Riesenmaschine

03.12.2006 | 13:19 | Anderswo | Alles wird besser

Wirklichkeit, das wars dann wohl


Outdoor-Super-Hyper-Park
(Foto: dave_z28ca / Lizenz)
Bis hierhin hatten wir unseren Spass mit dem, was uns andere so an interessanten Landschaftsfeatures hinterlassen haben. Wir konnten als Kinder auf genug Bäumen herumklettern, später am Strand spazierengehen und Muscheln sammeln, und wenn wir besonders begünstigt waren, hatten wir sogar einen Berg in der Nähe. Jetzt aber nehmen wir das bitte selbst in die Hand und bringen die Landschaft dabei gleich dorthin, wo wir sie brauchen, nämlich in die Nähe der grossen Städte. Es ist etwas rätselhaft, warum ausgerechnet Charlotte in North Carolina der Vorreiter in dieser Angelegenheit ist, aber, who cares, da ist es: das United Nations National Whitewater Center, mit der UNO weder verwandt noch verschwägert, dafür ausgestattet mit, wie man hört, exquisitem Wildwasser, Wanderwegen, Kletterfelsen und überhaupt allem, was man so zum Draussensein braucht. Und das alles am Westrand von Mecklenburg County, also praktisch mitten in der Stadt! Allerdings gibt es dieses artifizielle Outdoor-Paradies schon, und das macht es etwas langweilig. Viel besser, weil noch nicht existent, dagegen die nächste Entwicklungsstufe: Der superkünstliche Outdoor-Super-Park Waveyard, im Prinzip genauso wie in Charlotte, nur in Phoenix, und in jeder Hinsicht grösser, besser und interessanter. Und man kann ausserdem windsurfen, fliegenfischen und tauchen (sogar nachts)! Das alles wird man uns im Jahr 2007 bieten, und wir müssen nicht mal laut danach verlangen.


29.11.2006 | 19:40 | Alles wird besser

Google macht Krankheiten


Foto: plindberg
Hypochonder benutzen Suchmaschinen seit Jahren, um herauszufinden, woran sie genau leiden. Man erinnert sich zum Beispiel gut an den herrlichen Tag, an dem klar wurde, dass die leichten Brustbeschwerden, die einen seit Ostern plagen, klare Anzeichen einer schweren Angina Pectoris sind, an der man bis Mitte Mai verstorben sein wird. Ebenfalls gut belegt ist ein überdurchschnittlich hohes Vorkommen von Hypochondrie unter Ärzten. Daher stimmt es versöhnlich, dass jetzt auch Ärzte Google zur Diagnose verwenden, und ausführlich im British Medical Journal darüber berichten. In 15 von 26 getesteten Fällen lieferte Google nach Eingabe von ein paar fachkundig ausgewählten Symptomen nicht etwa eine besonders attraktive, sondern gar die richtige Krankheit. Das heisst, nicht ganz, das richtige Ergebnis fand sich nur unter den besten drei Treffern. Oh, und bei den drei besten Treffern handelt es sich nicht um die drei besten Googletreffer, sondern drei aus den ersten 30 Googletreffern manuell ausgewählte Ergebnisse, die "am besten zu passen scheinen". Und, ach, besonders spezifische Symptome muss die Krankheit auch haben, sonst geht es gar nicht. Und ausserdem ist Google natürlich ein kapitalistisches Schwein mit vier brennenden Köpfen. Aus diesen und anderen kleinlichen Gründen sind die Kommentare der typischen BMJ-Leser sowie der typischen Heise-Blogger von Missmut, Argwohn und Magenschmerzen (Gegenmittel: Raphanus sativus, Gartenrettich, zweiter Googlehit) geprägt. Die wichtige Botschaft der BMJ-Studie jedoch, die optimistisch und zukunftsfroh stimmt, lautet wie folgt: Wenn man sich auskennt und das Richtige eingibt, kann man mit Google alles finden. Andersrum: Wenn man unbedingt krank sein will, wird Google das auch bestätigen. Es ist wie der Nikolaus, dieses Internet, man sagt etwas Belangloses und dann kriegt man etwas Schönes, zum Beispiel das "Churg-Strauss-Syndrom". Sogar Atombomben soll es dort ja geben!


26.11.2006 | 13:37 | Anderswo | Fakten und Figuren

Gestern oder vorgestern


Historic Reenactment (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Geschichte ist ein seltsames Fach, weil es oft von denen betrieben wird, die gerade den letzten Krieg gewonnen haben, und daher die Massstäbe relativistisch durcheinanderverzerrt werden. Man hat sich mittlerweile daran gewöhnt, dass Amerikaner beim Anblick jeder fünfhundert Jahre alten Mauer in ekstatische Verzückung ausbrechen, und aus diesem Grund selbst Heidelberg oder gar England gut finden. Man weiss, dass sie alles, was sie vor dem zweiten Weltkrieg gebaut haben, "historic" nennen, warum auch nicht. Und man weiss, wie verbittert sie sich wünschen, eine eigene, reichhaltige, uralte, kontinentale Besiedlungsgeschichte zu haben, so wie die blöden Europäer eben. Aber bitte nicht mit irgendwelchen Wilden, und darum ist es nur konsequent, wenn lediglich 500 Jahre alte Irokesendörfer in der offiziellen amerikanischen Archäologienomenklatur nicht nur als historisch, sondern gar als prähistorisch gelten – und damit über den Ozean gerechnet auf einer Stufe mit den Höhlenmenschen landen.

