Riesenmaschine

12.11.2006 | 18:24 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Knie kabellos

Im Knie sitzt die Seele des Menschen, sagen jedenfalls irgendwelche Indianer. Wenn das stimmt, dann hat man nach dem Einbau künstlicher Kniegelenke endlich Ruhe vor dem faulen Schmarotzer, der seine Zeit ansonsten damit verbringt, die Füsse hochzulegen. Ausserdem erfährt man so endlich, was das (nun seelenlose) Titan-Knie den ganzen langen Tag so treibt, denn die Firma MicroStrain hat es geschafft, eine Wanze ins Knie einzubauen. Bisher meldet sie nur unnütze Testdaten, Kräfte und Drehmomente etwa, die auf das Knie wirken, einfach nur Zahlen mit Kommastellen also, aber das immerhin kabellos, energielos und vollautomatisch. Was man damit in Zukunft alles noch anfangen könnte bzw. wird! Man wird Bilder aus dem Knie (Blitzlicht) senden und live ins Internet stellen. Man wird per Skype mit seinem Knie reden können. Man wird jederzeit wissen, ob das Knie noch da ist und wie es ihm geht, also auch, wenn man auf Reisen ist. Man wird sein Knie bei Second Life anmelden, und beide Knie werden in Online-Rollenspielen gegeneinander antreten. Herrliche Möglichkeiten, dafür kann man ja wohl getrost auf die Seele verzichten.


06.11.2006 | 19:10 | Vermutungen über die Welt

Plattenkritik

Seit vierzig Jahren etwa glauben grosse Teile der Menschheit an die Plattentektonik: Kontinente driften schön langsam und sinnlos über die Erdoberfläche, angetrieben von dunklen Mächten ganz weit unten. Geblendet von der Schönheit der Kontinentaldrift und gründlich indoktriniert von den Hohen Priestern der Geologie, ignorierten wir dabei jahrzehntelang eine Reihe von aufrechten Untergrundkämpfern, deren Theorien noch besser klingen als stupides Herumwandern von Erdteilen. Aber seit der Erfindung des Internets vor einigen Tagen schlagen sie zurück. Hier die drei besten Alternativen zur Plattentektonik:

1. Beinahe tot waren schon die Hohlwelttheorien – die Erde sei hohl und entweder von innen oder von aussen bewohnt. Wenig überraschend spielt Hitler in beiden Varianten eine Rolle: Entweder ist er 1945 aus dem Führerbunker ins Innere der Erde geflohen. Oder aber er richtete Fernrohre hoch in den Himmel, um die britische Flotte drüben auf der anderen Seite zu beobachten. In letzter Minute gerettet aus dem Sumpf der Science-Fiction/Fantasy wurden die Hohlwelten vom Internet, Paypal sowie Kevin und Matthew Taylor, deren Sonne sich IN der Erde befindet.

2. Nur kurz erwähnt seien die Kreationisten, die natürlich auch hier ihre eigene Superhypothese an den Start bringen müssen, die angenehmerweise viel einfacher ist als der ganze Wissenschaftsquatsch. In diesem Fall werden die Kontinente einfach durch einen "Schock" in Bewegung gesetzt, der widerum durch einen gewaltigen Meteoreinschlag verursacht wird, und zwar knapp neben Madagaskar. Madagaskar, musste das sein? Ohne Madagaskar erscheint das Szenario sofort glaubhaft.

3. Ästhetisch beiden vorgenannten Ansätzen überlegen ist jedoch die sich aufblasende Erde, eine bestechend elegante Theorie, die bewegliche Kontinente mit Leichtigkeit erklärt. Seit den 30er Jahren auf der Welt, erlebt sie im Halbwissensdschungel des Internet eine überraschende Renaissance. Klares Highlight des mächtigen Gedankengebäudes ist die Fähigkeit, die Grösse der Dinosaurier zu erklären – Erde wird grösser, Schwerkraft wird geringer, Tiere wachsen dadurch höher. Zwar verzichten die Erdaufblaser auf Hitler und Madagaskar, aber auch sie begehen einen klaren Anfängerfehler: "The evidence is obvious, unmistakable and irrefutable!" Das ist mittelalterliche Rhetorik, Freunde, so darf man mit wikipediagestählten Kreaturen heute nicht mehr umgehen. Wenn sich das nicht bessert, wird die Plattentektonik auch dieses Jahr wieder Deutscher Meister.


03.11.2006 | 12:33 | Anderswo | Alles wird besser

Ich bin der Lehrer

Ja, es gibt hunderte toller Musikvideos, zum Beispiel das hier. Aber nur wenige von ihnen zeigen eine deutlich bessere Welt und müssen daher kurz erwähnt werden. Eine Welt, in der ausgestorbene Ungeheuer wie Dinosaurier und Kurznasenbären ausgestorben bleiben, und dafür ausgestorbene Computer, sagen wir Macintosh Plus, aus dem Meer steigen und das ausgestorbene Toronto erkunden. Freudetrunken und einsam stolpern sie über die armseligen, "The Beaches" genannten "Strände" der Stadt, klettern über die Mauern von Casa Loma, die leicht übersehbare "Burg" Torontos, erbaut 1911 von Selfmade-Pleitier Sir Henry Pellatt, bis sie zunächst im High Park und anschliessend im Beer Store landen. Denn schliesslich bauen wir diesen ganzen Quatsch nicht für unsere Kinder auf, die hoffentlich nie geboren werden, sondern für unseren Elektroschrott, der ästhetisch ohnehin viel besser zu urbaner Architektur passt.


