21.09.2006 | 11:58 | Berlin | Zeichen und Wunder
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)In dem Film "Prinz von Zamunda" beschliesst Eddie Murphy, in den New Yorker Stadtteil Queens zu fahren, um seine Königin zu finden. Im Wedding hätte er sie heiraten können, aber es kam anders, vielleicht, weil Wedding einen Ruf hat als Problembezirk. Abgesehen davon ist Wedding jetzt bezirksrechtlich Mitte, und das bekommt den Statistiken ganz gut, das mittlere Haushaltsnettoeinkommen von Mitte liegt nun bei 1275 Euro. Dass Wedding und Mitte der gleiche Bezirk sind, kommt vom Sozialen her einer Vereinigung von Nord- und Südkorea gleich, und das nicht erst seit dem Brandbrief der Weddinger Theodor-Plievier-Schule, der im Übrigen viel brandiger war als der Rütli-Brief, aber pressetechnisch eben zwei Tage zu spät. Der Wedding ist von jeher ein LowFi-Bezirk, nannte sich selbst Arbeiterbezirk oder der Rote Wedding, ein Lied von Hanns Eisler und Erich Weinert, nach denen heute Strassen und Musikhochschulen benannt sind oder wenigstens jeweils eine, allerdings in anderen Stadtteilen.
Schon immer herrschte ein rauher Ton im Wedding, Arbeiter sein erfordert ja auch eine gewisse Räuhe, gerade, wenn es sich um Arbeiter ohne Arbeit handelt, also um Arbeitsloser. Der Wedding hat nicht erst seit kurzem die höchste Arbeitslosigkeit aller Berliner Bezirke, sondern mindestens seit den im Wedding eben nur Messingenen Zwanzigern. Das liegt nicht nur an der allgemeinen Lage, sondern auch daran, dass das Schicksal hier einen besonderen Menschenschlag hinverschlägt. Der Weddinger ist genauso, wie sich der Rest der Republik den Berliner vorstellt, also die personifizierte Unwirsche, quer durch alle soziodemografischen Daten wie Einkünfte und Herkünfte. Vielleicht sind es Erdstrahlen, vielleicht ist im berühmten Flakturm im Humboldthain eine ähnlich gefährliche Strahlenanlage wie auf dem Flughafen Tempelhof. Oder es ist einfach der Weddinger Geist, der durch Verkäufer, Hausmeister und Schilder wie das nebenstehende von Generation zu Generation weitergetragen wird und, leicht vereinfacht ausgedrückt, den Weddinger zu folgendem Motto treibt: Warum reden, wenn man auch krakeelen kann?
20.09.2006 | 12:16 | Berlin | Vermutungen über die Welt
 Innovatives Kugellabor (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.) Überholter Trudelturm (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Zweifelsfrei sind Keimzellen etwas Tolles, enthalten sie doch die Idee des Lebens an sich, solange sie nicht zwischen den verzweigten Beinen al-Qaidas baumeln.
Leider scheint das kuriose, aber schliesslich einleuchtende Projekt Testicles to the Brain zur Heilung von Parkinson durch Keimzelleninjektion ins Hirn schon etwas eingestaubt zu sein. Umgekehrt allerdings ist der Weg der Gonadisierung der Forschung schon vor langem beschritten worden. In Adlershof, dem Physiklabor Berlins, stehen seit 1960 diese hodengewordenen Stahlklumpen ihren Mann. Hier wurde zwar nicht die hohe Kunst der Meiose zur Erzeugung wuseliger Genüberträger praktiziert, aber weil die Innentemperatur auch ohne imperialistische Klimaanlage immer konstant blieb, konnte man abgeschottet von der rauhen DDR-Luft ungestört Plaste und Elaste perfektionieren. Das liegt schlicht an der absoluten Kugeligkeit und den knapp 1,5 Meter dicken konzentrischen Isolierungsschichten, sodass die thermodynamisch aktiven Teilchen gar nicht mehr wissen, wo oben und unten ist. Diese kompromissfreie Ausführung der Form-Follows-Function-Architektur übertrifft den in unmittelbarer Nachbarschaft stehenden nationalsozialistischen Trudelturm in Optik und Haptik um Längen, ist die Absurdität doch die Krücke der Ästhetik.
Doch wo hat Bundesdeutschland seine Eier, mag man sich fragen, schliesslich ist uns selbst Kuwait hier einen Schritt voraus.