Das ist ein bisschen unverschämt. "Prähistorie" bezeichnet in der Regel den Teil der Geschichte, aus dem keine schriftlichen Aufzeichnungen vorliegen, man muss sich also anders behelfen. Natürlich hinterliessen die Irokesen nichts richtig Schriftliches, sie erzählten sich alles lieber am Lagerfeuer, schliesslich hatten sie nicht mal elektrischen Strom, geschweige denn Internet. Aber dafür hatten sie eine Art Langhäuser, ein schwer verständliches Wirtschaftssystem, eine "egalitäre Konsensdemokratie", eine Art grossräumige Gesellschaftsordnung, eine strategische Militärplanung, eine Religion ungefähr auf dem Stand der alten Griechen und zudem das mythische Ballspiel Lacrosse, den ohne Zweifel attraktivsten Sport in Nordamerika. Haben die Neandertaler etwa Tischtennis oder etwas ähnlich Anspruchsvolles erfunden? Sie hatten ja nicht mal Tische, im Gegensatz zu den Irokesen übrigens. Also. Einigen wir uns darauf, dass die Irokesendörfer aus der prä-olympischen Lacrossezeit stammen, dann sind alle zufrieden.


24.11.2006 | 13:02 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Untenrum verschwört


Foto: rusty.grass / Lizenz
In der Fachpresse lesen wir gerade, dass endlich auch Frauen, nicht nur Männer, durch langanhaltendes Radfahren wissenschaftlich belegte Schäden in ihrer Genitalgefühlswelt davontragen, jedenfalls mehr als beim Laufen. Nur kurz jedoch währt die Freude über soviel Gerechtigkeit, obwohl in der Zusammenfassung der Arbeit die bemerkenswerte Zusatzinformation lauert, dass Radfahrerinnen im Vergleich zu Läuferinnen sexuell aktiver und facettenreicher in ihrer sexuellen Orientierung sind. Dies jedoch wundert kaum, wurden die Läuferinnen doch im Jahr 2003 in Internetforen rekrutiert, und das kennt man ja. Der eigentlich krude Gedanke drängt sich jedoch viel später auf: Warum hat die "International Police Mountainbike Association" schon auf ihrer Tagung 2003 von den brisanten Ergebnissen erfahren? Warum wurden die Ergebnisse also drei Jahre lang in Polizeischubladen geheimgehalten? Sind sie zu fahrradkritisch und würden daher die Machtverhältnisse im Land (Mann, Fahrrad, Polizistin, Frau) ordentlich durcheinandergebringen? Erscheinen sie jetzt, weil die Republikaner die Wahlen sowieso schon verloren haben? Oder weil man die solcherart genitalgeschädigten Frauen ohnehin nicht mehr wie früher gegen wertvolle Drogen in Afghanistan eintauschen kann, jetzt wo Drogen billig überall auf der Strasse liegen? Wissen wir natürlich auch nicht.


21.11.2006 | 18:28 | Anderswo | Sachen anziehen

Die besten vollgerotzten Ärmel aller Zeiten

Genauso wie Tausendfüssler nur in feuchten Ritzen stecken, findet man Satire normalerweise nur an bestimmten Orten, die man mit etwas Gespür leicht erkennt. Klo-Innenwand? Ja. Sarg-Innenwand? Nein. FIFA-Tagung? Ja. Astronomen-Tagung? Nein. Ein wenig paradiesisches Biotop für satirische Botschaften sind gemeinhin auch Volksbildungsmassnahmen der Stadtverwaltung Toronto, weswegen das nebenstehende Plakat, gefunden unter anderem in der örtlichen U-Bahn, vermutlich ernst gemeint ist, und einen verzweifelten Versuch darstellt, die Wege von Mikroorganismen (wir reden nicht von Tausendfüsslern) in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sucht man nach der Quelle der ingeniösen Ärmelniesidee, so stösst man ohne grosse Umstände auf die Familie Lounsbury aus Ann Arbor (Michigan), die zur Promotion des Ärmelniesens unter dem Label Lounsburgology ein spektakuläres Lehrvideo vertreibt, das mittlerweile in zahlreichen Kinos von Nebraska bis Maine läuft, aber zum Glück auch auf jedem modernen Rechner. Im Internet vertriebene Filme, die Menschen bei albernen Verrichtungen zeigen, das ist schon eher eine Umgebung für Satire, und daher weiss niemand so recht, ob sowohl die Stadtverwaltung Torontos als auch die "Centers for Disease Control" zahlreicher Staaten der USA auf einen Scharlatan hereingefallen sind. Aber solange es zu einem Paradigmenwechsel in der Nieschoreographie führt, soll es uns recht sein. Paradigmenwechsel können nie schaden.

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