Riesenmaschine

29.09.2006 | 14:56 | Alles wird schlechter | Papierrascheln

Aber die Billyregale hat er gebaut


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es gab eine Zeit, da war der IKEA-Katalog ein Kleinod in der Kunst des Gebrauchstexts. Okay, Kunst ist vielleicht eine etwas steile Ansage, aber man hatte 300 fluffig geschriebe Seiten vor sich, angenehm unterhaltsame Wortspiele, kleine Gags mit den eigenen Produktnamen. Der Job Werbetexter war noch verhältnismässig neu im Volksbildungsverständnis und eigentlich erst mit der genialen Anzeige "schreIBMaschinen" für den nachmaligen Computerhersteller ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Der IKEA-Katalog sagte dem Volk, "Ach sieh, Werbetext muss nicht öde oder schmierig oder beides sein, er kann auch ganz einfach okay oder sogar gut sein".

Inzwischen ist das anders. Mangelndes Geschichtsbewusstsein kann man niemandem vorwerfen. Totaler Quatsch, mangelndes Geschichtsbewusstsein kann man jedem vorwerfen, der es hat. Denjenigen, die beruflich mit Sprache umgehen, muss man es vorwerfen. Der IKEA-Katalog wurde von mindestens fünf Textern geschrieben, er ist durch die Augen von mindestens drei Agenturvorgesetzten dieser Texter gegangen, eine grössere Anzahl von IKEA-Marketingverantwortlichen hat jedes Wort gelesen und sich über die Hälfte beschwert, anschliessend haben mindestens zwei externe Korrektoren ihn durchgelesen, man kann blind jede Wette eingehen, dass kein einziger Kommafehler im gesamten IKEA-Katalog ist. Aber dass mitten im bunten Reigen der Überschriften der bekannte KZ-Spruch "Jedem das Seine" zu finden ist, das ist niemandem aufgefallen. Wir warten auf die Tischdecke "Maidanek" und die Dekortapete "Buchenwald".


Kommentar #1 von doctor_best:

Das haben die Texter doch bewusst gemacht. Und die Vorgesetzen haben sich ins Fäustchen gelacht und gedacht "man selbstironischer kann man den Stress beim Möbelaufbauen doch gar nicht verppacken" – hoffe ich mal für die Jungs. Nazi-Witzeleien sind doch gerade in. TBWA-CDs behaupten von sich stolz "ich bin hier der Obernazi". Aber den Fehler macht ja jedes Jahr irgendwer. Sucht doch zum Beispiel mal nach "jedem das seine" und "nokia".

29.09.2006 | 15:03

Kommentar #2 von Wurstfondue:

Quartalsempörerei. NÄNÄNÄNÄNÄNÄNÄ.

29.09.2006 | 15:33

Kommentar #3 von Pia:

Recht hat er, der Lobo. Mir ist auch fast der Katalog aus der Hand gefallen.

29.09.2006 | 15:40

Kommentar #4 von billy koettbullar:

ach herrlich, und direkt nebendran das rotierende hakenkreuz im grimmepreis-mobile, das mich schon zu manch' besinnlichen schickelgruberschen meditationsmomenten angeregt hat, lobo sei dank.

29.09.2006 | 16:00

Kommentar #5 von MatzeLoCal:

Laut wikipedia -> http://de.wikipedia.org/wiki/Jedem_das_Seine ist das auch das Motto der Feldjäger der Bundeswehr und das fände ich viel bedenklicher, wenn, ja wenn der Spruch nicht viel viel älter wäre.
Ich würde mich selbst als Antifa beschreiben... aber nur weil ein Spruch auch in der Nazizeit benutzt wurde, muss man ihn nicht verdonnern.. es sei denn er ist verachtend, verletzend usw.

29.09.2006 | 16:10

Kommentar #6 von Köttbullar Tor:

layers of history – langweilig werden sie nie...

29.09.2006 | 16:21

Kommentar #7 von zaunkönigin:

Passt doch wunderbar zum Geschmacksfaschismus a la IKEA. Dazu der Spruch "Lebst du schon?", der allen die Lebensfähigkeit abspricht, die noch nicht die Hand zum Billiregalgruss recken. Selbstaufbauen macht frei!

