Riesenmaschine

29.09.2006 | 20:01 | Anderswo | Essen und Essenzielles

Kein trockenes Auge um Auge


Mach meinen Tag nass, Punk
(Foto von Yaniv Golan) (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Mit zunehmender Menschendichte steigt die Anzahl der gesellschaftlich sanktionierten Regeln und Gesetze, um ihr Zusammenleben zu ermöglichen; die persönliche Freiheit des Einzelnen, ebenso wie der physikalische Raum, der ihm zur Verfügung steht, um seinen Fussabdruck reinzumachen, nimmt stetig ab. Der offensichtliche Ausweg, die vielen Menschen wegzumachen, ist aus guten Gründen verboten, und findet daher in der Regel nur in Kunst und Spiel statt, durch Abschaffung der Anderen oder Isolation des Einzelnen. Die Beispiele dafür sind Legion; eins der jüngeren ist StreetWars, gegründet vor zwei Jahren, seitdem in sieben Städten gespielt und soeben in New York zum achten Mal gestartet, bei dem die Mitspieler mit der Wasserpistole Jagd auf ein Opfer machen, während ihnen ihr eigener Spritzkiller im Nacken sitzt. Jeder Spieler bekommt Heim- und Arbeitsanschrift und ein Foto des zu Mordenden, und zahlreiche der Mitspieler verfallen während der Spielwochen in den Komplettsimulationsmodus, treiben sich stundenlang auf Dächern in Ninjakostümen herum und steigen in ihre eigene Wohnung nur noch durchs Badezimmerfenster des Nachbarn ein. Erfolgreiche Killer erledigen als nächstes das Ziel ihres Opfers, bis es am Ende wie im Eliminationsfilm Highlander nur noch einen gibt, weil alle anderen nass sind.


29.09.2006 | 03:48 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder

Der allerletzte Kaiser


Kessar Impreore, Umrumqi

"Vorstandsmitglieder in der Firmenzentrale in Rom"

"Seit den fünfziger Jahren arbeitet Chefdesigner Giorgio für Kessar"

"Gründer 1881: Feilibonuo Kaisa"
Buchstabensalat- und Louisbranding, das Umbranden von Paris und Fashion La Vico sind beileibe nicht alles, was die Chinesen im Weltbrandingskrieg aufzubieten haben. Den bisherigen Höhepunkt bilden ihre Anstrengungen rund um die Schuhmarke "Kessar impreore". Schon der Name signalisiert einen imperialen Anspruch. Kessar – so entnimmt man den Schriftzeichen – soll für Kaiser stehen, und impreore für Imperator, so dass wir den ganzen Firmennamen als "Kaiser Kaiser" dechiffrieren können.

Das klingt nun fast schon wie Hohn und etwas Spott, und soll vielleicht auch so gemeint sein. Eventuell ist es aber auch ein grosser Test? Das legen nämlich die Fotos nahe, die in einer Shopping-Mall im westchinesischen Urumqi die Geschichte der Firma Kessar erzählen. Die freundlich lachenden Herren auf dem zweiten Bild sind angeblich Kessars "Vorstandsmitglieder in der Firmenzentrale in Rom, Italien." Auf Foto Nummer Drei soll man "Qiao Qi Ou" sehen, also Giorgio, ein Mann, der "in den fünfziger Jahren als Kessars Chefdesigner eingestellt wurde". Das vierte Foto zeigt Herrn "Fei Li Bo Nuo Kai Sa" (=Philipp oder Filipino Kaiser), der die Firma 1881 gegründet hat, im selben Jahr übrigens, in dem auch Nino Ceruttis Vater geboren wurde.

Nun wissen wir zufällig, dass der Mann auf diesem Foto nicht Philipp heisst, sondern Sigmund, und zwar Sigmund Freud (vgl. besonders dieses Foto). Der gründete 1881 keinen Schuhladen, sondern promovierte mit dem Thema "Über das Rückenmark niederer Fischarten" zum Doktor der Medizin. Und auch die anderen abgebildeten Herren heissen sicher anders, als man in Urumqi so behauptet. Nur wie? Das ist die Frage, die wir an Sie weitergeben wollen. Drucken Sie diesen Beitrag bitte aus, zeigen Sie ihn jedem, den Sie kennen, hängen Sie ihn an Bäume und Laternenpfähle und helfen Sie uns so, Giorgio und die Vorstandsmitglieder zu identifizieren. Wenn uns das gelingt, dann würden wir den sauberen Modekaisern von China zeigen, dass sie uns nicht für komplett dumm verkaufen können. Wenn aber nicht, können sie es eben doch.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Figarau, Figarau, Figarau

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (11)


27.09.2006 | 16:16 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Figarau, Figarau, Figarau

Im Weltbrandingskrieg zwischen China und dem Rest der Welt kämpft das chinesische Modehaus La Vico mit besonders raffinierten Waffen: Es bedient sich nämlich auch des erst kürzlich hier entdeckten Louis-Brandings, allerdings ganz ohne Louis. Dafür ist sein Logo so dicht an dem Original-Vuitton-LV dran wie kein anderes. Ob das nun Fälschen, ohne abzukupfern ist oder eher Abkupfern, ohne zu fälschen, müssten eigentlich Experten entscheiden. Doch angesichts der chinesischen Guerilla-Markenflut sind die längst stiften gegangen.

