Riesenmaschine

05.01.2006 | 16:20 | Alles wird schlechter

Arbeiterlieder


Eine Dose klagt an. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Prof. Dr. Heiner Gembris ist Musikwissenschaftler an der Universität Paderborn und redet dummes Zeug. »Musik erzeugt synchron die gleichen Gefühle bei verschiedenen Menschen« glaubt er zu wissen. Das ist natürlich nicht so, sondern vollkommen anders. Die Menschen sind ja gottlob nicht gleich, sondern verschieden – wie verschieden sind die Menschen! – und so verschieden sind auch die Saiten gespannt, die in ihnen zum Klingen gebracht werden wollen.
Nun gibt es allerdings auch Beispiele, die Dr. Gembris´ These stützen. Wer in der Warteschleife der Air-Berlin-Hotline zu verharren gezwungen ist, wird mit einem Lied beschallt, dessen Refrain so lautet: »Flugzeuge im Bauch / Im Blut Kerosin / Kein Sturm hält sie auf / Uns're Air Berlin / Die Nase im Wind / Den Kunden im Sinn / Und ein Lächeln stets mit drin / Air Berlin«. Wir wagen zu behaupten, dass mehr als 60% aller Air-Berlin-Kunden nach dem Anhören rasend aggressiv sind.
Es ist aber alles noch viel schlimmer. Kurze Googlelei lässt einen auf die uninteressante Tatsache stossen, dass der unsägliche Song ein Geschenk des Flughafens Nürnberg an die Air Berlin ist. Man wollte sich damit für eine Low-Cost-Offensive bedanken.
Schlimm genug, aber das Schlimmste kommt jetzt: Es gibt Menschen, die damit rechnen, dass sich der »Corporate Song« oder die »Firmen-Hymne« zu einem Renner entwickelt. Dunkle Mächte arbeiten bereits daran, unsere Welt durch Arbeiterlieder der etwas anderen Art zu einem noch schlechteren Ort zu machen. Einem Ort, an dem man hören muss: »Ob lagern, ob verteilen, wir sind am Start, uns're Mannschaft hat die richtige Chemie. Von der allerkleinsten Schraube bis zum ganzen Bad. Wir liefern alles aus, aber geliefert sind wir nie.« (Herbert Heldt KG)
Lieber hören wir: »Die Frage nach einem Corporate Song stellt sich uns nicht. Das ist hier überhaupt kein Thema.« (Meyer Werft, Papenburg)
Die Hoffnung lebt in Papenburg, aber man fürchtet selbstverständlich erst mal und zurecht das Schlimmste.


Kommentar #1 von Michael:

Ganz schlimm ist auch die Edeka-Hymne "Wir lieben Lebensmittel", angelehnt an die Werbekampagne. Ein mehrminütiger Schlager, den sie manchmal als Rausschmeisser spielen. Aber Edeka vergibt ja auch intern Nachwuchsförderpreise.

05.01.2006 | 16:32

Kommentar #2 von DonDahlmann:

Den wohl besten Firmensong aller Zeiten kann man auf dieser Seite hören. (Achtung, Lied lädt heimtückisch im Hintergrund)
http://www.westaflex.com/westagruppe/impressum/index.html

05.01.2006 | 16:49

Kommentar #3 von irgendwem:

Der genial irre Westaflexsong klingt wie die nie vermisste Verbindung zwischen Die Ärzte und Max Goldt

05.01.2006 | 17:00

Kommentar #4 von Sascha Lobo:

Das ist nicht ganz der beste. In kurzer Zeit, in der nächsten Woche nämlich, wird es ein Special über Firmensongs geben, nachdem das Thema schon länger umgeht. Ich möchte schon mal verraten, dass auch die Post einen Firmensong hat, der die volle Blüte der Erbärmlichkeit erst durch seine textliche, aber ich greife vor.

05.01.2006 | 17:03

Kommentar #5 von Sascha Lobo:

Ich möchte hier auch nochmal öffentlich Tex zitieren, der die übergrosse Edvard-Munchizität des Dosengesichtes erkannt hat. Wenn man einmal den Schrei hineingedacht hat, wird man ihn überhaupt nicht mehr los.

05.01.2006 | 23:45

Kommentar #6 von Moersberger:

Bereits in den siebziger Jahren gehörte "Möbel Walther" in Gründau-Lieblos, dem namenstechnisch nur der steirische "Gröbl Möbel" das Wasser reichen kann, zu den Pionieren des Corporate Songs. Auf einer schlabberigen Plastikfolie in der Hauspost, die man zum Abspielen auf eine andere Langspielplatte legen musste, fand sich der "Möbel-Walther-Song", Auszug:
"Kaufen macht Spass,
denn heut' ist wieder Walther-Tag,
sogar der Eskimo im Schnee
träumt von Möbel Walthers Wohnidee."

06.01.2006 | 11:01

Kommentar #7 von Schnauzbart:

Der Munch frappiert.

06.01.2006 | 11:18

Kommentar #8 von Jochen Reinecke:

Ich verweise auch auf das Kunstwerk "Dosen dösen".
Die Idee stammt natürlich ursprünglich von Thomas Kapielski.

06.01.2006 | 11:30

Kommentar #9 von Ernst:

Munch! Ja, das ist wahr. Man wird den Schrei nicht mehr los.

06.01.2006 | 15:39

Kommentar #10 von Ernst:

Weil bereits Edeka erwähnt wurde: Noch besser ist allein "Denn wir sind Kaiser's-Tengelmann." Ich erwarte jeden Tag, dass Arbeitsrechtsspezialisten nicht sehr heimlich ihre Visitenkarten an Kaiser's-Mitarbeiter verteilen mit dem Versprechen, da sei "ganz dick" Schmerzensgeld für sie drin.
http://www.die-stimme-der-freien-welt.de/post/20051224/kaisers_tengelmann

06.01.2006 | 15:42

Kommentar #11 von Dennis:

Es sind ja bei Air Berlin noch nicht mal die
sehr Zweifelhaften Lyrics, wie das ja anscheinend auf Neudeutsch heisst, sondern
die Stimme der Sängerin! Ich weiss nicht wer diese Frau gecastet hat. Wahrscheinlich ein entfernter Verwandter von Sandra Cretu (nicht umsonst in der 80ern ganz gross in Asien, die kennen ja nur diese Stimmlage)
Als geplagter Reiververkehrskaufmann der sich das jeden Tag z.T. mehrmals antun muss weiss ich echt wovon ich rede. Aus einer "Insiderquelle" weiss ich, dass dieses Lied wohl mal auf irgendeinem Air Berlin "Sommerfest" präsentiert wurde. Vielleicht hilft da Alkohol, aber das ist ja schon morgens auf der Arbeit auch nicht optimal... An dieser Stelle habe ich einen überflüssigen Smiley hingemacht, wofür ich mich dereinst schämen werde.

26.06.2006 | 16:56

Kommentar #12 von trickiwu:

Jetzt ist das einmalige Firmenvideo von Westaflex online bei http://www.youtube.com/watch?v=p91o7xOeLrE&search=westa
Wie oft hat mir mein Grossvater abends ein bisschen aus dem Fremdwörterduden vorgelesen. Die scheinen auch kostenlos psychoaktive Substanzen an ihre Mitarbeiter auszuteilen.

11.07.2006 | 21:01

Kommentar #13 von FFBAndre25:

Wetten das das Lied bald in den TOP TEN ist!

25.07.2007 | 18:22

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