29.09.2006 | 16:48

Kommentar #8 von Kathrin:

Anfang der 90er Jahre war bei IKEA auch eine Tapetenrolle "Tora" im Angebot. Im kanadischen Katalog ist dasselbe Motiv übrigens so betextet ("Your personal touch starts at the store.").

29.09.2006 | 17:07

Kommentar #9 von klezka:

was kommt als nächstes, ikea? lampenschirm KIPPA?

29.09.2006 | 17:37

Kommentar #10 von baron_samedi:

Ich verwende tatsächlich eine Kippa, die mir eine Exfreundin vor Jahren mal geschenkt hat, als Erdnussschälchen, aber bin ich deswegen gleich ein Nazi?

29.09.2006 | 21:04

Kommentar #11 von Andy:

"man kann blind jede Wette eingehen, dass kein einziger Kommafehler im gesamten IKEA-Katalog ist." ... Kommafehler vielleicht nicht mehr – aber Rechtschreibefehler ... Seite 99 ... Copy ... letzte Zeile ... aua aua aua!

29.09.2006 | 23:13

Kommentar #12 von Melarmin:

Viel mehr nervt doch diese anbiedernde Duzerei seit – wann, 2004? Ich will mich weder von Ratgeberbüchern ("1000 ganz legale Steuertricks") noch von Möbelkatalogen ankumpeln lassen.

30.09.2006 | 14:57

Kommentar #13 von mass:

http://de.wikipedia.org/wiki/Suum_cuique
- der Vollständigkeit halber

30.09.2006 | 17:52

Kommentar #14 von Grisi:

Nicht nur auf der AUTOBAHN wieder richtig GAS geben, waren das diesselben Texter?

30.09.2006 | 23:51

Kommentar #15 von loco_mio:

wenn nazi-kz-fauxpas, dann doch bitte richtig. so wie z.b. das völlig unbedeutende blättchen die landeszeitung lüneburg anfang 2006 es uns vormacht; druckt einen artikel mit der headline "von lüneburg nach auschwitz" und platziert in selbigem eine anzeige von eon "[...] sorgt schon heute für das gas von morgen".
http://tinyurl.com/l8mbh

01.10.2006 | 13:49

Kommentar #16 von Holger Ehrlich:

Wozu dieses Berufsbetroffensein? Ja, es gibt Sprüche, die von den Nazis gebraucht wurden. Und es gibt auch Ort an denen sie unvorstellbare Verbrechen verübt haben. Aber was kann der Ort Maidanek oder eben jener Spruch dafür? Viel bedenklicher finde ich, dass es in Brandenburg Wahlkreise mit über 30% NDP-Spimmen gibt! Das sollte betroffen machen und nicht irgendwelche ansich harmlosen Sprüche!

01.10.2006 | 15:44

Kommentar #17 von PI:

suum cuique übersetzt man eigentlich als halbgeblideter Lateiner mit "das Schwein quiekt"

02.10.2006 | 23:56

Kommentar #18 von David Hölzenbein:

Na, hier wird ja mal wieder das ganze Repertoire politischer Korrektheit abgespult. Herrlich!

02.10.2006 | 23:58

Kommentar #19 von Björn B.:

Absolut übertriebene Sensibilität. Mit solcher Fingerzeigmentalität kann man sich für nix entschuldigen, bzw. sein Gewissen reinigen. Eher im Gegenteil, man wirkt wie der kleine Schleimerjunge Joseph auf dem Schulhof, der mitlacht als die beiden Raudis Max&Moritz Jakob in die Mülltonne werfen und später vor dem Lehrer mit dem Finger auf die Raudis zeigt.
Es stellt sich einfach die Frage, wie ist diese Spruch gemeint. Und ich glaube nicht, das Ikea mit dem Nazi-Regime konform werden möchte.
Geschweige die Mutter, die ihren Jungen mit den Spruch "Das hast du nun davon" ermahnt als er sich die Finger an der Tischkerze verbrennt.

12.02.2008 | 19:42

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