Riesenmaschine

22.07.2020 | 16:17 | Anderswo | Essen und Essenzielles

Ein arger Tag in der SPAR-Regionalzentrale St. Pölten


Foto: Maik Novotny
Durch die zigarettenrauchvergilbte Türverglasung linste Pilnacek in den Besprechungsraum "Wachau". Alles schien nach Plan zu verlaufen. Aufgeregt kritzelten der Untereder Markus, die Meierhofer Bärbel und der Lechner Joschi auf Flipcharts, legten Finger an Wangen, gestikulierten erregt umher. Pilnacek gratulierte sich selbst für die Idee, die drei frisch von der Uni in den Betrieb gepurzelten Nachwuchskräfte mit ihrem Akademikergetue mit der Idee eines "Think-Tanks" geködert zu haben. Er freute sich schon darauf, sie abschmieren zu sehen bei der Präsentation der neuen Produktphilosophie im Bereich "Knack- und Snackwurst" vor Regionalleiterin Ragoschnig-Semler, die aus ihrer Abneigung gegen alles Intellektuelle nie einen Hehl gemacht hatte.

Mit kaum getarntem Feixen sass Pilnacek in der ersten Reihe, als die Präsentation in der SparSkyLounge anstand. Und in der Tat schien alles nach Plan zu laufen. Natürlich hatten sich die drei hochnäsigen Absolventen vor lauter Selbstbewusstsein zwar auf eine 3-in-1-Idee, aber nicht auf deren Namen einigen können und traten getrennt gegeneinander an. Anfänger!

Mit Untereder, dessen Philosophiestudium sein Kindheitstrauma des katholischen Internats Melk nie ganz ausräumen konnte, und der den Namen "Knackwurst-Golgatha" vorschlug, wurde kurzer Prozess gemacht. Die Meierhofer (Kunstgeschichte in Wien und Florenz, Promotion über Hermann Nitsch) konnte zunächst Sympathiepunkte bei Ragoschnig-Semler ernten, doch ihr "Blut-Fleisch-Rauch-Triptychon" wurde von der Grafikabteilung abgeschossen ("geht sich in 30-Punkt-Schrift nicht aus"). Pilnacek rutschte erwartungsvoll auf dem Stuhl nach vorne. Gleich würde er in gespielter Spontanität aufspringen und seinen vorbereiteten Claim "G'SCHMACKIG – G'MIATLICH – GUAT" in den Raum krähen. Der vakante Posten als Abteilungsleiter "Niedrigpreisiges Linearhartfleisch" war ihm quasi sicher.

Doch als der schüchtern-verdruckste Lechner Joschi (18 Semester Literatur, Uni Graz) seinen Vorschlag vor sich hin murmelte, klatschte die Ragoschnig-Semler entzückt in die Hände. Sie habe in ihrem Literaturkreis kürzlich die freudianischen Aspekte in Stanislaw Przybyszewskis Romantrilogie "Homo Sapiens" erörtert, fühle sich hier "vollständig abgeholt" und würde die Details umgehend mit dem schwarzlockigen Lechner Joschi in ihrem Büro besprechen wollen. Literaturkreis? Die Ragoschnig-Semler? Pilnacek hatte nicht geahnt, wie arg die Corona-Pause einen Menschen verändert konnte. Bedröppelt schlich er zurück in sein Büro und stornierte die Bestellung für den neuen SUV.

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Maik Novotny | Dauerhafter Link


18.04.2020 | 22:39 | Essen und Essenzielles

Was reimt sich auf Bilch-Alternative?


Dass es Milch ist, erkennt man an der Packungsfarbe hellblau (Foto: Michael Brake)
Wir müssen verstehen lernen, dass wir in Sachen Pflanzendrinks aka vegane Milchalternativen noch immer ziemlich am Anfang stehen. Nach Phase 1 (es gibt Sojamilch, sonst nix) und Phase 2 (neue Einkomponentenalternativen wie Reis-, Mandel-, Hafermilch diversifizieren und erweitern den Markt) folgt nun Phase 3: Verfeinerung durch Kombination. Echte Rezepturen! Unendliche Möglichkeiten!

