Riesenmaschine

31.01.2007 | 19:10 | Essen und Essenzielles

Baff & Beppo


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Neue, frische Produktnamen sollten immer mit Bedacht gewählt werden und beredt sein, Glassex z.B. als Fensterreiniger, nur wenn man ein echtes Interesse am Platejob hat. Jeder in den siebziger Jahren Sozialisierte erinnert sich an ein karamellisiertes Popcorn namens Baff. Die nach einem von einem Hund durchgekauten Pantoffel schmeckenden Nuggets mussten verschwinden, die Beruflich Aktiven Frauen in Franken machten Titelschutz geltend. Und schon wieder wird etwas karamellisiert, Keksmulti Bahlsen wirft Beppo auf den Markt, fettigglasierte Erdnussflips. Was damit assoziiert werden soll, ist unklar, ist es der bayrische Brachialkomiker Beppo Brem, oder die nach faulen Eiern riechende japanische Rentnerstadt Beppu? Zumindest ist die Zielgruppe dadurch schonmal eingekreist.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


31.01.2007 | 10:29 | Supertiere | Vermutungen über die Welt

Dämonen

Abstract: "Ich verstehe, dass es da einen kleinen Chinesen bei euch gibt und dass in der Nature wie immer Sachen stehen, die uns vermutlich alle angehen, die aber nur Naturwissenschaftler spannend finden. Sonst nichts." (Michael Brake)

Die Welt ist voller Dämonen. Der kleine chinesische Mann zum Beispiel, der nahe dem Sather Gate am Südzugang zum Campus in Berkeley auf einen Stuhl einen Plastikeimer stellt und auf den Plastikeimer dann sich selbst, ein wirres Schild hochhält und stundenlang "Happy Happy Happy" singsangt, lässt nur fröhliche Menschen in den Campus und erhöht also damit die Gefühlstemperatur im Inneren. Vermutlich weiss er auch Erhebliches über Flugbahn und Antrieb der an ihm vorbeidriftenden Lunchhungrigen, und könnte daraus Zukunft und Vergangenheit von ganz Berkeley lesen. Der kleine Chinese also ist gleichzeitig eine Verkörperung der Dämonen von Laplace und Maxwell, den beiden in der Naturgeschichte umgehenden Gespenstern des Determinismus und der Ordnungswut, und so sieht er auch aus.

Abgesehen vom kleinen Chinesen gab es bislang wenig Anzeichen dafür, dass es diese beiden Dämonen auch real geben könnte. Dem Laplaceschen, der aus einer beliebigen Momentaufnahme des Universums alle Vergangenheit und Zukunft bestimmen kann, brach die Kombination aus Chaostheorie und Quantenmechanik das fiktive Dämonengenick, und der Maxwellsche muss, um wie von Maxwell vorgeschlagen Moleküle der Wärme nach sortieren zu können, Informationen verarbeiten, und der modernen chymischen Hochzeit von Thermodynamik und Informationstheorie zufolge gleicht sich der Zugewinn an Ordnung beim Sortieren mit der Notwendigkeit der Vernichtung der gesammelten Informationen exakt aus: der Maxwellsche Dämon, der scheinbar eine theoretische Möglichkeit schuf, die berühmte zerbrochene Kaffeetasse wieder auf den Tisch springen zu sehen, und den Zeitpfeil umzukehren, kann den Drang der Natur zum Gleichgewicht nicht umkehren. Weil er selbst wieder vergessen muss, was er weiss. Soweit die Theorie.

Seit heute nun aber bleibt auch in der Praxis alles dabei, denn wie Nature berichtet wurde zwar aus einem Molekül namens Rotaxan eine winzige molekulare Ratsche fabriziert, die bei Lichteinfall gezielt Teilchen verschiebt – das heisst, die selbst eine Art Maxwellscher Dämon wäre – würde nicht "während der Isomerisation des Gatters durch den Sensibilisator des Makrozyklus" ("Nummer Eins! Energie!") der molekulare Ordnungsgewinn wie von der Theorie vorhergesagt beim Zurücksetzen des molekularen Informationsspeichers wieder zunichte gemacht.
Der Dämon bleibt also Fiktion, die Tasse kaputt, der Kaffee vergossen. Wie traurig. Kleiner Chinese, hilf.


31.01.2007 | 01:18 | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Die totale Versymbolung von allem


Eine Art eingebautes Verfallsdatum (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Im letzten Jahrtausend schrieb der Wortkomponist Max Goldt von der Beschriftung der Bevölkerung und meinte Textiltexte. Diese Beobachtung erhält inzwischen einen gesamtkulturellen Kontext: Der Mensch scheint dazu zu neigen, alles ihn umgebende Zeug semiotisch vollzusauen. Im Verbund mit einem Beherrschungsdrang ist uns Greiffenhagens Wort "Wer die Dinge benennt, beherrscht sie" offenbar ins Genset gebrannt und zur Sicherheit flanschen wir zusätzlich zur Benennung noch eine Handvoll Symbole dran. Und zwar immer überaller; hier wird auf Äpfeln frohe Weihnacht gewünscht, immerhin, es könnte auch iPod-Werbung sein. Zeichen sind auf Bäumen ebenso zu finden wie sie mit Bäumen konstruiert werden oder mit Gebäuden, es ist schwer, überhaupt unbeschriftete Waren im täglichen Konsumverkehr zu entdecken. Design- und Zeichenexperte Ezio Manzini (Minimal-Blogger mit einem soliden Schnitt von drei Postings pro Jahr) spricht von "semantic pollution", die Antikommunikationsguerilla träumt von Brillen, die Zeichen wie Werbung ausblenden.

