29.07.2006 | 12:35 | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Zum Problem des Körpers, das die poststrukturalistisch inspirierte Geisteswissenschaft schlaflos hin und her wälzt (von Körpern von Gewicht bis hin zu Reizbaren Maschinen), gehört untrennbar auch das Problem der Haare. Die Körper bekommt die Disziplinar- oder meinetwegen Kontrollgesellschaft schon irgendwie in den Griff, spätestens bei den Haaren aber ist sie machtlos. Und auch der im Sinne der affirmativen Subversion positiv umcodierte Out-of-Bed-Look kann hier keine gesamtgesellschaftlich befriedigende Lösung sein. Was also tun mit den Haaren?
Mal die Kunst befragen: Simon Schubert füllt für die Saatchi Gallery eine Badewanne damit. Zuvor hat man dort die Putzfrau beiseite genommen und "gebrieft", damit nicht wieder das selbe passiert wie 1986 in Düsseldorf oder 2004 in London. Schon 1971 hatte bekanntermassen der Kopf- und Körperkünstler Timm Ulrichs einen "Künstlerhaarpinsel" aus Eigenhaar hergestellt. Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Sleek macht uns auf die holländische Künstlerin Chrystl Rijkeboer aufmerksam, die Haare zu ihrem Hauptwerkstoff erkoren hat. Und zwar strickt sie aus gesponnenem menschlichem Haar, das sie über Friseursalons bezieht, Pullis, Hasskappen und Ganzkörperumpuschelungen, bastelt aber auch andere haarige Objekte wie diesen Ohrenhaarsessel oder einen haarigen Ball mit Zähnen, der uns – wir wissen auch nicht genau, warum – an die Vagina Dentata denken liess. "Meine Arbeiten können auf zweifache Weise empfunden werden," sagt die Künstlerin, "entweder als gefällig, hübsch und unschuldig, oder als beunruhigend, abschreckend und schuldbeladen." Auch wir schwanken noch, und fühlen uns an eine Stelle aus Wolfgang Herrndorfs In Plüschgewittern erinnert:
Als Kind hatte ich mal die Idee, meine abgeschnittenen Fingernägel und überhaupt alles, was von meinem Körper abgemacht wurde, also Hornhaut, Schorf und Haare, in einem grossen Eimer unter meinem Bett zu sammeln und aufzubewahren. Ich dachte, dass es ein bedeutender Augenblick sein müsse, wenn das Gewicht dieser Dinge so gross würde, wie mein Eigengewicht. Dass ich wahrscheinlich sterben würde an diesem Tag.
Dass jetzt aber jemand die Probe aufs Exempel macht, auf die Idee kommt, ein derartige Objekt herzustellen und zur Kunst zu erklären – da sei die Kontrollgesellschaft vor.
Kommentar #1 von Dr. Stahl:
War zu erwarten, dass sowas bei irgendeinem Plüschgewitter ausapert. Ötzi war aber eine Nummer gepflegter, trotz der vielen Jahre.
31.07.2006 | 15:22