Riesenmaschine

16.11.2007 | 12:11 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Es geht voran


Man darf hoffen, dass solcherart dunkle, nur von in Duschköpfen integrierte LEDs beleuchtete Räume bald der Vergangenheit angehören werden. Bild: Luccon.
Es soll der Bauindustrie später niemand vorwerfen, sie hätte sich nicht bemüht. Das Gegenteil ist der Fall: bereits vor zwei Jahren brachte sie das Licht aus der Leitung auf den Markt und neu gibt es jetzt lichtdurchlässigen Beton zu kaufen.

Er ist zwar noch sehr teuer, aber trotzdem: Es geht rasant voran auf dem steinigen Weg zur Erfüllung des uralten Menschheitstraums, Tageslicht nicht nur draussen, sondern auch im Haus zu geniessen. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird demnächst irgend jemand sogenanntes Glas erfinden – ein Zauberstoff, von dem SciFi-Autoren seit Jahren fabulieren. In dieser gut ausgeleuchteten Zukunft wird man von der Dusche aus die Passanten auf der anderen Seite der Wand klar und deutlich und komplett in Farbe sehen können!


03.10.2007 | 19:08 | Anderswo | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Peter Pillers lange Tage bei der Carat Hamburg GmbH & Co


diffus wahrnehmbare Aufbruchstimmung – 2/05
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
..., er sieht auch nicht gut aus in letzter Zeit, früher hat er eher mal noch einen Witz gemacht, aber man muss sich das auch mal vorstellen, die ganze Verantwortung für 9 Angestellte, das nimmt man ja mit nach Hause, sowas, er müsste einfach mal wieder raus ...

Eine solche Litanei neben eine schnelle Zeichnung vom Chef notiert, trägt den schönen Titel: "Der Chef von unten". Gezeichnet ist es auf Briefpapier der Firma "Carat Hamburg GmbH & Co.", wo Peter Piller jahrelang und offensichtlich eher widerwillig arbeitete, um sein Leben und seine Kunst zu finanzieren. Das war lange vor der Erfindung der Digitalen Bohème und heute kann Piller denn auch von der Kunst und der Professur an der HGB Leipzig leben. Es ist ihm zu gönnen, denn selten ist Kunst vergnüglicher als bei Ausstellungen von Photographien aus dem Archiv Peter Piller.

Wir danken Piller aber trotzdem für die Zeit, die er bei der Carat Hamburg GmbH & Co körperlich anwesend war, denn schöner und präziser als in den dort entstandenen Zeichnungen wurde der trübe Wahnsinn des modernen Büroalltags nie dargestellt. Skizzen und Notizen wechseln sich ab oder ergänzen sich und die Titel – oft ebenso wichtig wie die Zeichnung selbst – geben Auskunft über den Verbleib von Pillers Geist.

Piller röntgt "Die Kammer, in der das Klopapier gelagert wird" vom Schreibtischplatz aus, rekonstruiert eine Excel-Tabelle vom Monitor aufs Briefpapier, skizziert den an den Monitor gelehnten Teddy der Kollegin und richtet den Blick bisweilen auch aufs grosse Ganze. "Wessen Kapital lenkt uns bloss? Und wohin?" steht unter der Skizze einer typischen Bürotasse – und man leidet mit beim Versuch Pillers, sich zwischenmenschlich über Wasser zu halten: "Im Gegenüber den feinsinnigen Privatmenschen vermuten".

"Herr Piller gibt sich Mühe, damit es ein weiteres Jahr keinen Ärger mit ihm gibt", gemalt in dicker Blockschrift und von Piller selbst unterschrieben, macht, dass man Piller nachträglich trösten möchte – wenn man mit Lachen fertig ist. Und dann wendet man sich der Zeichnung eines knienden, durchsichtigen Mannes zu, dem rektal ein spitziges schwarzes Etwas durch den ganzen Körper bis in den Kopf getrieben ist. "Darmspiegelung – armer Kollege. Gibt einen Tag frei."

Wir empfehlen dringend einen baldigen Ausflug ins Kunsthaus Glarus wo das Konvolut "Bürozeichnungen" neben den bekannteren Photoarbeiten Pillers zu sehen ist. Und wer jetzt meint, Glarus sei ja nicht grad ums Eck, dem halten wir entgegen, dass man die vollständige Staffel von "The Office" ja auch nicht in zwei Stunden weggucken konnte.

Peter Piller – Ästhetik und Langeweile, noch bis zum 18. November im Kunsthaus Glarus. Bei Christoph Keller Editions, JRP/Ringier, Zürich ist ausserdem die Publikation "Teilzeitkraft" mit den Bürozeichnungen erschienen.


02.10.2007 | 01:09 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Richtlinien für den Wiederaufbau der Welt


links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Le Corbusier schlug 1925 im 'plan voisin' vor, die schmutzige, unhygienische, dunkle, veraltete und nicht autogerechte Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Hochhäuser zu bauen. Er dachte sich, dass so alle Menschen in Licht, Luft und Sonne funktional und gesund leben könnten und versprach sich (und allen anderen) davon eine bessere, lebenswertere und gerechtere Welt. Wie man heute noch sehen kann, ist Corbusier mit seinem Vorschlag kläglich gescheitert. Er war den Leuten wohl irgendwie zu technisch.


links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ganz anders hingegen seine Majestät Maharadja Nader Raam. In "perfekter Beziehung zum Kosmischen", zum "unendlichen und unbegrenzten Feld des Bewusstseins" und "dem allem zugrunde liegenden gesamten Naturgesetz" kommt jetzt sein Vorschlag für den Neuaufbau von Paris nach Sthapatya-Veda, von dem er sich (und allen anderen) "Leben in Erleuchtung, vollkommener Gesundheit, Wohlstand, Unbesiegbarkeit und Frieden" verspricht: Seine neue, ideale Stadtplanung sieht vor, die Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Häuser zu bauen.

