Riesenmaschine

31.07.2008 | 16:00 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Ein schöner Bloomstag in der Güldenkron Fruchtsaft GmbH, D-57647 Nistertal


(Foto: Holm Friebe)

(Foto: Holm Friebe)

Es geschah am 16. Juni (Foto: Holm Friebe)
Stattlich und feist erschien Buck Orgelmann am Treppenaustritt, eine Fruchtsaftschale in Händen, auf der gekreuzt ein Grapefruitlöffel und ein Trinkhalm lagen. Ein gelber Schlafrock mit offenem Gürtel bauschte sich leicht hinter ihm in der milden Morgenluft. Er hielt die Schale in die Höhe und intonierte: Introibo ad altare Dei. Von den apfelsinenblauen Bergen wehte mild ein stream of consciousness herüber, und Orgelmann rief aufgekratzt: "Komm rauf, Beiküfner! Komm rauf, du feiger Jesuit! Jetzt werden Claims mit Köpfen gemacht!"

Beiküfner, der seit dem Rauswurf Manskes Reinigungskolonne und Art Director in Personalunion war, liess seinen Besen sinken. Die Entwicklung der neuen Produktlinie musste vollkommen an ihm vorübergegangen sein. Hatte der Seniorchef wieder im Alleingang Südfrüchte ins Leitungswasser gezwungen? War beim Verestern der Buttersäure etwas schiefgelaufen? Jetzt hiess es Schlagfertigkeit beweisen. Beiküfner schloss die Augen, sog an dem hingehaltenen Trinkhalm und murmelte: "Erfrischend und lecker! Refresh and lecker!" Das gefiel dem Orgelmann nicht schlecht. Er befahl, fortzufahren. Beiküfner legte ein zartes "Irgendwie voll lecker!" nach. Auch okay. "Aber jetzt mal weg vom lecker! Mehr Inhalt!" mahnte Orgelmann. "Mit Vitaminen in sich drin! Vitamins added!" rief Beiküfner. "Yes! Yes!" antwortete Orgelmann.

Die Begeisterung seines Chefs übertrug sich per Spiegelneuronen sofort auf Beiküfner zurück. Er hüpfte über den waschbetonverblendeten Hinterhof der Güldenkron Fruchtsaft GmbH und wirbelte mit seinem Besen zwei Wollmäuse vor sich her: "Und mordsmässig zuckersüss! Fucking sugarsweet!" Der enthusiastische Ausdruck auf dem Gesicht des Firmenpatriarchen versteinerte. War es das Wort fuck? War es sugar? Beide erinnerten Orgelmann unwillkürlich an das Showformat, das er vor wenigen Tagen im kommerziellen Fernsehen entdeckt gehabt hatte. Streichholzdürre Frauen der Unterschicht kämpften um die Krone der Allerschönsten und verweigerten die Nahrungsaufnahme. Das schien so eine Art Trend zu sein, das hatte sogar schon einmal im Nistertaler Tagesboten gestanden. "Kein sugar!" dekretierte Orgelmann geistesgegenwärtig. "Sugar ist out." – "Dann kalorienarm im Gegenteil! Calorie-dings!" preschte Beiküfner unbeirrt voran; und wieder einmal hatte die Güldenkron Fruchtsaft GmbH ein neues Topprodukt in Rekordzeit plaziert.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein nur für manche schöner Tag in der Werbeagentur


30.07.2008 | 17:13 | Supertiere | Alles wird besser | Sachen kaufen

Molekularkuscheln


Supercute! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nach Jahren kommt überraschend wieder Bewegung ins totgeglaubte Plushie-Business. Da es mittlerweile alle erdenkbaren Mikroben und Bakterien zum Kuscheln gibt, wird von dieser Basis fortan in zwei Richtungen gearbeitet: The Particle Zoo hat die Stufe der Kuschelzellen und -atome behände übersprungen und bewegt sich auf submolekularer Ebene. Das Sortiment umfasst 33 niedliche Elementarteilchen, darunter Quarks, Leptonen, Eichbosonen, Baryonen, hypothetische Teilchen und natürlich auch 11 dazu passende Antiteilchen (separat verpackt). Die I Heart Guts (beide via Geekology) hingegen haben sich auf dem entgegengesetzten Weg schon bis zur Organebene vorgearbeitet. Neben den Klassikern wie Niere, Leber und Lunge gibt es seit neuestem auch das Gehirn und das limitierte Herz aus Gold. Als nächsten Schritt wird es dann wohl komplexe Kuschelorgansysteme, Kuschelskelette und später womöglich ganze Kuschellebewesen geben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Endlösung der Kuscheltierfrage


