Riesenmaschine

14.09.2006 | 03:31 | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Sechs Jahre Noah

Das Werden und Vergehen einer menschlichen Person über einen längeren Zeitraum hin zu beobachten und zu protokollieren ist natürlich nichts Neues. Die Wissenschaft tut es, die Kunst tut es, zum beliebigen Beispiel in der Dokumentarserie, die 1964 mit 7 Up! als Beobachtung Siebenjähriger startete, und dann im Siebenjahresrhythmus, zum bislang letzten Mal letztes Jahr in 49 Up! nachsah, wie es den Überlebenden geht. Die Idee also ist keinesfalls neu, aber allein für die stulle Disziplin, sich volle sechs Jahre lang jeden Tag selbst zu fotografieren, bekommt Noah Kalina ein Fleisssternchen von uns. Und der fünfminutenlange Film, den Kalina daraus zusammengebaut hat, begleitet von, was sonst, besinnlicher Klaviermusik, schickt den Betrachter nach der ersten Minute – in der man sich noch fragt, was das Ganze nun eigentlich soll – in eine angenehm entrückte Zone der Zeitlosigkeit. Während nämlich im Film sechs Jahre im Zeitraffer um Kalina wabern und flackern, geschieht im eigenen Leben wunderbarerweise rein gar nichts, und je länger der Film läuft, desto mehr schrumpft das Gehirn des Betrachters in sein Auge zurück. Bis dann am Ende... ach, nö. Selber gucken.


Kommentar #1 von Klump:

Ich möchte an dieser Stelle an Roman Opalka erinnern.

14.09.2006 | 11:27

Kommentar #2 von irgendwem:

Wer sich fragt, was als Nächstes kommt: acht Jahre.
http://www.c71123.com/daily_photo/index.php

14.09.2006 | 11:52

Kommentar #3 von Michael:

Es handelt sich hierbei übrigens um eine Weltpremiere: Das erste in einen Riesenmaschine-Beitrag eingebundene You-Tube-Video.

14.09.2006 | 12:26

Kommentar #4 von Woelkchen:

Sie müssen überhaupt gar nicht immer Witze machen. Das Video ist nämlich allein überhaupt nicht komisch, sondern schön traurig. Da braucht's auch keine Sternchen für den Fleiss, weil es ja auch gar nicht um den Fleiss geht, sondern es geht um die unsterbliche Seele.

14.09.2006 | 12:41

Kommentar #5 von Stuart Margolins Schwiegermutter:

Insgesamt ist das Video ja doch eher langweilig, weil der Typ sich ja gar nicht verändert, sechs Jahre sind ja auch nix eigentlich, ich hatte mir das vor dem Anschauen eher so vorgestellt wie in der Szene bei Indiana Jones, wo der eine Böse aus dem falschen Heiligen Gral trinkt und dann in Sekundenschnelle abaltert, und der eine alte Gralswächter dann emotionslos sagt: "Seine Wahl war...schlecht."

14.09.2006 | 13:55

Kommentar #6 von irgendwem:

Mich erinnert das an Die Kinder von Golzow:
http://www.johannisthalsynchron.de/G_Index.htm

14.09.2006 | 14:21

Kommentar #7 von tom:

Wenn ich registriere, wie statisch und regungslos Mund, Nase und Augenpartie im Gegensatz zur variablen Umgebung bleiben, werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich hier um eine Montage desselben Gesichtes in unterschiedliche Hintergründe handelt. Konstruierte Medienrealität mit eingebautem Ironieapparat. Und kein Grund für lebensphilosophische Ergüsse.

14.09.2006 | 15:33

Kommentar #8 von Bruteforcecheckerbunny:

Dinge sind ja durchaus manchmal komisch, aber gleichzeitig auch traurig. Daher erlauben sie auch eine Vielzahl von Reaktionen, ohne dass jemand auf andere mit Steinen werfen muss, denn auch Steine haben ein Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Die Reaktion jedoch hat oft gar nichts mit der Ursache der Ursache zu tun, denn sobald man im Kausalwirrwarr mal zwei Ecken weitergeht, blickt doch keiner mehr durch. Ob also inszeniert oder echt, man muss sich nur einbilden, es wäre echt (und lustig, vielleicht ernst), und dann ist es echt, das ist der Vorteil von Einbildung. Man kann es aber auch gleich sein lassen oder ganz anders. Denn wie schon jemand sagte: "Whoever knows what is, has a heck of a head to carry under his belly."

14.09.2006 | 17:04

Kommentar #9 von honzinger:

langweilig.
Viel geiler: http://flickr.com/photos/91727393@N00/

14.09.2006 | 17:08

Kommentar #10 von Sator Arepo:

Immer schön mitzukriegen, wenn irgendwelche Leute
eine Sache, die es schon lange im Internet gibt, als den letzten Schrei für sich entdecken. Die Präsentation von "daily photographs" mit einer irrsinnig zappeligen Schnittfrequenz ist natürlich topmodisch und supertoll; das alltägliche Sich-Selber-Fotografieren an sich aber doch ein
alter Hut – und bei der altmodisch-geruhsamen Einzelpräsentation nach wie vor eine reizvolle Methode, dem Tod bei der Arbeit zuzuschauen sowie eine Vorschau auf das, was einem jeden von
uns bevorsteht:
http://www.halbdrei.com/home/daily/dpp.php
Über sehr lange Zeiträume können solche Serien
(wie ja auch die bereits erwähnte Langzeitdokumentation -über die Kinder von Golzow, 1961 ff.) schon sehr eindrucksvoll sein:
http://www.zabriskiegallery.com/Nixon/TBS/nixonimages.htm
http://www.zonezero.com/magazine/essays/diegotime/time.html

14.09.2006 | 23:34

Kommentar #11 von Kai Schreiber:

Leute, die wegen Melancholie keine Witze machen, essen auch kleinen Kindern die Hippgläschen mit Karottenpüree weg.

15.09.2006 | 00:02

Kommentar #12 von Woelkchen (Bernhardpasticheaddicted):

Nein, Sie haben ihren Exfreundinnen solche vom Supermarkt Pallettenweise mitgebracht und das war sehr teuer! Und man muss nicht gleich Gallenkrank sein, um nicht immer Witze machen zu wollen, und auch die Melancholiker machen manchmal Witze. Die sind ja überhaupt von Hin und Hergerissenheit ausgezeichnet.
Verbissenheit kann in vielen Belangen komisch sein, aber aufgrund biestiger rekursivität hat verbissene Witzigkeit einen schlechten Stand, wenn's um's Ankommen geht. Aber so schlimm ist's nun auch nicht. Ich sage ja nur: passen Sie auf, ob man nicht auch mal was Ernstes schreiben kann. Man kann auch was von Noahs Arbeit lernen, zwar nicht von ihm selber, wie seine Faq beweist, aber man kann von seiner Arbeit lernen. Denn man sieht darin eindrucksvoll, wie sich der Mensch im Laufe der Jahre nicht verändert, präsentiert und es bleibt immer der gleiche und es ist vergebens, auch noch zum äussersten Mittel, nämlich dem schnellen Vorlauf zu greifen, weil sich der Mensch nicht verändert.

15.09.2006 | 13:37

Kommentar #13 von Woelkchen:

mein "Sie", das zweite Wort, geht nicht an Sie, sondern es gehört klein geschrieben.

15.09.2006 | 13:40

Kommentar #14 von Woelkchen:

und prädiziert auf Ihre "Leute, die wegen Melancholie".

15.09.2006 | 13:42

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