Riesenmaschine

20.06.2006 | 11:09 | Nachtleuchtendes

Brathirn, selbstgemacht


Nachmachen, Kinder!
(Foto: 44165698@N00 / Lizenz)
Fruchtbar und furchtbar trennt nicht viel, das wissen von zum Beispiel Karnickeln und Kröten überrannte Inselstaaten und Kleinkontinente recht gut. Auch in der Hirnforschung ist das so, wo seit hunderten von Jahren interessante Aufschlüsse gewonnen werden, wenn im Kopf was kaputtgeht. Der berühmteste Fall war wohl Phineas Gage, dem beim Steinesprengen eine Stahlstange durch die Stirn getrieben wurde, und der mit anschliessenden Verhaltensänderungen dokumentiert, wozu das Stirnhirn möglicherweise gebraucht wird. Das war 1848, und bis heute gehen grundlegende Theorieveränderungen oft auf einzelne Kopfdefekte zurück. Die Neuordnung der Sehrinde in einen aktions- und einen wahrnehmungsorientierten Verarbeitungsstrom zum Beispiel wurde von Milner und Goodale vor zwanzig Jahren zunächst mit den sonderbaren Effekten in einem Einzelfall von Kohlenmonoxidvergiftung begründet.

Der grosse Nutzwert lokaler Defekte hat natürlich auch dazu geführt, dass Tieren, besonders Affen, in sogenannten Läsionsstudien oft chemisch oder elektrisch Hirnzellen lahmgelegt oder gleich ganz zerschossen, und die folgenden Verhaltensstörungen akribisch protokolliert werden. Eine durchaus frurchtbare Forschungsmethode. Seit den späten achtziger Jahren kann man dergleichen auch am Menschen ausprobieren. Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) werden starke Magnetfeldpulse direkt an der Kopfhaut erzeugt, was bei entsprechender Eichung der Felder Hirnareale entweder aktiviert oder für eine gewisse Zeit lahmlegt. Wie das funktioniert, weiss zwar niemand so genau, aber verwendet wird es fleissig. Das gleiche gilt übrigens für die Kopfspinne Orgasmotron, die von der Wissenschaft bislang eigenartigerweise gemieden wird. Ein Tabu?

Noch ein bisschen weniger verstanden als starke TMS sind die Effekte extrem schwacher Magnetfelder, wie sie zum Beispiel Michael Persinger verwendet, um bei seinen Versuchspersonen das Gefühl übernatürlicher Präsenz zu erzeugen. Seine Forschung dazu hat Persinger reichlich Kritik religiöser Gruppen eingetragen. Die von ihm zu Gottbeschwörung und Religiösentriezen verwendeten Geräte liessen sich verhältnismässig leicht zuhause nachbauen, weswegen eine Bande von Geeks bei Sourceforge jetzt auch das openTMS-Projekt gegründet hat. Zwar hat bislang noch niemand behauptet, dass es für solche Hirnbratanlagen nur einen weltweiten Bedarf von fünf Stück geben wird, aber weil das berühmte PC-Zitat von IBM Chef Watson vermutlich auch nie gesagt wurde, haben wir in zwanzig Jahren wohl alle so ein Ding im Wohnzimmer stehen. Wenn es dann noch Wohnzimmer gibt.


Kommentar #1 von einem Romantiker:

Da können Sie ja dann einmal zuhause Gottesbeschwörung machen und per göttlicher Erleuchtung lernen, wie man in der Philosophy of Mind Romantiker und Dualisten richtig unterscheidet.

20.06.2006 | 12:59

Kommentar #2 von Dittinger:

Seit einigen Jahren frage ich mich, weshalb die einigermassen witzige und verständige Riesenmaschine die unwitzigsten und unverständigsten Kommentatoren der Welt anzieht. Oder Bastian Sick schreibt alle Kommentare, das kann ja auch sein.

20.06.2006 | 13:05

Kommentar #3 von 500beine:

mein defekt ist lt. dr. ollmann schwer lokalisierbar. ich weiss nicht, wo ich noch suchen soll.