18.09.2006 | 16:19 | Berlin | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Als vor zehn Jahren die ersten Verbraucher mit der S-Klasse zu Aldi fuhren und sich dort soziodemografisch wie die Axt im Walde aufführten, war das Geschrei vom "multioptionalen Verbraucher" noch gross. Heute kommt man dem elitären Discount-Besucher entgegen und greift seinen vermuteten bildungsbürgerlichen Background auf, um Apfelsaft zu verkaufen. Zumindest macht das die Grosskelterei Tymbark. Auf dem bei Norma angebotenen Apfelsaft "Tymbark Antonowka Apfel" empfiehlt der Hersteller: "Denken Sie einen Augenblick an Chopins Mazurka. Masurische Landschaften tauchen vor ihrem geistigen Auge auf. Das ist die Heimat unseres Antonowka-Apfels ...".
Denken Sie nun einen Augenblick an die abstossendste und erfolgreichste deutsche Werbekampagne der letzten Jahre. Der Elektromarkt Saturn taucht vor Ihrem geistigen Auge auf. Das ist die Heimat eines anderen besonderen Angebots. Denn auch Saturn hat den Crazy-Hybrid-Kunden erkannt und bietet daher gegenwärtig einen monströsen Plasmafernseher für 59.900 Euro an. Hinter der Preisangabe vermisst man freilich ein Mörike-Gedicht.
17.09.2006 | 21:26 | Berlin | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Mit der abgebildeten – von keiner Hilfestellung auf der Rückseite abgemilderten – Frage wurden heute die Berliner Wähler in der Wahlkabine überrumpelt (PDF). Dem marktforschungs- und psychotestgestählten Bürger ist klar, dass die Frage in dieser Form kaum ernst gemeint sein kann. Abgefragt wird hier vermutlich etwas ganz anderes, nämlich: Wie viele Berliner sind bereit, zu einem frei erfundenen Thema überhaupt eine Stimme abzugeben? Und wie viele davon werden sich für das progressive "Ändern! Ändern ist immer gut!", wie viele für das konservative "Ich weiss zwar nicht, was es ist, aber ich will, dass es genau so bleibt" entscheiden? Als treuer Staatsbürger macht man also sein Kreuzchen an einer geratenen Stelle und wartet ab. Wie beim Schiffeversenken passiert wahrscheinlich gar nichts. Aber wenn dann demnächst die Erde gesprengt wird, um einer intergalaktischen Umgehungsstrasse Platz zu machen, will es wieder keiner gewesen sein.
16.09.2006 | 23:40 | Berlin | Vermutungen über die Welt
 Teuer, aber teuer. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Morgen ist Wahl in Berlin und dafür gibt es traditionell Plakatwerbung, auch, wenn die nur eingeschränkt wirkungsvoll zu sein scheint. Viel besser ist TV-Werbung, also bewegte Bilder, und offenbar haben findige CDU-Strategen gedacht, "bewegte Bilder, dafür brauchen wir kein Fernsehen". Dann haben sie einen grossen Haufen LKWs mit Plakaten dran gemietet, die mehrere Wochen in Berlin herumgefahren sind, und zwar überraschenderweise stets zu zweit.
Doch hat sich das überhaupt gelohnt? Laut offizieller Preisliste des Vermieters mit dem Namen Poster on Wheel kostet ein Plakat-LKW samt Fahrer am Tag knapp unter 1.000 Euro und fährt acht Stunden. Wenn wir von sehr optimistischen (man kann ja nicht dauernd mit allen Autos den Kurfürstendamm rauf und runter fahren) 20 Sichtkontakten die Minute ausgehen, ergibt das in acht Stunden 9.600 baud Kontakte. Wir möchten eine Preisreduktion auf 750 Euro je Tag annehmen, mit zwei hintereinanderfahrenden Autos macht das 1.500 Euro am Tag, was wiederum einen Tausendkontaktpreis von 156,25 Euro ergibt.
Zum Vergleich: Eine Seite im Spiegel kostet rund 50.000 Euro und ergibt einen Tausendkontaktpreis von 8,50 Euro; bei einem RTL-Spot liegt er bei etwa 7 Euro, bei Bannerschaltung im Internet sind es bis zu 30 Euro, allerdings bei garantierter Klickrate von 0,1%. Das alles sagt natürlich nichts Verbindliches über die Wirkung der fahrenden Poster, aber mutmasslich einiges über die Wirtschaftskompetenz der CDU.
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Explosionismus
- Melancholie (Ausstellung)
- Karaoke-Hacker
- Leckermäulchen spielen
SO NICHT:
- Preisgelder versteuern müssen (außer Lebenswerk)
- Heiratsantrag mit von Fickwunsch zerfurchtem Gesicht
- Expressionismus
- Melancholie (zur Schau stellen)
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"The Lookout", Scott Frank (2007)
Plus: 42, 89 Minus: 90 Gesamt: 1 Punkt
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