Riesenmaschine

02.09.2007 | 13:42 | Berlin | Essen und Essenzielles

Gräserne Bienen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schon auf den ersten 30 Googletreffern wird von sich für kundig haltenden Quellen Berlin unter anderem bezeichnet als Hauptstadt der Syphilis, Hauptstadt der Tierversuche, Hauptstadt der Hunde, Hauptstadt der Rheumatologie, Hauptstadt der Minifanten, Hauptstadt der Intoleranz, Hauptstadt der Superlative, Hauptstadt der Unterschicht, Hauptstadt der Diven sowie Hauptstadt der Revolte von 68. Vollkommen unterschätzt wird Berlin jedoch als Hauptstadt des Grases ("meinten Sie: Berlin, Hauptstadt des Glases?"). Dabei ist die Beziehung zwischen Gras und Berlin eine vielschichtig ergiebige.

Ins Gras beissen etwa ist in Berlin nicht nur preislich günstiger als anderswo, sondern auch in diesem wunderschönen Mortalitätsatlas für Berlin für jeden Bezirk einzeln nach Todesursachen nachzuvollziehen; in Neukölln sind im Jahr 2000 zum Beispiel 39 Männer durch die Einnahme psychotroper Substanzen gestorben. Aber auch beim Gras rauchen ist Berlin das Mass aller deutschen Dinge: über 30% Prozent der Jugendlichen haben schonmal gekifft; in Berlin darf man bis zu zehn Gramm Gras straffrei mit sich führen, in anderen Bundesländern wird bei dieser Menge über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachgedacht.

Gras beissen und Gras atmen, gut und schön, was aber ist mit Gras trinken? Auch diese Lücke ist nun geschlossen, seit einiger Zeit bieten zwei Läden mit dem Namen "Grashopper Berlin" Grassaft an, Weizengrassaft nämlich. Er schmeckt, gemischt mit Apfelsaft, gar nicht so fürchterlich wie man glaubt, wenn man sich an den Geschmack von Gras erinnert. Gras trinken! Wir tasten uns an jedes noch so ungeniessbar scheinende Stück Natur heran, schon in zehn Jahren werden wir Holzsalat mit Steinsplittern essen, vielleicht sogar mit Kapern drauf.


28.08.2007 | 13:20 | Berlin | Essen und Essenzielles

Sommermüll


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Der Regen wird wärmer", singt famos Der Automat und etabliert damit das Nanogenre des Antisommerhits speziell für verregnete Sommer. Und siehe da, Nanolösungen für Nanoprobleme sind das neue kleine Ding, zum Beispiel bei der Mülltrennung. Warum nur fünf Mülleimer für die Müllsorten Glas, Papier, Verpackung, Restmüll und Bio? Wo bleiben Zwischentöne und Grauwerte, wo ist gar die alte Tugend der stufenlosen Verstellbarkeit geblieben? Ein Eisladen im Superberlinerbezirk Prenzlauer Berg macht es vor und stellt sich einen Eiswaffelmülleimer vor die Tür, der mit allem, was er hat und kann, deutlich macht, welcher Müll bitteschön in ihn eingeworfen werden soll. So sieht vorbildliche, plakative Mülltrennung aus, wir brauchen auch in den Haushalten für jedes Produkt einen eigenen Spezial-Mülleimer. Der könnte ja dann auch viel kleiner sein, eventuell genau so gross wie eine normale Verbraucherverpackung. Schluss dieser fabelhaften Entwicklung wäre, dass jedes Produkt seinen eigenen Mülleimer bereits enthalten könnte. Man bräuchte dann nur noch eine zentrale Mülleimersammelstelle, das Müllproblem wäre gelöst und die Menschheit könnte sich drängenderen Problemen widmen, etwa der Gleichverteilung von regenarmen Sommern auf der Welt.


26.08.2007 | 22:45 | Berlin | Essen und Essenzielles

Die verkrepelten Pfirsiche von Askaban


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Prenzlauer Berg ist der Bezirk mit der höchsten Biomarktdichte der Welt. Man kann in einigen Strassen kaum mehr aus dem Fenster aschen, ohne die organisch biologische Frischwarenauslage zu verdrecken – aber Moment! Denn die organisch biologische Gemüsesituation ist in den meisten Fällen bereits verdreckt, und zwar mit Erde, Wurzeln, Staub, und Zweigen. In Zeiten, in denen bioverfütternde Mütter glauben, Tomaten aus Holland werden in Gewächsfabriken auf Polyesterwatteböden Tag und Nacht zu Höchstleistungen gepeitscht, bekommen aber nur künstliches Wasser und genmanipulierte Hormone zu essen, in diesen Zeiten also, da ist Dreck am Stecken bzw. an der Tomate ein naturversprechendes Qualitätkriterium. Eine bekannte, soziologisch interessante Umdrehung der ästhetischen Wertigkeit – aber für Naturesswaren ein soziales Problem: Gemüse galt immer als erdverschmierter Pöbel unter dem Fruchtgut. Es kam von unten und man verzehrte es gekocht und in der Masse. Das vornehme Obst, die Herrenrasse der Nutzpflanzenapartheid, schaute aristokratisch und unverschmutzt vom Baum auf's Gemüse herab und blickte sonnenbeschienen dem Pflückvorgang entgegen, um dann ungekocht und in den meisten Fällen einzeln verzehrt zu werden.