So kann sich neben "Fashion La Vico" auch Yves Figarau anschicken, die Welt zu erobern. Die diversen Anziehsachen der Firma mit dem erfreulich schwulen Namen werden zwar in Shenzhen bei Hongkong zusammengeschneidert. Trotzdem steht "Paris" unter dem Firmennamen und Chefdesigner Zhong Wei erklärt: "Wir sind eine europäische Marke." Wer so entschieden die Realität uminterpretiert, der wird sich auf Dauer mit Halbheiten nicht zufrieden geben. Hat China erst mal den Weltbrandingskrieg gewonnen, dann wird auf Druck der Figarau-Bosse auch im Westen alles (eine Mozartoper beispielsweise, eine führende französische Zeitung oder ein Bernhard Brink-Song) richtig geschrieben werden. Es soll eben nicht nur hinten stimmen, sondern auch vorne. Paris aber heisst zu diesem Zeitpunkt längst Shenzhen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Der Untergang von St. Louis

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


26.09.2006 | 15:36 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Schattenboxen mit dem Selbst


Beware the böser Schatten aus der Lederliege, dear Leser. (Abbildung: Nature) (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Julian Jaynes erfreute vor Jahr und Tag Fachwelt und Laienhasen mit einer angenehm verquatschten Theorie, wonach das menschliche Bewusstsein zuerst als Götterstimmenhalluzination auf den Plan getreten sei, um sich dann im Zuge seiner Zivilisierung ins Kopfinnere zurückzuziehen und subtiler zu arbeiten. Jaynes datierte diesen Vorgang in seinem schönen Werk "The Origin of Consciousness in the Breakdown of the Bicameral Mind" auf die Zeit zwischen der Abfassung der Ilias und der Odyssee, in einem textexegetischen Galopp, der Velikovsky alle Ehre gemacht hätte.

Die Schizophrenie, zu deren Krankheitsbildern das Hören von Stimmen unwiderstehlicher Argumentationsmacht gehört, rechnete Jaynes mit unwiderstehlicher Argumentationsmacht zu den Überbleibseln dieses psychischen Frühmenschentums, als externalisierte Reflektionsfähigkeit. Wenig überraschend setzte es Kollegenschelte für Jaynes, der ein Sakrileg im Tempel der modernen Wissenschaft begangen hatte, indem er Spekulationen, die sich nicht nach akzeptierten Standards belegen liessen, nicht wegwarf, sondern dem Pöbel vortrug. Pfui, Herr Jaynes, pfui und nochmal pfui.

Mit grossem Interesse hätte der zu Unrecht Geschmähte (aber auch durchaus Geschätzte), der vor neun Jahren starb, vermutlich gelesen, dass Hirnforschern es jetzt durch Stimulieren einer bestimmten Hirnstelle gelang, die Illusion einer unfreundlichen Schattenperson zu erzeugen, die als direktes Abbild der Versuchspersonen hinter ihnen stand und sie piesackte. Nicht unbedingt, weil diese direkte Verbindung zwischen Hirnsubstanz und komplexen Halluzinationen seinen gewagten Thesen mehr Gewicht gäbe, als vielmehr weil die Tatsache ihrer Existenz uns Einblicke erlaubt in die komplexen Prozesse menschlicher Selbstwahrnehmung. Und wer weiss findet sich auch bald noch das Hirnzentrum, das erst besinnungslos dem Zorn des Achilles lauschte, und sich dann selbst reflektierend die Taten eines Vielgewanderten singen machte: das homerische Hirn.


26.09.2006 | 06:35 | Anderswo | Fakten und Figuren

Sayonara, Löwenherz


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumis Amtszeit ist um, nach fünf Jahren übergibt er seinen Job an seinen Parteikollegen Shinzo Abe, gleichzeitig schliesst er, nach 250 Ausgaben, auch sein Weblog What ´s up around the Primeminister, mit einem angeschlossenen, so genannten Emailmagazin. Shinzo Abe, so erfährt man dort, war bisher u.a. auch der "First Chief Editor" des Emailmagazins. Abe ist also somit ab heute, 26. September 2006 der weltweit erste Blogger, der Führer eines Landes wird.
Mit der Überschrift Löwenherz betitelt Koizumi seine letzte Kolumne, in der er seinen Dank an die Leserschaft für die Treue der vergangenen Jahre ausspricht, den Titel wählte er wegen seiner löwenartigen Haarfrisur. Das Herz der Japaner sitzt offenbar im Haar.
Nicht erklärt er aber, warum er auf offiziellen Fotos mit den Staatslenkern dieser Welt, die immergleiche Position mit der immergleichen starren Handschüttelgeste einnimmt, bei der er die Hand des Kollegen immer mit zwei Händen umfasst, während Zeige- und Ringfinger dabei jedes Mal etwas gespreizt sind, während Ring- und Kleiner Finger das Handknäul von unten abstützen. Eine Komposition von strenger Schönheit, die leider am 9. September, also kurz vor Schluss, von Finnlands Tarja Hallonen (Bild) brutal zerstört wurde. Vermutlich um der Welt zu zeigen, wie nahe und verwandt beide Völker sind. Es kann aber auch bedeuten, dass sie ihm zu verstehen gibt: "Löwi, es ist aus, Du brauchst diese Show nicht mehr zu machen."

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wer will Wale

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


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