Riesenmaschine

28.08.2007 | 13:20 | Berlin | Essen und Essenzielles

Sommermüll


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"Der Regen wird wärmer", singt famos Der Automat und etabliert damit das Nanogenre des Antisommerhits speziell für verregnete Sommer. Und siehe da, Nanolösungen für Nanoprobleme sind das neue kleine Ding, zum Beispiel bei der Mülltrennung. Warum nur fünf Mülleimer für die Müllsorten Glas, Papier, Verpackung, Restmüll und Bio? Wo bleiben Zwischentöne und Grauwerte, wo ist gar die alte Tugend der stufenlosen Verstellbarkeit geblieben? Ein Eisladen im Superberlinerbezirk Prenzlauer Berg macht es vor und stellt sich einen Eiswaffelmülleimer vor die Tür, der mit allem, was er hat und kann, deutlich macht, welcher Müll bitteschön in ihn eingeworfen werden soll. So sieht vorbildliche, plakative Mülltrennung aus, wir brauchen auch in den Haushalten für jedes Produkt einen eigenen Spezial-Mülleimer. Der könnte ja dann auch viel kleiner sein, eventuell genau so gross wie eine normale Verbraucherverpackung. Schluss dieser fabelhaften Entwicklung wäre, dass jedes Produkt seinen eigenen Mülleimer bereits enthalten könnte. Man bräuchte dann nur noch eine zentrale Mülleimersammelstelle, das Müllproblem wäre gelöst und die Menschheit könnte sich drängenderen Problemen widmen, etwa der Gleichverteilung von regenarmen Sommern auf der Welt.


26.08.2007 | 22:45 | Berlin | Essen und Essenzielles

Die verkrepelten Pfirsiche von Askaban


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Prenzlauer Berg ist der Bezirk mit der höchsten Biomarktdichte der Welt. Man kann in einigen Strassen kaum mehr aus dem Fenster aschen, ohne die organisch biologische Frischwarenauslage zu verdrecken – aber Moment! Denn die organisch biologische Gemüsesituation ist in den meisten Fällen bereits verdreckt, und zwar mit Erde, Wurzeln, Staub, und Zweigen. In Zeiten, in denen bioverfütternde Mütter glauben, Tomaten aus Holland werden in Gewächsfabriken auf Polyesterwatteböden Tag und Nacht zu Höchstleistungen gepeitscht, bekommen aber nur künstliches Wasser und genmanipulierte Hormone zu essen, in diesen Zeiten also, da ist Dreck am Stecken bzw. an der Tomate ein naturversprechendes Qualitätkriterium. Eine bekannte, soziologisch interessante Umdrehung der ästhetischen Wertigkeit – aber für Naturesswaren ein soziales Problem: Gemüse galt immer als erdverschmierter Pöbel unter dem Fruchtgut. Es kam von unten und man verzehrte es gekocht und in der Masse. Das vornehme Obst, die Herrenrasse der Nutzpflanzenapartheid, schaute aristokratisch und unverschmutzt vom Baum auf's Gemüse herab und blickte sonnenbeschienen dem Pflückvorgang entgegen, um dann ungekocht und in den meisten Fällen einzeln verzehrt zu werden.

Doch mit der Biowelle wendete sich das Blatt – denn das fürnehme Obst hatte aufeinmal keine Handhabe mehr, zu beweisen, wie natürlich es doch sei und sich gegen Fabrikgewächse abzugrenzen. Lange beriet man im Obersten Organischen Obstrat, wie man selbst auf den ersten Blick nachvollziehbar "die organische Karte ziehen" sollte (wie eine gewiefte Altaubergine es ausdrückte). Bodenhaltung vortäuschen? Eine klare Geflügeldomäne. Sichtbare Druckstellen? Undenkbar, Fallobst war praktisch gleichzusetzen mit dem proletarischen Gemüse. Die Pfirsiche wagten sich mutig vor und schlugen einen Obstrelaunch vor: eine neue, besonders organisch und individuell wirkende Formgebung. Im Kopf der Zielgruppe sollte die Verknüpfung von "natürlich verwachsenem" Obst und biologisch organischem Anbau gelingen. Die Testpfirsiche gibt es derzeit in ausgewählten Biomärkten. Ob das zugegeben radikale Vorgehen in der menschlichen Monokultur des Prenzlauer Bergs Früchte trägt, wird man sehen.


23.08.2007 | 22:42 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Wirtschaftsfaktor Hautcremeinnovation


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Wir alle kennen und lieben Pliasmen, also erfundene Fremdworte. Aber ist es wirklich richtig, dass eine Firma wie Garnier mit Nahrologie ein deutschgriechisches Wortmonster mit scheinwissenschaftlichem Abgeschmack in die Wortwelt presst, die noch immer an den Folgeschäden der Erfindung der "Cerealien" in den 90er Jahren leidet? Noch vor wenigen Monaten hätte die kulturpessimistische Sprachbewahrsekte, nennen wir sie die Sicks, darauf eine eindeutig abschmetternde Antwort gegeben. Das tut sie vermutlich heute immer noch, aber inzwischen ist das Gegenteil bewiesen, bzw. lässt sich mittelgeschmeidig herleiten.