20.06.2006 | 13:16

Kommentar #4 von CFB:

TMS habe ich bei einem Freund im Max Planck Institut ausprobieren dürfen. Angst vor einem epileptischen Anfall hatte ich nicht, man hat ja vorsichtshalber auf das Aufkärungsgespräch verzichtet. Bis auf ein paar Lichtblitze sehen zu glauben und sinnlos mit der Hand zu zucken, war das Hirn zu keinerlei weiteren Kunststückchen zu bewegen.
Für den Orgasmus wohl zu schwach und die Erleuchtung zu stark, auch kein Veitstanz zum abgewöhnen, das grosse Hallo liess auf sich warten.
Für mich also ein gänzlich nutzloses und amateurhaftes Forschungsfeld, das mir wie ein Gegenphänomen zu den Leuten anmutet, die sich mit selbstgebastelten Helmen aus Alufolie vor kosmischen Strahlen und ungewollter Einflussnahme finsterer Mächte schützen wollen.
Eher treibe ich mir also in 20 Jahren eine Stahlstange durch die Stirn.

20.06.2006 | 16:07

Kommentar #5 von Hempel mal wieder:

Möglicherweise ist ja das Hirn einfach irgendwie im Stande, Magnetfelder zu spüren. Ist ja nicht undenkbar, da sich darin ja elektrische Ladungen bewegen. Brieftauben hat man schon blind, im Dunkeln und im Kreis-drehend von A nach B verschleppt, und trotzdem sind die Viecher wieder bei A aufgetaucht. Man nimmt an, dass sie das Magnetfeld der Erde spühren. Vielleicht hat der Mensch verlernt, dieses Gefühl richtig zu interpretieren, weil er dank seiner vielen anderen Sinne das Magnetfeld nicht mehr braucht, um sich zu orientieren, und sich zudem auch viel zuwenig bewegt (Sesshaftigkeit und so). Die übriggebliebene Wahrnehmung bleibt dann als "Da ist irgendwas Grosses, das uns alle umgibt" im Unterbewusstsein. Und manche Menschen wandeln das in die Gewissheit um, sie seien von Gott umgeben. Bei manchen wird es sogar zum Wahn, nicht wenige Irre glauben, dass eine höhere Macht zu ihnen spricht. Andere wiederum haben das Magnetfeldfühlen ganz verlernt, und sind religiös wie ein Toastbrot im Dunkeln. Somit könnte Religiösität also erblich sein, die Erziehnungsfaktoren spielen da natürlcih auch noch rein.
Hätte der Mensch die Religion und das Gefühl "nicht alleine zu sein" entwickelt, wäre er mögicherweise schon früh verrückt geworden.
Andererseits – - -

20.06.2006 | 16:51

Kommentar #6 von Ruben:

Gott als Magnetfeld. Da dreht sich ja selbst Feuerbach im Grabe um.

20.06.2006 | 18:45

Kommentar #7 von Ruben:

Ich weiss jetzt nicht, wo ich das hinschreiben soll, also darum einfach hier. Da hab' ich eine Werbung erspäht, die reisst mich aus meinem dogmatischen Schlummer, als hätt' am stärksten Riechsalz ich gerochen: Alte Schreibmaschinen. Hier, rechts, in der Werbespalte der Riesenmaschine. Aber jetzt ist die Werbung fort und mag nicht wiederkommen. Ich suche eine neue alte Schreibmaschine und bin neugierig, was war dies nun für eine Werbung?

20.06.2006 | 19:06

Kommentar #8 von CFB:

Lieber Herr Ruben!
Besuchen Sie diese wunderbare Seite einfach noch 10-20 Mal heute, dann erscheint die Anzeige wieder. Versprochen!

20.06.2006 | 19:23

Kommentar #9 von Ruben:

20 mal nur? Na das schüttel ich doch locker aus dem Ärmel. Wenn ich jedesmal auch einen Kommentar hinterlasse, fällt mir das Zählen leichter.

20.06.2006 | 19:28

Kommentar #10 von Ruben:

Jetzt bin ich leichtgläubiger Mensch mitten hindurch durch Enthaarungen, Jagdgewehre, Feldstecherfibeln, Brot und Frauenleiden, nur um am Ende ansehen zu müssen, wie einem schwermütigen Schreibmaschinenliebhaber dort mit fühllosem Herzen eine Werbung vorgesetzt wird, die irgendwo ins Nirgendwo führt. Also nach Göttingen.

20.06.2006 | 22:48

Kommentar #11 von CFB:

Tja, da mussten wir alle durch. In Göttingen habe ich übrigens meine TMS Erfahrungen sammeln dürfen, womit jetzt auch wieder der Bezug zum Artikel hergestellt wäre.

20.06.2006 | 23:20

Kommentar #12 von Kai Schreiber:

Vielleicht wurde ja aber auch die Göttingen-Erfahrung erst durch TMS ermöglicht.

21.06.2006 | 03:18

Kommentar #13 von CFB:

Das kann gut sein. Gottingen wäre dann allerdings noch ein wenig passender gewesen.

21.06.2006 | 07:02

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