Riesenmaschine

17.03.2006 | 18:22 | Anderswo | Was fehlt | Fakten und Figuren

Wohl zu viel von den Madeleines genascht


Wie man in den Kopf hineinschreit
Was man sich leichtfertig wünscht, wenn man mal wieder die Pin-Nummer verschlampt, das Passwort vergessen oder den Hochzeitstag unbewusst verdrängt hat, ist für eine vierzigjährige Frau namens "AJ" Alltag: Sie erinnert sich an jeden einzelnen Tag der letzten 30 Jahre detailliert und kann autobiographische Einzelerinnerungen beachtlich schnell und weitestgehend korrekt abrufen – angeblich ohne jegliche Zuhilfenahme mnemonischer Technik. AJ findet ihre oft schwer zu kontrollierenden Erinnerungen zwar gelegentlich lästig, sie würde sie allerdings auch nicht aufgeben wollen.

Dieses in seiner Form bislang einmalige, "hyperthymestic" getaufte, Syndrom erforscht man nun an der University of California, Irvine – und an AJ – ausführlich und erhofft sich dadurch brandneue und todschicke Erkenntnisse in der Gedächtnisforschung. Sollte sich AJ allerdings tatsächlich so gut erinnern, wie es derzeit ausschaut, kann das mit dem Erforschen dauern – schlimmstenfalls 30-40 Jahre. Man kennt das mit der 1:1-Erzählzeit ja aus 24.

Der durchschnittliche erinnerungstechnische Underperformer wird deshalb weitere Jahrzehnte damit verbringen, seine verlegten Autoschlüssel zu suchen. Zu den üblichen Ausreden, Ausserirdische hätten einen entführt und mit einer Amnesiedroge behandelt, der Geheimdienst übe auf heimtückisch pharmazeutische Weise Mind Control über einen aus und wolle einfach nicht, dass man die Schlüssel wiederfinde oder der möglichst glaubhaft vorgetragenen Versicherung, man habe gar kein Auto, ja, überhaupt nie eines gehabt, kommt inzwischen immerhin die einigermassen erfreuliche, da neue Option, sich gegenüber der nörgelnden Lebensabschnittsgefährtin als Opfer des hypothymestischen Syndroms zu outen. That'll make them shut the fuck up.


Kommentar #1 von ?:

brilliante literarische anspielung im topic An dieser Stelle habe ich einen überflüssigen Smiley hingemacht, wofür ich mich dereinst schämen werde.

18.03.2006 | 05:04

Kommentar #2 von Hansen:

Schön wäre gewesen, auf die Borges'sche Geschichte "Das unerbittliche Gedächtnis" hinzuweisen, in der der Protagonist daran verzweifelt, sich an alles zu erinnern, was dazu führt, dass er seine Tage verbringt, sich an verbrachte Tage zu erinnern, 1:1 gewissermassen. Bei der Landkarte taucht das Motiv natürlich wieder auf. In beiden Fällen gehts um die Angst zu vergessen.

20.03.2006 | 11:35

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