Riesenmaschine

28.04.2006 | 19:24 | Anderswo | Alles wird schlechter | Vermutungen über die Welt

Wasser Marsch


Ganz wichtig: Quellenangaben (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das Geschrei auf den Strassen Europas war gross, als 2003 George W. Bush in den Irak einmarschieren liess. "Krieg ums Öl" titelten linke Blätter und witterten unfreundlichen Kapitalismus. Bald schon aber werden diese Gazetten "Krieg ums Wasser" rufen, wenn man dem politikwissenschaftlichen Kassandrakomplex trauen darf. Ähnlich wie in Waterworld, wird behauptet, werden wir uns wegen Wasser noch hübsch die Köpfe einschlagen. Bzw. eher: Die sich, denn die Wasserproblematik stellt sich zunächst vor allem in den trockenen Gebieten der Erde. Während in Europa die Qualität des Wassers mittels des Grander-Effektes längst derart verbessert wurde, dass man mit dem an sich mittelprächtigen Produkt Wasser sogar seinen Mercedes auf Hochglanz bringen kann, steht beispielsweise in Libyen eher Quantität auf der Tagesordnung.

Mit einer Hybris, die nur Autokraten an den Tag legen, lässt Gaddafi dort seit über 20 Jahren (und für weitere 25 Jahre) einen grossen, von Menschenhand erschaffenen Fluss bauen. Dafür wurden die Wasservorräte eines sich unter der Wüste Sahara befindlichen Urmeeres angezapft. Das Wasser, das zum Teil bereits 38.000 Jahre unnütz unter dem Sand rumliegt, wird in 6.500.000 m³-Portionen pro Tag über 4.000 km durch das Great Man-Made River-System abtransportiert werden. Das "achte Weltwunder" (Colonel Muammar al-Gaddafi) kostet bislang 25,6 Milliarden Dollar, soll die wachsende Bevölkerung des Landes mit Wasser versorgen – und wird zur Folge haben, dass die Sahara noch weiter austrocknet (ja, das geht, von unten nämlich). Das Projekt ist also zwar hübsch grössenwahnsinnig, aber kein sonderlich nachhaltiger und dauerhafter Lösungsansatz. Denn irgendwann ist das Urmeer einfach leer, all die grünen Anbauflächen in Libyen verdorren – und der Krieg ums Wasser kommt trotzdem. Der einzige solche Krieg, den die Geschichte bislang kennt, trug sich übrigens 2500 v. Chr. zu, als Ulama, der König des Stadtstaates Lagasch, dem benachbarten Umma das Wasser gleich zweiter Flüsse abgrub: Euphrat und Tigris im damaligen Mesopotamien. Das Land heisst heute Irak – und gekämpft wird immer noch.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wann werden wir das Wasser verstanden haben?


28.04.2006 | 10:29 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Memento Mori


As time goes by (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Lange genug wurden Gadgets als unnötiger Unsinn und Zivilisationsmüll abgetan, obwohl die letzten, grossen Revolutionen ja fraglos von kleinen, am Körper tragbaren Dingen ausgelöst wurden. So wie der iPod endlich den in Absolute Giganten geäusserten Wunsch "Es müsste immer Musik da sein" Wirklichkeit werden liess und das Leben in der Postmoderne erst erträglich machte, so bedeutet das wieder entdeckte US Patent No. 5,031,161 nichts weniger als den nächsten kapitalen Umbruch. Die uhrförmige, kleine Erfindung verrät dem Träger seine Lebenserwartung in Jahren, Monaten, Tagen, Stunden und Minuten. Der Effekt wird grossartig sein: Endlich wird das Leben zu einer vorstellbaren Grösse! Erbstreitereien gehören der Vergangenheit an, alles kann noch entspannt geplant werden, ehe abgenippelt wird. Endlich wird man bei der Wahl der Lebensversicherung nicht mehr über den Tisch gezogen! Endlich kann der aus der Tages- und Wochenplanung beliebte To-Do-Listenismus auf das Leben übertragen werden, endlich hat das ständige Aufschieben seine Berechtigung verloren und an seine Stelle treten schöne, sinnvolle Notizen: Unbedingt bis 30 erledigen: Agentur gründen, Weltreise, Studium fertig! Deadline Mitte 35: Familie (urgent!), Doktortitel, Mercedes kaufen. Nicht vergessen: Erbe in den nächsten drei Wochen verprassen! Schon bald wird man sich fragen müssen, wie man bisher nur sinnvoll ohne diese Erfindung leben konnte. Was aber passiert eigentlich, wenn die Batterie leer ist und das Ding stehen bleibt?


26.04.2006 | 14:55 | Berlin | Zeichen und Wunder

Markenworkshop


Viele herzliche Grüsse ... sendet ... (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Darüber, dass man mit Briefmarken nicht nur Post umhersenden, sondern auch allerlei Fortschritt bestreiten und Eulenspiegeleien anstellen kann, berichtete unlängst Kollege Brake. Nun zeigt sich: Briefmarken sind offenbar das Medium der Stunde.
James Cauty, ehemals bei The KLF (deren Backkatalog Cauty gemeinsam mit Bill Drummond komplett löschte), hat nach Jahren mit übergrossen Kunstformaten die Briefmarke als geeigeneten Bedeutungs- und Kunstträger entdeckt.
Auf seinen grob DIN A4-grossen "National Postal Disservice"-Marken wird der 11. September in London neu aufgeführt, brennen die Beatles, während sie die Abbey Road überqueren, trägt die Queen eine Gasmaske oder wird ganz durch einen Affen ersetzt. Ehrensache, dass die englischen Konservativen und die "Royal Mail" einigermassen "Not amused" sind. Andererseits endlich mal wieder eine Briefmarkensammlung, die jemand unter 70 tatsächlich sehen will.