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Denn auf dieser Grafik ist für den Zeitraum von 1951 bis 2007 dem Weltwirtschaftswachstum gegenüber der Verwendungzuwachs von Hautcreme abgetragen (Quellen: Wikipedia, Institut für Wirtschaftskosmetik [pdf, 12,4 MB]). Es ergibt sich nicht nur ein direkter Zusammenhang, inklusive der bezeichnenden, typisch 24-monatsverschobenen Einbrüchen zu den Ölkrisen '73 und '79 und dem Spontaneinbruch zur Wiedervereinigung. Darüberhinaus lassen sich vor allem in den Spitzen die grossen Innovationen der Hautcremebranche ablesen: Die '63er sogenannte "Nivea-Explosion", als man bei Beiersdorf mit flächendeckender TV-Werbung begann; der Oil of Olaz-Gipfel von '76 bis '79; die Entdeckung von Ersatzstoffen für ionische Tenside '81 und der Boom der konservierungsstofffreien Gesichtskosmetik '97.

Klar scheint nun, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen der Weltwirtschaft und der Verwendung von Hautcremes in Deutschland und Europa. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist für alle Nichtfachleute, besonders aber für alle Fachleute noch vollkommen unklar, warum das so ist und vor allem, welcher Faktor von welchem abhängt. Bis das geklärt ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Innovationen auf dem deutschen Hautcrememarkt direkt positive Wirkung auf den Wohlstand der Welt haben. Märkte sind Psychologie und so muss jeder Versuch einer gefühlten Innovation, sei er auch noch so hanebüchen, euphorisch begrüsst werden: Danke, Garnier, super.


21.08.2007 | 12:34 | Berlin | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Scheibenwelten


"Na?! Auch schon mal beim Scheibenkratzen erwischt worden? Voll peinlich! Und die Kohle für den neuen Player ist auch flöten" (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Als ich diese neue Massnahme der S-Bahn-Betreiber gegen den Trendsport junger Randalisten, das "Scheibenkratzen", sah, dachte ich bei mir, ob es trotz seiner unfassbar anbiedernden, gewollt jugendsprachlichen Plumpheit eventuell nicht doch wirken könnte. Es folgte die allgemeine Überlegung, ob die richtige und damit wirksame Ansprache für Vollidioten logischerweise nicht auch vollidiotisch sein müsste. Mit einem Mal öffneten sich mir bisher verborgene, alleserklärende Gedankenwelten, die auf der Annahme beruhten, dass alles Bescheuerte und Bekloppte auf der Welt von Klugen und Umsichtigen absichtlich bescheuert und bekloppt gemacht wurde, um den armen Bescheuerten und Bekloppten gerecht zu werden.

Dann aber sah ich, dass das gegenüberliegende S-Bahn-Fenster vollkommen zerkratzt und überdies mit einer – vom Zerkratzen ausgesparten – Werbung für einen mp3-Player beklebt war. Meine zurechtgehoffte Theorie fiel in sich zusammen, wurde am Boden von meinen Tränen der Ernüchterung benetzt, ich stieg aus der S-Bahn und versuchte erfolglos, nicht selbstmitleidig zu werden.


17.08.2007 | 22:58 | Berlin | Vermutungen über die Welt

Am Anfang war das Wort


Berlin, Schönhauser Allee (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit vielen Tausend Jahren versucht sich der Mensch den drögen, schnöden, spröden Alltag zu versüssen und erfand dazu irgendwann Kultur. Samen der Kultur ist die Sprache, das Wort. Als der Urmann der Urfrau eines Morgens einen Mammut versprach und am Abend wegen eines ausgedehnten Kneipenbesuchs mit einem Kaninchen zurückkam, wurde zuerst die Lüge ("hab' alles versucht, Mammut war zu schnell!") erfunden. Die Frau konterte mit der Erfindung der Ironie ("Ja, klar"). Der Mann wusste sich nicht anders zu helfen und erfand schnell die Stilfigur, also eine Mechanik, Worte nach Gutdünken finezutunen und interpretativ anzureichern. Er rechtfertigte sich unbeholfen metaphernartig ("schmeckt aber wie Mammut"), die Urfrau aber antwortete angemessen ("kurzbeiniger Lügner") und erfand so gleichzeitig Hendiadyoin und Pleonasmus. Der Mann war tödlich beleidigt und reagierte mit der Erfindung der Hassliebe, also eines waschechten Oxymorons. Um ein Haar wäre so am Oxymoron Hassliebe die Menschheit vermehrungstechnisch nicht in Gang gekommen. Deshalb beschleicht uns noch heute ein gewisses Unbehagen, wenn uns ein Oxymoron begegnet, erst recht, wenn es sich um ein so schmerzhaftes handelt wie "Kelleroase".


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