Na also. So gehts doch auch, Herr Corbusier!


24.08.2007 | 22:00 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Supertiere

Riesenmaschine auf Reisen – heute in Romanshorn


Uralt und sieht trotzdem aus wie ein Pokémon: der mocmoc in seinem natürlichen Lebensraum. Bild: Comcom
Wer als Reisender dieser Tage nach Romanshorn kommt, begegnet dort einem Rätsel. Beim Baden am See, beim Eiskaufen und in der Pizzeria hört er immer wieder vom "Slouöp", das ganze Dorf am Bodensee ist im Banne des Slouöps. Ältere Romanshorner scheinen ihn eher zu fürchten oder zu verachten, die jüngeren aber scheinen sich auf ihn zu freuen. Und es scheint, als erwarte man seine Ankunft für dieses Wochenende.

Unwillkürlich erinnert sich der Reisende an den mocmoc, jene Ente, die Romanshorn vor drei Jahren in grosse Aufregung versetzte, es zum Gespött der ganzen Schweiz machte und für kurze Zeit in den Fokus der heimischen Kunstszene rückte. Damals präsentierte das Künstlerduo Comcom der Presse im Rahmen eines ausgeklügelten Kommunikationskonzeptes eine angeblich im Gemeindearchiv entdeckte Urkunde, auf der die Legende des Mocmocs verzeichnet war. Das Fabelwesen Mocmoc sollte demnach der Gemeinde zu ihrem Namen verholfen haben, was aber in Vergessenheit geraten sei.

Der ganze Gemeinderat, die Kunstkommission und die wenigen Eingeweihten spielten das Spiel mit, die Künstler präsentierten kurz darauf das Fabelwesen als gehörnte gelbe Polyesterfigur, halb Ente, halb Fisch, mit einem Schuss Einhorn und einem nachts rot leuchtenden Herzen. Als der Schwindel aufflog, war die Bevölkerung entsetzt, es bildeten sich Bürgerinitiativen, der Gemeinderat entschuldigte sich und es wurde die in der Schweiz obligate Volksabstimmung durchgeführt. Die von den Mocmocbefürwortern erstaunlicherweise knapp gewonnen wurde.

Der Mocmoc durfte an seinem Standort auf dem Bahnhofsplatz bleiben – und jetzt kommt also der Slouöp. Mocmoc und Slouöp, Romanshorn gibt sich wirklich alle Mühe, seinen Besuchern etwas zu bieten. Aber erst, wenn der Reisende Romanshorn wieder verlässt, wird ihm dank einer Werbetafel am Strassenrand ernüchtert klar, worum es sich beim Slouöp eigentlich handelt. Um eine Art autofreien Sonntag also, den die Einheimischen lediglich nicht richtig auszusprechen wissen. Beachtenswert ist daran dann leider nur noch dieses PDF, das erklärt, wie man mit dem Auto zum autofreien Slouöp anreisen kann.


07.07.2007 | 03:17 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Die nächste grosse Zahnbürste


So schön kann Fortschritt sein (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Allerliebst: die beiden Auspüffchen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Die "Fuelbrush" in Gebrauch – zauberhafte Anmutung zwischen Boxenludertum und Weisser Erotik (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während sich die Industrie noch damit abmüht, ihr notorisch untermotorisierten Elektrozahnbürsten mit "On-Board-Computern" aufzupeppen, ist Markus von Glasenapp, Absolvent der hgkz, bereits sehr viel weiter. Er entwickelte die wahrscheinlich erste benzinbetriebene Zahnbürste. Diese kommt selbstredend ohne Computerunterstützung aus, denn die Frage nach der gewählten "Reinigungsstufe" stellt sich hier ja wohl nicht, befördert doch "Fuelbrush" die Motorenleistung von Zahnbürsten quantenspringend in neue Dimensionen.

Doch nicht nur der Leistungsgewinn der Fuelbrush lässt träumen; viel mehr noch ist es die Simplizität, die damit ins tägliche Leben des modernen Menschen Einzug halten wird. Akkus sind ja ständig leer und ohne die passende Basisstation nicht aufzuladen, oder sie sind kaputt und natürlich nicht auszuwechseln. Wer schon einmal in den peruanischen Anden versucht hat, seinen iPod wieder zum Funktionieren zu bringen, weiss, wovon die Rede ist. Benzin hingegen ist universell und überall verfügbar und man fragt sich, warum es nicht längst einen benzinbetriebenen iPod gibt.

Wenn man liesst, was von Glasenapp zu seiner Diplomarbeit schreibt, wird man allerdings den Verdacht nicht los, dass er durch reine Schusseligkeit im Studiengang "Neue Medien" gelandet ist, obwohl er sich ganz offensichtlich beim "Industrial Design" hätte einschreiben wollen. Jetzt muss er nämlich so tun, als hätte er die Welt mit seiner Zahnbürste gar nicht wirklich verbessern wollen: "Eine funktionstüchtige benzinbetriebene Zahnbürste eröffnet einen Moment des Innehaltens im permanenten Voranhasten von technischen Lösungen im Angesicht der Klimakatastrophe", so von Glasenapp zu seiner Erfindung. Das ist natürlich ganz augenfällig kompletter Quatsch und wird hoffentlich nur seine Lehrer täuschen können, nicht aber die Industrie, von der wir uns in Zukunft ganz viele bezinbetriebene Geräte wünschen.

Diplomausstellung 2007 der hgkz, Toni-Areal, Zürich; noch bis zum 12. Juli


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