29.10.2006 | 17:11 | Vermutungen über die Welt

Männchenmachen


Foto: merfam
Während deutsche Medien jetzt schon mehrere endlose Tage lang über ein paar harmlose makabre Scherze in Afghanistan diskutieren, passieren anderswo Dinge, die damit gar nichts zu tun haben. Am Freitag zum Beispiel kam es im amerikanischen Sender CBS erneut zum Aufeinandertreffen von David Letterman und Bill O'Reilly. Zum Verständnis: O'Reilly, primus inter pares in der seltsamen Landschaft der amerikanischen TV-Politprediger, unterhält bei FOX News eine sogenannte Nachrichtensendung, in der durch rigorose Tatsachenverdrehung radikal "traditionelle" Standpunkte belegt werden sollen – ein Konzept, das von Stephen Colbert "Truthiness" getauft wurde. Zur Rechtfertigung amerikanischer Kriegsverbrechen im Irak zum Beispiel erfand O'Reilly vor einigen Monaten aus unbekannten Gründen, dass amerikanische Soldaten im zweiten Weltkrieg wehrlose SS-Soldaten hinrichteten, obwohl es natürlich umgedreht war, wie sein Gegenspieler bei MSNBC, Keith Olbermann, sogleich mit erhobenem Zeigefinger und Schaum vor dem Mund klarstellte. Natürlich ist O'Reilly ausserdem für Folter, für strenge Arbeitslager in Alaska und zudem ausländerfeindlicher als die NPD. (Neulich forderte er deswegen die Abschaffung des St. Patrick's Day, achnein, das war CNN-Kollege Lou Dobbs, sie sind so schwer auseinanderzuhalten.) Den ganzen Dreck kann man sich fünfmal die Woche im Fernsehen ansehen.

Jedenfalls: Beim letzten Besuch bei Letterman, im Januar 2006, beklagte "Billo" die Diskreditierung des Weihnachtsfestes durch "säkulare Kräfte" als eines der Hauptprobleme Amerikas. Seine Belege dafür hatte er sich einfach ausgedacht. Trotzdem rettete Letterman den dadurch gewonnenen haushohen Vorsprung nur gerade so über die Zeit. Diesmal liess O'Reilly seinen Weihnachtunsinn weg und konzentrierte sich ganz auf sein Spezialthema Irak, und Letterman, was soll man sagen, scheiterte trotz Heimvorteil kläglich. Er verliert an der ersten Base, an der WMD-Base, dann an der CIA-Base, zuletzt auch an der Al-Qaida-Base, und ergibt sich schliesslich abermals dem Nihilismus. Zwei Fragen: Wieso haben die Rechten immer die besseren Demagogen? Musste der Kommunismus darum scheitern? Und wieso sollen die Jungs nicht mit Totenköpfen spielen dürfen? Gut, das waren genaugenommen drei Fragen.


28.10.2006 | 20:30 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Dunkle Stellen

Jetzt hat Uranus also einen dunklen Fleck. Flecken an sich sind natürlich erstmal nicht besorgniserregend, alle Planeten sind in gewisser Weise fleckig. Der Grosse Rote Fleck auf Jupiter etwa geht schon seit fünfhundert Jahren nicht mehr raus und wurde so zum berühmtesten Fleck der Welt. Aber dieser neue Fleck da auf Uranus ist eindeutig dunkel, fast schwarz. Ein dunkler Fleck auf Uranus? Was kann das bedeuten? Muss man sich kümmern? Von der Sonne und anderen Sternen ist man dunkle Flecken zwar gewöhnt, Stellen, an denen sich das Magnetfeld rücksichtslos durch die Atmosphäre bohrt, aber das ist ja schliesslich die Sonne, die kann sich das leisten. Jedoch Uranus? Ein dunkler Fleck auf Uranus? Zu lange in der Sonne gelegen könnte natürlich sein, denn der Nordpol von Uranus liegt gar nicht im Norden, sondern ungefähr dort, wo die Sonne steht – der Fleck somit Tag und Nacht mitten im Licht. (Genaugenommen hat Uranus Tag und Nacht zum Grossteil abgeschafft – eine gute Entscheidung.) Aber kann man Melanome kriegen, wenn es draussen minus zweihundert Grad und also saukalt ist? Wieso lässt man sich unter solchen Bedingungen kein Fell wachsen? Jedenfalls: Uranus hat jetzt einen dunklen Fleck.


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