Riesenmaschine

23.04.2007 | 01:05 | Alles wird besser | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder

Die Kunst der Einen und die der Anderen


"Die Erkundigungen des Künstlers bieten keine fertigen Lösungen, schon gar keine unmittelbar nachvollziehbaren Interpretationen. Es scheint so, als wolle der Künstler mit seinen freien Assoziationen Schicht für Schicht abtragen, um hinter das Rätsel der Bilder zu kommen." (Wikipedia)
Bild: Rüdiger Wölk, Lizenz

Die Erkundigung dieses Künstlers hingegen bietet fertige Lösungen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Samstag sassen wieder Millionen Fussballfans vor den Fernsehgeräten und rund 65.000 im Olympiastadion in Berlin und wunderten sich über das Ausrufezeichen, das die Trikots der Dortmunder schmückt. Wer im Internet nach einer Erklärung sucht, wird sicher leicht fündig. Erst wenn man sich aber fragt, wer denn die Gestaltung dieses Ausrufezeichens, dessen Punkt aussieht, als hätte Niki de Saint-Phalle auf LSD ein Spinnennetz zu zeichnen versucht, zu verantworten hat, wird man auf Otmar Alt stossen und sich wundern. Selbst wer dem schmierigsten aller Wikipediabeiträge misstraut und vermutet, dass dieser weitgehend vom Portraitierten selbst verfasst wurde ("Im Jahre 1956 beginnt Otmar Alt eine Lehre als Schaufenstergestalter und Plakatmaler. Die Gesellenprüfung im Jahre 1958 besteht er hervorragend und wird sogar mit einem Preis ausgezeichnet. In dem jungen Mann entwickelt sich der Wunsch, Modezeichner zu werden."), wird anhand von satten 84.800 Googletreffern mit Erstaunen feststellen, dass Otmar Alt offenbar in grossen Teilen der deutschen Bevölkerung für einen richtigen, ernsthaften Künstler gehalten wird.

Wir wissen nicht, was das für Menschen sind, wir kennen sie nicht. Vermuten kann man aber, dass es solche sind, die das, was auf der anderen Seite des Elfenbeinturms passiert ('Knut', ZIA, 2007), zwar möglicherweise 'süss' finden, jedoch kaum als Kunst bezeichnen würden. An der immer grösseren Kluft und dem grossen Befremden auf beiden Seiten droht die Gesellschaft zu zerbrechen – zum Glück gibt es kaum Kontakte zwischen den beiden Gesellschaftsteilen, allenfalls an einem Würstchenstand in Münster und eben beim Fussballschauen, das ist gerade noch zu verkraften.

Überhaupt ist das Ganze keine neue Entwicklung. Das Erscheinungsjahr des Buchs zum Phänomen (Hans Sedlmayer, 'Verlust der Mitte', 1948) legt nahe, dass das alles schon immer so war und gar nicht so schlimm ist. Ausserdem naht jetzt möglicherweise die Aufhebung der Kluft zwischen feuilletongestählter Intelligenzia und dem Lager der Liebhaber des "vordergründig meist heiter verspielt" (Wikipedia) wirkenden Werkes Alts und zwar aus dem Lager der manipulierten Photographie. Wir erwähnten bereits die auf der Art Cologne vorgestellten Rekonstruktionen romantischer Landschaften. Und auch vor den collagierten Landschaftsbildern Andreas Gurskys (Ausstellung im Haus der Kunst, München, noch bis 13. Mai) konnten wir erfreulich einheitliche Reaktionen quer durch alle Bevölkerungsteile feststellen: "Sind die gross! Geil", meinten die einen, "Sind die geil. Gross!" die anderen. Ob der BVB nächste Saison vielleicht einfach mit einem Gursky auf der Brust auflaufen sollte?


Kommentar #1 von Weitsichtiger:

Am besten finde ich ja das Bild Gurskys eines Pollocks. So nichtssagend wie das Original. Ansonsten war ich eher enttäuscht -- ein bischen im Photoshop rumpfuschen kann ja heute jeder, und Idee hat er auch nur eine gehabt. Aber wenn das Leitmedium Werbung den Wert der Einzahl wieder entdeckt könnten wir uns einfach Land der Idee nennen und hätten so grosse Einigkeit. Zu Recht. Geile Freiheit.

23.04.2007 | 02:23

Kommentar #2 von michael:

dinge werden allerdings auch nicht unbedingt deshalb zu kunst, weil sie auf einer kunstmesse stattfinden.

23.04.2007 | 08:21

Kommentar #3 von docflo:

Otmar Alt fand ich als Kind schon scheisse. Aber die Pommes da in der Fussgängerzone in Münster... Sublim.

23.04.2007 | 09:25

Kommentar #4 von Don Botson:

Den Hütern der Kultur (Kunstlehrern, Feuilletonisten,...) ist es bis zum heutigen Tage zurecht gelungen, mir die Existenz von Otmar Alt vorzuenthalten. Danke.
Aber andererseits – was für eine flaue Nummer ist das denn: Ein Bild aus Post-Its? Ich meine: hallo?

23.04.2007 | 11:23

Kommentar #5 von Dortmunda:

Kunst ist Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein und wenn die Jungs in der nächsten Saison noch in der ersen Liga sein sollten, wird sich der bekloppte Vorstand mit Sicherheit etwas ähnlich Behämmertes einfallen lassen. P.S.: Ich hielt Ottmar Alt auch immer schon für die schlechtere Niki de Saint-Phalle.

23.04.2007 | 18:28

Kommentar #6 von michael:

uiuiui, diese definition ist ja zum glück vollkommen überprüfbar richtig, und daher eindeutig eine wahrheit, befreit von der lüge, kunst sein wollen zu müssen tun sollen sein.

23.04.2007 | 21:53

Kommentar #7 von Dortmunda:

@#6: Danke, ich hatte gehofft, dass es mir einer erklärt. Ist übrigens von Theodor W. Adorno und der muss es ja eigentlich wissen. Persönlich denke ich eher, dass die Kunst da anfängt den Krempel auch zu verkaufen. An meiner Meinung zu Ottmar Alt oder dem BvB-Management ändert das aber ooch nüscht.

23.04.2007 | 23:11

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Sieben-Grad-These

- Hasenzahnspange

- imaginärer Chef

- Goldenes Dreieck

*  SO NICHT:

- RAZR V3 (hallo Software?)

- Zahnspangenharz

- imaginäres Gehalt

- Iron Triangle


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Irina Palm", Sam Garbarski (2007)

Plus: 21, 35
Minus: 1, 74, 93, 132, 140
Gesamt: -3 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV