12.06.2006 | 01:52 | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) Die WM bringt es mit sich, dass die Werbung, normalerweise erpicht auf Alleinstellungs- und Unterscheidungsmerkmale, zu einer einzigen gleichförmigen und ununterscheidbaren Fussball-Sauce verschmolzen ist. Kein Möbelmarkt, keine Burger-Kette, kein Autohaus, der, die, das nicht mit einem wie auch immer konstruierten Fussball-Bezug – entweder als FIFA-Sponsor oder unter bauernschlauer Umgehung der FIFA-Richtlinien – aufwartet. Wie Nielsen Media Research herausgefunden hat und die Berliner Zeitung berichtet, ist die Zahl der Werbebotschaften mit Bezug zur WM im Mai auf 868 angeschwollen, darunter 294 neue TV-Spots. Weil alle das selbe zur gleichen Zeit tun, kommt es zur Resonanzkatastrophe; Werbung mit Fussballbezug wird zur Tarnung. Ein Werbemotiv, ganzflächig im Camouflage-Muster gehalten, wäre ein echter Hingucker dagegen.
Einige Botschaften stechen qua Werbedruck, Penetranz und Eigentümlichkeit dennoch hervor. Während das Gros der Marken auf Eintracht, Frieden und Völkerverständigung setzt, baut die ehedem als Symbol des globalen US-Imperialismus und "Impi-Brause" verschriene Coca-Cola voll auf das neue Wir sind wieder wer-Gefühl und schwingt die Patriotismus-Keule. "Statistisch gesehen wird Deutschland in Deutschland immer Weltmeister" heisst eine der Headlines, die spätestens nach der Vorrunde aufs Peinlichste falsifiziert werden wird. Die zugehörigen TV- und Radiospots operieren mit einer auftrumpfend gepfiffenen Stimmungsmelodie, die an Wandervogelbewegung und Pfadfinderaufmärsche, wenn nicht Schlimmeres denken lässt und nachgerade verleitet, ein zackiges "Eukalyptusbonbon" im Kasernenhofton dazwischen zu schmettern. Wie wenig diese einseitige und anbiedernde Parteinahme zu einer – wenn nicht der – globalen Marke wie Coca-Cola passt, offenbart sich am deutlichsten im Titel der Melodie und dem verdruckst denglischen Motto der gesamten Kampagne: It's your Heimspiel! Was soll das sein? Kreidefressen angesichts der aktuellen US-Aussenpolitik? Glokalisierung? Appeasementpolitik 2.0? Oder einfach das Anknüpfen an eine fruchtbare Tradition? Wir wissen es nicht.
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Alles, was der Ball ist
Kommentar #1 von irgendwem:
Interessanter Beitrag, aber im zweiten Absatz die Wandervogel- oder Pfadfinderbewegung in die braune Ecke zu rücken, ist eine echte Frechheit! Sicher, auch bei den Pfadfindern gibt es einige schwarze Schafe, aber zumindest die international anerkannten deutschen Pfadfindergruppen leisten tolle Jugendarbeit, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Ring_deutscher_Pfadfinderverb%C3%A4nde, die eben nichts mit "Aufmärschen" zu tun hat!
12.06.2006 | 11:15
Kommentar #2 von berni:
Wer rückt was in welche Ecke? Nochmal genau nachlesen, und überlegen, ob manche Zusammenhänge nicht auch einfach im eigenen Hirn konstruiert werden.
12.06.2006 | 11:17
Kommentar #3 von Avenger:
Ich denke nicht dass hier Zusammenhänge im Hirn konstruiert werden, die nicht vom Autor bewusst angeleitet werden. Pfadfinder-"Aufmärsche" heisst es da. Anschliessend "Wenn nicht schlimmeres" und dann "Kasernenhofton" und diese Kriegslieder der Nazis. Hier wird imo eindeutig versucht, den Nationalstolz der Bevölkerung und das Ausnutzen Coca Colas dieses Gefühls für Werbezwecke zu verteufeln. Eindeutig in diese Richtung zielt auch die rhetorische Frage am Ende des Textes... Ich finds übertrieben und wirkt in Zusammenhang mit dem neuen Thema "Flagghelfer" ein wenig so, als sei hier eine Truppe autonom links Orientierter am Werk, die ihrem Unmut über das gestärkte Deutsche Selbstbewusstsein (zumindest kommt es mir ein wenig so vor) während der WM Luft machen will und dafür diese Plattform hier nutzt. Ich mag die Riesenmaschine wirklich und lese fast alles hier mit grossem Amusement, aber das hier wirkt ein wenig rechthaberisch! Spart euch doch lieber diese Politische Stimmungsmache...
12.06.2006 | 12:42
Kommentar #4 von ach ja:
es gibt doch kein schöneres geräusch als das bellen getroffener hunde.
12.06.2006 | 13:10
Kommentar #5 von viva_la_muerte:
ich versteh die ganze aufregung nicht... "wir deutsche" sind schliesslich fussballweltmeister, und seit über 10 jahren ist "unsere mannschaft" europameister! zwar nicht im herrenfussball, aber warum sollen wir unser "gestärktes deutsches selbstbewusstsein" nicht an der damenmannschaft festmachen? diese ganze kommerzielle fifa-wm-maschinerie ist stimmungsmache der extraklasse, und die (zuweilen) lächerlichen auswüchse des in ihrem windschatten gedeihenden nationalismus zu thematisieren, finde ich auch auf einer nicht explizit politischen seite gut.
12.06.2006 | 18:36
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