29.07.2008 | 23:40 | Anderswo | Papierrascheln | In eigener Sache

Der 1.300.000.001. Chinese


Das leptosome Krokodil ist ausnahmsweise mal kein Lacoste-Counterfeit, sondern soll ein Drache sein. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der mit einiger Spannung erwartete Riesenmaschine-Bücherherbst hat begonnen. Den Anfang macht Christian Y. Schmidt, Riesenmaschine- und Titanic-Lesern bekannt durch seine Südostasien-Berichterstattung, mit seinem Reisebericht Allein unter 1,3 Milliarden, soeben erschienen bei Rowohlt Berlin. Dafür hat sich Schmidt, in fester Absicht, sich Land und Leuten anzuverwandeln, auf eine 5.386 Kilometer lange Ost-West-Expedition entlang der Landstrasse 318 begeben; die Route geht von Shanghai nach Kathmandu. Unterwegs streift er diverse heilige Berge, weltgrösste Stauseen und Himalayas, rettet Hippie-Travelerinnen aus höchster Gefahr und kommt insgesamt mehrmals selbst nur knapp mit dem Leben davon. Gesäumt wird sein Weg von Pidgin-Trouvaillen, von denen "A triumph of excess" noch nicht einmal die schönste ist.

Dazwischen gelingen ihm interessante Reflexionen und Relativierungen hinsichtlich der gängigen Meinung und Haltung zu China und seiner Staatsform. Da rückt die Tatsache, dass die Chinesen unter anderem Nudeln, faltbare Regenschirme, Drachen, den Kompass, Seide, Papiergeld, Stahl und Toilettenpapier erfunden haben, den westlichen Piraterie-Diskurs in ein völlig neues Licht: "Wenn die Chinesen aber heute ein paar Gucci-Taschen, Ritter-Sport-Schokoladetafeln, Rolexuhren kopieren, redet alle Welt von geistigem Diebstahl, statt einfach froh zu sein, dass die Chinesen nicht den Rest der Welt auf Billionen verklagen, allein für das Nachkochen von Stahl."

So lebt das Buch am Ende in der Tat weniger von den touristischen und halsbrecherischen Details, von Spannung und Abenteuer, letztlich ist es "nur ein etwas ausgedehnter Sonntagsspaziergang eines alten, viel zu nervösen Sacks", wie Schmidt in einem seiner raren selbstkritischen Momente einräumt. Dafür gibt es etwas zu lernen über das grösste Volk der Erde, und wie es Religion und Alltag bewältigt. Dieses Wissen könnte demnächst auch hierzulande von Nutzen sein, wenn die Chinesen uns demnächst "alle in der Pfeife rauchen", wie Schmidt zu prophezeien nicht müde wird. Ein Vorgeschmack mit Bildern findet sich hier.


29.07.2008 | 11:23 | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Ein nur für manche schöner Tag in der Werbeagentur


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Stenzel kochte. Dieses Arschloch. Er hatte es schon wieder getan! Wonnegat, Junior Creative Director aus dem 2. Stock, war mal wieder "rein zufällig" beim Meeting für die neue Hornbach-Frühjahrs-Aktion in den Konfi geschneit, hatte mal wieder wie nebenbei einen Satz gemurmelt, den Dr. Vöckel, Chief Creative Officer und extra aus Düsseldorf angereist, mal wieder umgehend zum Kampagnenclaim erklärt hatte. Stenzels eigene Arbeit – vier Wochen lang Marktdaten, Creative Briefs und Brand-Core-Analysen lesen, die Werbung aller deutschen Baumärkte seit 1985 auswendig lernen und aus diesem Wissen dann zehn verschiedene Kampagnenideen erstellen – war dahin.