Die schlicht "Milk Alternative" benamte Variante des Hamburger Unternehmens Harvest Moon vereint Kokos, Cashew, Reis, Hefeflocken, Sonnenblumenöl, Wasser und Meersalz in sich. Zielgruppe sind Leute, die sich 2,99 Euro für eine Tüte "Milch" im Ethnolook ihres Bio-Supermarktes leisten können und wollen. In Glas, Kaffee und Müsli getestet kommt die laktosefreie Milk Alternative "echter" Kuhmilch in Viskosität, Opazität und Geschmack tatsächlich verdammt nah, erreicht aber dennoch nicht die mundhaptische Tiefe des Originals, vor allem der leicht sahnige Schmierfilm im Gaumen wurde vermisst.

Aber wie gesagt: Wir müssen verstehen lernen, dass wir in Sachen Pflanzendrinks noch ziemlich am Anfang stehen. Die Verfeinerung wird weitere Phasen durchlaufen, bis schliesslich die rein pflanzlichen Zutaten in einer Art Wirtskörper gegärt und in komplexen biochemischen Prozessen in ein Getränk umgewandelt werden, das von echter Milch nicht mehr zu unterscheiden sein wird!

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23.08.2018 | 23:56 | Essen und Essenzielles

Mink Shite Baby


"I prepared it as I bathed" (Foto: Aleks Scholz)
Manche Trends sind wie Schnecken – langsam unterwegs und in ihrer Trajektorie nur erkennbar, wenn man sich hinterher genau die Schleimspuren ansieht. Die Verschmelzung von Nahrungsmitteln und Hygieneprodukten ist so ein Trend. Die Ursprünge der Idee liegen verwaschen im vorigen Jahrtausend, eventuell wie so viele popkulturelle Extravaganzen in der amerikanischen Sitcom Seinfeld, wo Kramer damit anfängt, Essen in der Dusche zuzubereiten. Im Jahr 2006 berichteten Prof. Friebe und Dipl.-Ing. Lobo in der Riesenmaschine von ersten Hybridschleimsichtungen in freier Wildbahn: Duschgele in Geschmacksrichtung Avocadoöl & Mandelmilch, Haarprodukte aus Bier und Hautcreme, die wie Marshmallows riecht.

Kaum zwölf Jahre später hat sich die Erde und mit ihr der Trend ein paarmal um die Sonne gewendet. Palmolives Gourmet-Duschgelserie schmeckt wahlweise nach Coconut Joy, Strawberry Touch, Vanilla Pleasure, Chocolate Passion oder, ganz neu, Mint Shake, und wenn man nicht genau wüsste, dass es Duschgel ist, würde man es für Pudding halten, die Art, die Dr. Oetker Paradiescreme nennt, fluffig, steifgeschlagen, kaltgestellt. Während normales Duschgel sich leichtölartig am Körper verteilt, klebt die Gourmet-Body-Butter von Palmolive an Stellen und wartet darauf, mit der Zunge oder anderen geschickten Körperteilen vermanscht zu werden.

Wie Experimente zeigen, ist es ohne weiteres möglich, in der Achselhöhle durch Vermischung von Mint und Chocolate den Geschmack von After Eight zu erzeugen, eine Mix-und-Match-Idee, die vielleicht von der Jelly-Beans-Industrie übernommen wurde. Wir melden uns wieder in etwa zehn Jahren mit neuen Entwicklungen in dieser Sache.

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Aleks Scholz | Dauerhafter Link


27.07.2018 | 10:47 | Anderswo | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Ein schöner Tag an den Vilsa-Quellen


Foto: Michael Brake
Der Druck war grösser als der eines Geysirs! Nur zwei Wochen, nachdem Merterhens seine Stelle als Junior Water Portfolio Manager bei Vilsa angetreten hatte, sickerte durch, dass die niedersächsische Traditionsmarke beim grossen Mineralwasservergleich der Stiftung Warentest mit der Gesamtnote 3,5 erneut auf einem der letzten Plätze landen würde.

Da musste schnell eine Produktinnovation her, denn wen man im traditionell sturen nordwestdeutschen Markt erstmal als Kunden verliert, den verliert man für immer. Mit Geschmack konnte Merterhens nicht arbeiten, da hätte er unweigerlich in den trüben Gewässern der Abteilung H2Obst gefischt. Auch das Premiumsegment war durch die Vilsa-Gourmet-Reihe bereits besetzt, ein darüber hinausgehendes High-Society-Produkt a la Bling H2O hätte sich nicht mit dem Vilsa-Markenkern (sauber – flüssig – bräsig) vertragen.

Zu verrückt durfte Merterhens ohnehin nicht werden: Sein Vorgänger wurde nach der Havarie seines Konzepts für "Mittelstrahlquellwasser" aus der Firma gespült. Also mied er alle Versuche in Richtung Functional Water – in Deutschland hatte sich ja nicht mal Vitaminwater durchgesetzt – oder gar mit farbigen Produkten wie der Teufel das Weihwasser.

Die Tage vor der Präsentation waren härter als eine Chinesische Wasserfolter. "Denk nach, Merte, denk nach!", feuerte Merterhens sich an. "Du hast nicht umsonst die Ausbildung zum Wassersommelier mit Auszeichnung bestanden." Dann hatte er es! Die ewige Trias aus Wasser mit Kohlensäure (classic), ohne Kohlensäure (naturelle) und, für die Generation Unentschlossen, Wasser mit ein wenig Kohlensäure (medium) wurde aufgebrochen und durch das wahnwitzig in lachsorange gehaltene Vilsa leichtperlig mit nur ganz wenig Kohlensäure ergänzt.

Es war ein Dammbruch in der Karriere von Merterhens, nun würde er bald nach ganz oben gespült. Denn mit Vilsa starkperlig – stärker als Medium, schwächer als Classic! – hatte er seinen nächsten Trumpf ja schon in der Schublade. Es muss nicht mehr viel Wasser die Weser hinabfliessen, dann würde er der jüngste Senior Water Portfolio Manager der über 100-jährigen Vilsa-Firmengeschichte sein.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein historischer Tag in der mittelständischen Schokoladenfabrik


25.11.2016 | 18:03 | Supertiere | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Ein historischer Tag in der mittelständischen Schokoladenfabrik


Foto: Michael Brake
Der Auftrag schien unmöglich: Als neuer "Produktmanager Bipedal-Schokolade" sollte Büscheling im Geschäftsjahr 2016/17 Produktionskosten-Einsparungen von 35 Prozent erzielen, bei gleichbleibendem Umsatz. Allen war klar, dass Kakao-Kammarth, wie der greise Firmenpatriarch ehrfurchtsvoll genannt wurde, Büscheling mit dieser Position abstrafen wollte für dessen grauenvoll missratenen Launch von "grauer Schokolade" (weiss + 90%-Bitterschokolade gemischt).

Doch Kakao-Kammarth hatte nicht mit Büschelings Erfindungsreichtum gerechnet. Letztlich war es der dienstagabendliche Squashtermin mit Vonnebrink aus der Gebinde-Abteilung, der den entscheidenden Einfall brachte: Dank billig eingekaufter Produktionsstrecken aus der Ostukraine konnte man Alufolienverpackungen jetzt für einen Bruchteil des früheren Preises bedrucken und beschneiden. Da wurde Büscheling natürlich hellhörig!

Als Mitarbeiter des Jahres wurde Büscheling, wie es die Kammarth-Tradition gebietet, in den Schokoladenspringbrunnen geworfen. Dank seines Weihnachtshasen "Rudi Rabbit" konnten die ohnehin defizitär arbeitenden Einschmelzwerke in Gifhorn und Salzwedel abgewickelt werden, die Firma machte ein Rekordergebnis. Büscheling grinste. Wie Kakao-Kammarth erst gucken würde, wenn er beim nächsten Jour Fixe den "Ostermann" präsentierte!

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein anstrengender Tag in der Firma Gehring-Bunte Getränke Industrie GmbH & Co.KG, Bielefeld


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