Doch mit der Biowelle wendete sich das Blatt – denn das fürnehme Obst hatte aufeinmal keine Handhabe mehr, zu beweisen, wie natürlich es doch sei und sich gegen Fabrikgewächse abzugrenzen. Lange beriet man im Obersten Organischen Obstrat, wie man selbst auf den ersten Blick nachvollziehbar "die organische Karte ziehen" sollte (wie eine gewiefte Altaubergine es ausdrückte). Bodenhaltung vortäuschen? Eine klare Geflügeldomäne. Sichtbare Druckstellen? Undenkbar, Fallobst war praktisch gleichzusetzen mit dem proletarischen Gemüse. Die Pfirsiche wagten sich mutig vor und schlugen einen Obstrelaunch vor: eine neue, besonders organisch und individuell wirkende Formgebung. Im Kopf der Zielgruppe sollte die Verknüpfung von "natürlich verwachsenem" Obst und biologisch organischem Anbau gelingen. Die Testpfirsiche gibt es derzeit in ausgewählten Biomärkten. Ob das zugegeben radikale Vorgehen in der menschlichen Monokultur des Prenzlauer Bergs Früchte trägt, wird man sehen.


25.08.2007 | 20:15 | Berlin | Papierrascheln

In Modulen denken, in Modulen wohnen


(Foto: Houses of the Future)

Architekt Baaske mit seinem Werk (Foto: Jan Bölsche)
Berliner Kartonagenhersteller boten im 19. Jahrhundert "preiswerte Wohnkästen" aus Pappe an, um die Wohnungsnot zu lindern, so steht es in "Berlin" von David Clay Large nachzulesen. Seither kommt immer wieder mal jemand auf die Idee, Pappe sei eine "genuine short-term housing option". In Australien kann man für nur $35.000 das Cardboard House (oben) erwerben, und auch die Riesenmaschine (unten) experimentiert bei "9to5 – Wir nennen es Arbeit" im Berliner Radialsystem erstmals mit einem eigenen Redaktionssitz aus dem innovativen Traditionsmaterial. Beide Unterkünfte sind "lightweight, transportable" und erfordern "no more skill to erect than an Ikea product"; bei der Pappriesenmaschine beliefen sich die Materialkosten auf nur 14 Euro pro Quadratmeter. Das neue modulare Betriebsgebäude ist problemlos erweiterbar, langfristig ist die Anschaffung eines Firmenwagens aus Pappe geplant. Später wird zur Einweihung Sekt aus Pappbechern gereicht.


22.08.2007 | 17:32 | Berlin | Alles wird besser | In eigener Sache

9to5 – Wir nennen es Arbeit


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die ortlose Riesenmaschine erprobt ab morgen drei Tage lang erstmals das Konzept "Redaktionssitz", und zwar im Radialsystem V bei 9to5 – Wir nennen es Arbeit. Dort werden die kleineren unter unseren Autoren (also schon mal nicht Sascha Lobo) in einem winzigen, von Martin Baaske noch zu gestaltenden Pappkarton auf Kinderstühlchen kauern und Beiträge schreiben. Der Wetterbericht ist gut, wir werden es daher überwiegend nicht Arbeit, sondern "Herumlungern auf Liegestühlen" sowie "Unternehmen von Spreerundfahrten auf Dampfschiffen" nennen. Vor Ort können auch die noch übrigen Riesenmaschine-T-Shirts sowie (kommender Jahreszeitentrend "Herbst"!) bisher unveröffentlichte Riesenmaschine-Kapuzenpullover erworben werden.

In der Kernzeit zwischen 21:00 und 5:00 finden dort auch allerhand Vorträge und Workshops statt, z.B. mit Tom Hodkinson ("How to Be Idle") und Regine Debatty (We Make Money Not Art). Aus Eitelkeit und Platzmangel seien hier nur die Veranstaltungen aufgeführt, an denen Riesenmaschine-Autoren beteiligt sind: Am Freitag ab 22:00 Supatopcheckerbunny und Hilfscheckerbunny in "Berlin Bunny Lecture Economy", ab 2:30 Kathrin Passig mit dem Arbeitsvermeidungsworkshop "Putting the Pro in Procrastination", ab 4:00 Kathrin Passig und Sascha Lobo mit "Wie ich die Dinge geregelt kriege – ohne einen Funken Selbstdisziplin", am Samstag ab 16:00 Holm Friebe und Philipp Albers in "Was wäre ein linker Neoliberalismus" sowie um Mitternacht Kathrin Passig, Bettina Andrae und Klaus Cäsar Zehrer in der Lesung "Subventionen selbstgemacht", bei der jeder Zuhörer 5 Euro Eintritt erhält. Wer da nicht dabei ist, wird es lange bleiben.

Wer in den Kommentaren zu diesem Beitrag am glaubhaftesten darlegen kann, dass er/sie etwas ungemein Uneinträgliches Arbeit nennt und dringend eine dreitägige Kur mit Sonne, Liegestuhl und WLAN benötigt, bekommt ein Dreitagesticket geschenkt (kostet sonst 50 Euro). Zweiter Platz: ein Abendticket (kostet sonst 20 Euro) und als Trostpreis gibt es ein T-Shirt mit der Aufschrift "In Wirklichkeit bin ich viel wichtiger als Holm Friebe" (unbezahlbar).


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