Muss man also die Allgegenwart der Zeichen verdammen? Nicht unbedingt. Grosssemiot Umberto Eco, der Mann mit den meisten Ehrendoktorwürden (31), verspricht Rettung nur derjenigen Zivilisation, die Zeichen zur kritischen Reflexion einsetzt statt als quasihypnotischen Ablenkmechanismus. Wir schliessen daraus: Wenn nächstes Jahr auf Supermarktäpfeln Revolutionsparolen zu lesen sein werden, geht die Welt nicht unter. Sonst leider doch.


30.01.2007 | 18:55 | Anderswo | Alles wird besser

Bang, Bang, Kiss, Kiss


Bang, Bang

Kiss, Kiss
Wie versprochen, kehrt die grosse Yunnan-Expedition der Riesenmaschine noch einmal in das ballsaalgrosse Badezimmer des YunDa-Hotels in Kunming zurück und fördert weitere revolutionäre Produkte der chinesischen Hygieneindustrie zu Tage, die tatsächlich nach dem Motto handelt "bravely create innovation road to be the first in the world".

Da ist zunächst einmal ein kleines blaues Tütchen, das ein Kondom und eine Flüssigkeit enthält. Hergestellt hat es die Firma Yirenbao aus Shenyang. Der Gebrauchsanweisung entnimmt man, dass es sich bei der Flüssigkeit um eine "pure Chinese medicinal preparation" handelt, die speziell zum Waschen der männlichen Genitalien entwickelt wurde. Neben dem blauen findet sich auch ein hellgrünes Tütchen, dieses für die entsprechenden Körperteile der Frau. Zu benutzen sind beide Emulsionen zu Hause, auf Reisen, beim Schwimmen, bei der Wahl zur Miss World – denn es sind "The 53rd of Miss World Final Appointed Products" –, insbesondere aber vor und nach dem Geschlechtsverkehr. Dann kann das Mittel jede noch so eklige Infektionskrankheit abwenden ("It can prevent any infectious diseases"), das heisst, die ganze Latte von Tripper über Staupe bis hin zum modernen AIDS.

Mit diesem hervorragenden Sexual health thing ist also untenrum die Gefahr gebannt. Für obenrum aber greift man zum Kiss B-Mundwasser. Auch das kommt im YunDa-Hotel in zwei geschlechtsspezifischen Varianten, logisch, denn Frauen und Männer machen ja auch verschiedene Sachen mit dem Mund. Das Mundwasser kippt man auf Reisen, zu Hause, beim Schwimmen und vor und nach dem Geschlechtsverkehr einfach in den Mund. Die reine chinesische medizinische Zubereitung aber benutzt man so: "Use this product on and around the pudenta by massaging for 2-3 minutes, then rinse with clear water and wipe with a pasteurized wet towel." Und wo bekommt man jetzt im YunDa Hotel ein sterilisiertes, nasses Handtuch her? Ganz einfach! Man holt sich zwei Literflaschen sterilisiertes Wasser aus dem Supermarkt und ... na, das wissen Sie jetzt selbst!

Dieser Beitrag ist ein Update zu: So nass und so nützlich

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


30.01.2007 | 14:14 | Berlin | Supertiere

Gewappnet für den Winter


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Von einem guten Wappentier erwartet man, dass es gewisse charakterliche Grundzüge seines Trägers widerspiegelt. Der doppelköpfige Adler im Wappen Österreich-Ungarns symbolisiert Weitsicht, Scharfsinn und allgemeine Planlosigkeit, der Löwe im Stadtwappen der kreisfreien Stadt Wuppertal verkörpert Virilität, Pioniergeist und eine Neigung zu Alkoholismus etc. Nur konsequent, dass auch die heutigen Grosskonzerne als moderne Staaten im Staat sich in dieser heraldischen Tradition Symboltiere zulegen, die wichtige Attribute ihrer inkorporierten Identität personifizieren. Die Gasag zum Beispiel hat sich mit dem glimmenden, von innen heraus illuminierten Eisbären ein aussagekräftiges Maskottchen gewählt, das auf den ersten Blick unmissverständlich klar macht, dass es hier um Winter und polare Kälte bzw. deren Abwesenheit und also genaues Gegenteil geht. Als grundsympathischer Zeitgenosse dürfte der Eisbär zudem einen Schlag bei grossen Teilen der Bevölkerung geniessen, ungeachtet seines in der Realität mitunter durchbrechenden raubtierhaften Rüpelverhaltens.

Rätselhaft bleibt allerdings die Botschaft der aktuellen Kampagnenmotivs, worin der vermeintlich familienkompatible Sympathieträger ganz augenscheinlich den Hund der Familie qua physischer Überlegenheit aus dessen Körbchen vertrieben hat, um sich selbst wonnig hineinzukuscheln, während jener auf das harte Parkett verwiesen ist, was ihm seinem bedröppelten Gesichtsausdruck nach alles andere als zusagt. Wir wissen nicht genau, was uns das sagen will, aber vielleicht hat es ja irgend etwas mit den in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegenen Gaspreisen des Versorgers zu tun. Als Repräsentant der Endkonsumenten vermittelt der geprügelte Hund gleichsam die Botschaft "Du bist nicht allein" und stiftet somit zumindest Trost, wenn nicht gar so etwas wie Identifikation mit dem Angreifer.


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