Die Ausstellung "A Stamp Collector's Guide To World Domination" ist vom 6. Mai bis zum 3. Juni im Ausstellungsraum The Aquarium, der Dependance der Londoner Aquarium Gallery, in der Falckensteinstrasse 35 in Berlin zu sehen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Markenentwicklung


05.04.2006 | 12:17 | Alles wird schlechter | Sachen anziehen | Papierrascheln

Vorsicht, ein Trend geht um


Hedi Slimane und seine tollen Trends sehen Sie hier
Trends zeichnen sich im Allgemeinen dadurch aus, dass sie schnell kommen und schnell gehen und meistens ist das auch ganz gut so. Das Problem ist dabei, dass diejenigen, die von der Beschreibung oder Vermarktung dieser undurchsichtigen, kaum greifbaren Zeitgeistphänomene leben, unglaublich schnell sein müssen – sonst ist der Trend schon vorbei, ehe man ihn totschreiben oder ausverkaufen konnte. Was in diesem Geschäft zählt, ist alleine Schnelligkeit. Ahnung vom Objekt zu haben ist eher von Nachteil.

Max beispielsweise, offenbar nicht unbedingt ein Blatt, das zu grossen Wert auf "Inhalte", "Richtigkeit" oder sonstigen überflüssigen Ballast legt, erklärt seiner Leserschaft in der aktuellen Ausgabe unter der Rubrik What's Hot die neue Kollektion des französischen Designers Hedi Slimane anhand popkultureller Referenzen. Geschrieben steht da: "Besonders schöne Kombination: schwarzer Schlips aus Leder zu weissem Hemd und dunkler Röhrenjeans. Der neue Glam-Rock-Look erinnert an eine Mischung aus Mick Jagger und den Sex Pistols. Gefühlte Temperatur: heiss wie ein Gitarrenriff von Jimi Hendrix."

Auf eine Weise ist es schon wieder bewundernswert: Hier stimmt keine der genannten Referenzen, kein einziger Zusammenhang ergibt Sinn oder hat mit dem vorher Gesagten zu tun. Schlips und Jeans haben nichts mit Glam-Rock am Hut, Glam-Rock nichts mit Mick Jagger, Jagger nichts mit Sex Pistols und diese nichts mit Hendrix. Gottseidank muss man Slimanes neue Kollektion nur ansehen und nicht anhören. Einmal angenommen, sie sähe tatsächlich aus wie von Max beschrieben, man müsste mit dem schlimmsten Musikverbrechen seit Bastard-Pop rechnen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Das Z am Ende ist am Ende


03.04.2006 | 21:22 | Berlin | Alles wird schlechter | Sachen kaufen

Aussichtslos


Warschauer Brücke mit Teilpanorama, aber noch ohne Werbetafel (Foto: procorde / Lizenz)
Immer genau dann, wenn man sich mit dem Kapitalismus und seinen Machenschaften arrangiert hat und angesichts bereits wieder herannahender, revolutionärer Umtriebe zum 1. Mai nur noch den Kopf schütteln will, dann legt der Kapitalismus noch ein Scheit auf das Feuer, auf dass der Hass auf das System/die Reichen/die Konzerne/die Globalisierung wieder auflodert.

Den neuesten Streich kann man dieser Tage von der grausam-schönen Warschauer Brücke in Berlin beobachten. Grausam ist diese Brücke im Stadtteil Friedrichshain, weil der Wind und das Publikum dort so unerbittlich sind wie sonst nirgends in der Stadt; schön, weil der Ausblick auf die Innenstadt Panoramaqualitäten hatte. Ja, hatte. Denn mitten in die Skyline rund um den Fernsehturm hat jetzt der Metro-Konzern ein wahnwitzig überdimensioniertes Firmenlogo platziert, das den bei Touristen wie Neuberlinern sehr geschätzten Ausblick vollkommen zerstört. Bizarr gross, gelb, blau und in ästhetisch wenig ansprechender Typographie steht der Supermarktanzeiger erhoben über dem zugehörigen Gebäude, exakt in der Blickachse des Fernsehturms, im Sichtfeld nur knapp links neben dem Gebäude des Ostguts, direkt vor dem Ostbahnhof. Eben mitten im Ausblick.

Wer bisher beim Blick von der Brücke "toll", "schön" oder meinetwegen auch "geile Scheisse" dachte und sich über die Ansicht freute, denkt jetzt "Metro" bzw. nur noch "Scheisse". In Zukunft werden Urlaubsbilder aus Berlin von überdimensionierter und äussert unsympathischer Reklame handeln. Dabei hatte man gerade eben die ärgerliche Inbesitznahme des Fernsehturms durch die Telekom verdaut und aus der bewussten Wahrnehmung getilgt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Überhandnehmen des aufdringlichen Kapitalismus die Menschen wutentbrannt auf die Strasse treibt. Bald ist ja wieder 1. Mai.


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