Riesenmaschine

13.11.2006 | 01:09 | Anderswo | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Vive la food republique


Das Neue

Das Alte
In VivoCity, der gerade eröffneten grössten Shopping-Mall Singapurs, findet sich im zweiten Stock mit "Food Republic" der teuerste Foodcourt der Insel. Fünf bis sieben Millionen Singapur-Dollar (2,5 – 3,5 Millionen Euro) hat nach Angaben der Betreiber die Ausstattung der versammelten Garküchenstände und kleinen Restaurants mit echten Antiquitäten – Balken, Kacheln, Pferdewagen aus der Qing-Dynastie – gekostet, welche u.a. aus historischen Häusern stammen, die momentan in China beinahe flächendeckend abgerissen werden. So will man, wie Food Republic's Brand-Managerin Patsy Loo erklärt, Einheimischen und Touristen helfen "zu verstehen, wie es in Asien vor dem Krieg aussah, als es noch viele mobile Garküchen auf den Strassen gab." Das geht in Singapur tatsächlich nicht anders, denn mobile Strassengarküchen sind hier verboten, angeblich aus hygienischen, wahrscheinlich aber auch aus anderen Gründen. So kann, wer will, die Einrichtung der Food Republic auch als einen indirekten oppositionellen Akt in bester Tradition der Aufklärung lesen.

Unten im Basement 2 der Vivo-Mall hat sich dagegen das Ancien Régime eingenistet. Der Zuckerzeugsupermarkt Candy Empire ist zwar mit 1.000 qm gegen 8.000 qm viel kleiner als die Schlemmerrepublik, dafür aber auch reaktionärer. In der neu eröffneten Filiale hing bis vor kurzem ein Schild, das Rollstuhlfahrern das Einrollen untersagte. Nach heftigen Protesten ist das mittlerweile entfernt worden und die Royalisten haben sich entschuldigt, doch weitere Konfrontationen zwischen Reaktion und Fortschritt liegen in der Luft. In Singapur kursieren immer noch Aufrufe, das Zuckerimperium zu boykottieren. Damit nehmen die Brandmeldungen aus VivoCity noch kein Ende. Auf die Food Republic ist es bereits zu handfesten Übergriffen gekommen. In den ersten zwei Wochen nach ihrer Konstituierung wurden hier ausgerechnet ein sog. "Love Letter-Maker" und ein historisches Schild gestohlen. Ungeklärt ist bisher, von wem, aber die Zeichen verdichten sich, dass der auf Harmonie bedachten Waldorf-Mall ein revolutionärer Sturm bevorsteht. Naja, vielleicht auch nicht.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Shopping mit Rudi

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


Kommentar #1 von asiegl:

Der "Love Letter-Maker" dürfte wohl ein Briefsteller für Liebesbriefe sein. So etwas gab es nicht nur in Deutschland.

13.11.2006 | 10:36

Kommentar #2 von CYS:

Aha, ein Briefsteller. Schon wieder was gelernt. Schönen Dank, asiegl!

13.11.2006 | 12:53

Kommentar #3 von hier:

wohl eher das hier

13.11.2006 | 15:01

Kommentar #4 von Moritz von Schwindsucht:

Genau! Love Letters (ähnlich den ostfriesischen Rullerkes gibts traditionell zum Chinese New Year und der LL-Maker ist ursprünglich eine Waffelzange, siehe hier

13.11.2006 | 15:37

Kommentar #5 von CYS:

Ah, allseits asiatisch gebildete Leser. Wie schön.

13.11.2006 | 16:01

Kommentar #6 von asiegl:

Interessant. Ich muss zugeben, dass ein Waffeleisen etwas besser in einen Foodcourt passt, als ein Briefsteller. Dass letzterer Tradition in China hat, war mir bewusst, von Love Letters als Gericht habe ich aber noch nichts gehört. Danke!

13.11.2006 | 16:07

Kommentar #7 von psycho killer:

das wiki-system rockt also doch.
danke, riesenmaschine!

13.11.2006 | 22:03

Kommentar #8 von sandi:

passig+houellebeqc
der letzte europaeische output vor
der totalen verrottung
bitte uebernehmen sie.

13.11.2006 | 23:43

Kommentar #9 von ratatouille cerebrale:

Erst kürzlich entdeckte ich in einem Pariser Museum Waffelzangen, die genau so aussahen wie die verlinkten. Ist der Franzos am End ein Asiate? Die Stadt der Liebe nur eine Stadt des Gebäcks? Und was hat die Karlsbader Oblate zu verbergen?

14.11.2006 | 09:24

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