Seit Jahren ging das nun so. Stenzel hatte sich "Yippiejaja yippie yippie yeah" ausgedacht – das als Markenclaim schon vor langem durch Wonnegats "Es gibt immer was zu tun" ersetzt worden war. Stenzel hatte Schnick und Schnack, die Hand-Drauf-Aktion, den Stuntman-Spot und die Hornbach-Sommerspiele erfunden – Wonnegat hatte im Vorbeigehen "Mach es fertig, bevor es dich fertig macht", "Sie werden wachsen. Mit jedem neuen Projekt" und "Jedes Projekt macht dich besser" getextet. Und statt von Stenzels "Liebe Dein Zuhause. Dann liebt es Dich auch" oder der "Blixa Bargeld liest Hornbach"-Aktion redeten alle nur über die angeblich schlichte Genialität von "In jedem Projekt steckt ein Teil von dir" und "Mach's wie du willst – aber mach's". Aber wie konnte Wonnegat, der ohnehin schon parallel auf zwei Grosskunden arbeitete, bloss immer wieder neue Claims aus dem Ärmel schütteln?

Später am gleichen Tag lag Wonnegat zufrieden in seinem Bett. Düsseldorf freue sich auf ihn, so hatte Dr. Vöckel bei seiner Verabschiedung versichert. Wonnegat öffnete die Nachttischschublade, holte seinen beim Firmenwichteln 2002 gewonnene Abreisskalender "365 Spruchweisheiten für den Freiberufler von heute" hervor und wog ihn liebevoll in seinen Händen. Er hatte ihn auch dieses Mal nicht im Stich gelassen und dabei war er erst beim 15. Januar angekommen.

Mal schauen, was auf der nächsten Seite stand... aha: "Wem du bei deinem Projekt vertraust, dem kannst du bei allem vertrauen". Ausgezeichnet, dachte Wonnegat. Daraus sollte sich doch was für die Sommer-2008-Kampagne machen lassen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein dann doch noch ganz schöner Tag in der Hama GmbH & Co KG


24.07.2008 | 02:10 | Anderswo | Supertiere | Fakten und Figuren

Von Mäusen und Mäusen (und Mäusen)


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nagetiere, Riesenmaschine, Schutzpatrone, Huldigung, wir können es nicht oft genug sagen. Eine besondere und wichtige Rolle spielt hierbei die Nagetierforschung, die sich allein dem Zweck verschrieben hat, herauszufinden, wie man die Welt noch besser für Nagetiere einrichten kann. Daher freuen wir uns ausserordentlich, dass von heute bis zum 28. Juli zum elften Mal der internationale Nagetierkongress Rodens et Spatium tagt, dieses Mal im russischen Städtchen Myschkin, Heimat des welteinzigen Mausmuseums.

Das Programm ist ortsgerecht äusserst mauslastig gehalten und umfasst 72 Vorträge, unter anderem "Spatial interrelations between bank voles and yellow-necked mice in Crabapple Island", "The wood mouse (Apodemus sylvaticus) in treeless Iceland: Surviving north of the natural distribution range", "Mosaicism, caused by B chromosomes variability, in the Korean field mouse", "Do field voles have a good spatial orientation?" und "Food intake regulation in pregnant and suckling mice". Dazu kommen rund 100 Posterpräsentationen und eine Handvoll Symposien.

Für die Riesenmaschine wollte eigentlich Bilchexpertin Kathrin Passig live aus Myschkin berichten, musste aber enttäuscht feststellen, dass die Anmeldefrist vor vielen Monaten abgelaufen war. Warum wir dann trotzdem noch auf den Kongress hinweisen? Nun, warum denn nicht? Bei anderen Veranstaltungen wie dem G8-Gipfel wird doch genauso verfahren. Ausserdem verlangen sie es von uns.


[1] 2 3 4

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Hanzo-Verhörmethoden

- Schamhaar von der Schiffer im Flusensieb

- Binturong

- tropfnasses Fellbündel

*  SO NICHT:

- dem Armlehnenquisling im Kino die Meinung "geigen"

- Hirnhaut eincremen, also wirklich!

- Knorpelkohle

- Stupid Design


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Dark Touch", Marina de Van (2013)

Plus: 3, 12, 48, 102, 117, 127, 132
Minus: 1, 4, 42, 118, 209
Gesamt: 2 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV