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Der unsterbliche Mr. Kennewick

In diesem Sommer ist es zehn Jahre her, dass man den Kennewick-Mann exhumierte, einen der wichtigsten Amerikaner in der Geschichte Amerikas. Man erinnert sich ein bisschen ungern: Gefunden 1996 irgendwo am Columbia River, stellte man ziemlich genau heute vor zehn Jahren fest, dass das Skelett mehr als 9000 Jahre alt ist. Damit ist es zwar immer noch ein paar tausend Jahre jünger als die ersten Amerikaner, aber immerhin klar das älteste Skelett des Kontinents. Innerhalb weniger Wochen schaffte es Kennewick auf zahlreiche Titelseiten, und zwar in einer Rekonstruktion, die Captain Picard verblüffend ähnelte. Natürlich sah der Frühamerikaner gar nicht aus wie auf Raumschiff Enterprise, das war nur für die Presse, sondern eher so wie antike Japaner. Aber trotzdem oder gerade deshalb erhoffte man sich von Mr. Kennewick einige Hinweise zur Lösung des zweitgrössten Rätsels Amerikas: Die ersten Menschen des Kontinents stammen nämlich nicht von Ausserirdischen ab, stattdessen weiss man es nicht. Das grösste Rätsel Amerikas bleibt weiterhin, warum sich die Türklinke nicht durchsetzen konnte.

Das eigentliche Spektakel um die Kennewick-Knochen folgte allerdings erst noch. Laut einem amerikanischen Gesetz haben Indianer das Recht, ihre Ahnen zu bestatten, und zwar ohne vorherige anthropologische Untersuchungen, und dies, so behaupten bis heute die Umatilla und andere Stämme, gelte auch für Mr. Kennewick. Laut ihrer Religion leben die Umatilla schon immer in der Gegend von Kennewick, und mit immer meinen sie immer. Daher MUSS Kennewick-Mann, der ihnen total unähnlich sieht, einer der ihren sein – auch wenn es natürlich vollkommen unmöglich ist, eine direkte Linie zwischen dem uralten Skelett, das übrigens eine Speerspitze in seiner Hüfte herumträgt, und rezenten Indianern zu ziehen. Trotzdem, lange Zeit lagen die Indianer im Kampf um die Leiche klar vorn, niemand durfte die Knochen anfassen, einer der ungemein seltenen Fälle, in denen die Religion mal die Wissenschaft behindert und nicht umgekehrt. Erst jetzt, zum zehnjährigen Jubiläum, gab es im Museum in Seattle ein kurzes Forschungsintermezzo am Kennewick-Mann – zehn Tage Meet and Greet mit dem ältesten Amerikaner, dessen Zukunft ansonsten weiterhin unklar ist. Genau wie seine Vergangenheit natürlich.


30.08.2006 | 20:37 | Fakten und Figuren

Stereotype Threat


Gott der vergessenen Passwörter und der gnädigen Amnesie (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gute Nachrichten für Ecstasy-Freunde: Einer frisch veröffentlichten Studie aus Liverpool zufolge schädigt Ecstasykonsum die Gedächtnisfunktionen nur dann, wenn man den getesteten Konsumenten vor dem Test erklärt, dass ihr Gedächtnis durch Ecstasykonsum porös wie Schweizerkäse geworden ist. Erzählt man ihnen nichts dergleichen, erinnern sie sich auch nicht schlechter als Kontrollgruppen. Das zugrundeliegende Phänomen heisst, wie eigentlich nur Bands heissen sollten, nämlich "Stereotype Threat". Wenn uns also komplett entfällt, was wir vor einer Minute getan haben, dann liegt das nicht an vergangenen Partynächten, sondern vielleicht daran, dass wir Frauen sind, oder schwul, oder schwarz. Das zugrundeliegende Phänomen heisst übrigens, wie eigentlich nur Bands heissen sollten, nämlich "Stereotype Threat".


30.08.2006 | 12:49 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Spitzenleistung


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Energie, dieses Zauberding! Es gibt sie in den verschiedensten Formen (kinetisch, potentiell, thermisch, elastisch, Riegel, etc.) und viele schöne Dinge wären ohne Energie einfach nur nutzlos in der Gegend herumstehender Metallschrott. Doch liest man in letzter Zeit immer wieder von übermässigem Energieverbrauch. Was ist da dran? Wird es, kaum haben wir uns an sie gewöhnt, in wenigen Jahren schon wieder vorbei sein mit der Energie? Werden wir unsere Autos stattdessen mit kleinen flauschigen Tieren betreiben müssen?

Bei Wikipedia steht nun, dass Energie aufgrund des Energieerhaltungssatzes überhaupt gar nicht verloren gehen kann. Aber ist das auch wahr? Wikipedia, unsichere Sache, wer weiss schon, ob sich da nicht ein paar profilierungssüchtige Physiker ausgetobt haben. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte daher zusehen, dass er seine Energie mehrfach nutzt. Dabei hilft eine neue Erfindung: Für die beiden wichtigen Alltagstätigkeiten "Bleistifte anspitzen" und "kleine niedliche Roboter zum Laufen bringen" ist dank des Wind-up Robot Sharpener (via OhGizmo!, nur £3,50) ab sofort nur noch eine Energieaufwendung nötig. Die Welt kann also wieder ein bisschen aufatmen (und sollte dabei möglichst einen Luftballon vor den Mund halten, um die Blasenergie zu nutzen).


30.08.2006 | 02:20 | Sachen kaufen | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Lehm, Grafit und Zedernholz


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der Bleistift! Die Schreibmaschine, der Füller, Kuli, Computer konnten ihm nichts anhaben. Jeder besitzt einen, bzw. einen ganzen Haufen davon, denn allein die Jahresproduktion der grossen Nürnberger Firmen Faber, Staedtler & Co. beläuft sich auf drei Milliarden Stück, d.h., die Jahresproduktion an Bleistiften insgesamt dürfte die Zahl der Weltbevölkerung deutlich übertreffen. Gibt es noch anderes Werkzeug, von dem sich das sagen liesse?

Fragt sich allerdings, wo die ganzen Bleistifte bleiben? Leergezeichnet, weggespitzt werden sie wohl kaum. Eher verstecken sie sich in den Ecken von Schubladen, unterm Teppich, hinterm Schrank. Dort fühlt sich der Bleistift erst richtig wohl und kann ein beachtliches Alter erreichen – im Museum gibt es ein immer noch rüstiges, im 17. Jahrhundert vergessenes Blei zu bestaunen.

Das Produkt selbst ist lange schon ausgereift. Ein wenig aus der Reihe tanzt der Premium-Bleistift "Grip 2001" mit seinen Noppen. Ob man dafür einen ganzen Euro ausgeben will? Im Test ist er nicht schlechter als andere Stifte, und die Noppen machen ein lustiges Gefühl im Mund. Geschmackssache.

Statt an einem ausgereiften Produkt herumzudoktern, statt es mit Werbung zu bedrucken, sollte man lieber versuchen, den Bleistift für andere, schreibferne Zwecke zu vermarkten. Ein Beispiel ist der Bleistifttest, mit dem man u.a. prüft, ob es wohl notwendig sei, einen BH zu tragen (eine Variante für den Mann gibt es auch). Hier liesse sich ansetzen. Warum nicht, statt Metall durch Körperteile zu pieksen, diese mit einem Bleistift verzieren? Der gute alte Stift hinterm Ohr könnte so zum Trend werden. Und ist der Trend dann wieder passé, ist auch nichts verloren. Man zieht das Ding ohne Verdruss hinterm Ohr hervor und schreibt, kritzelt, zeichnet. So oder so ist's gut.

Martin Bartholmy | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


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