Riesenmaschine

06.06.2006 | 04:22 | Supertiere | Fakten und Figuren

Neunauge Can't Jump


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Im 19. Jahrhundert betrat ein seltsames Wesen amerikanischen Boden und liefert den Ureinwohnern seitdem einen erbitterten Kampf. Dabei kann man noch nicht einmal von "betreten" sprechen, denn das Meeresneunauge, so genannt, weil es neben den Augen über sieben augenähnlich aussehende Kiemenlöcher verfügt, hat gar keine Beine, und muss sich daher schwimmend fortbewegen, wie die meisten anderen Fische auch. In Europa mittlerweile fast ausgestorben, wanderte der aalförmige Schmarotzer den St.-Lorenz-Strom hinauf und immer weiter ins Land hinein, bis er in den 30er Jahren den Oberen See erreichte. Wo er hinkam, hinterliess er Elend und Verwüstung.


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Art und Weise, wie das Neunauge mit seinen Fischkollegen umspringt, ist nicht manierlich: Mit seinem vollverzahnten Saugmaul verbeisst er sich in seine Opfer, saugt sie bis auf den letzten Blutstropfen aus und hinterlässt sie dann in jämmerlichem Zustand. Bestimmt erzählt man Fischkindern Schauermärchen vom Ungeheuer Neunauge. Innerhalb von nur 20 Jahren tötete die Neunaugenarmee 90% des Forellenbestandes im Oberen See. Dann schlugen bezeichnenderweise nicht die Forellen, sondern die Amerikaner zurück: Sie erfanden das Lamprizid (lamprey: engl. für Neunauge), Chemikalien also, die exklusiv den Fischvampir erledigen. Seit 1958 werden jedes Jahr ausgewählte Lieblingslaichflüsse der Neunaugen mit dem populären Lamprizid TFM (3-Trifluoromethyl-4-Nitrophenol) behandelt. Zusätzlich enthalten die wichtigen Zuflüsse der Grossen Seen Dammanlagen, die Forellen und Lachse überspringen können, die unsportlichen Neunaugen jedoch nicht. Derart angefeindet, zogen sie sich in den Untergrund zurück und führen seitdem einen zermürbenden Partisanenkrieg. Neulich zum Beispiel tauchten sie überfallartig in Vermont auf.

Seit einigen Monaten gibt es bahnbrechende Neuigkeiten in der Neunaugenforschung, die den Parasiten nicht gefallen dürften. Neunaugen laichen in Flüssen und leben im Meer (oder in grossen Seen, das sieht man nicht so eng) – im Prinzip genau wie Forellen und Lachse. Im Unterschied zu diesen aber wandern sie nicht stupide wie Maria und Josef zu ihrem Geburtsort zurück, sondern gehen dorthin, wo Eierlegen am meisten Spass macht, an die Orte nämlich, die von den Neunaugenlarven mit Hilfe von Duftstoffen als kinderfreundliches Idyll markiert wurden. Diese Duftstoffe gelang es im letzten Jahr synthetisch herzustellen, so dass das gemeine Neunauge schon bald statt im Familienparadies in der Todesfalle landen wird, angelockt von billigem Chemie-Tand. Man wird sehen, ob das Neunauge diesem neuen Trick etwas entgegenzusetzen hat, oder ob es sich vielleicht doch nur um einen sehr, sehr dummen Fisch handelt.


Kommentar #1 von #6:

Dieser Beitrag strotzt nicht gerade vor Sympathie für dieses Tier. Auch davon abgesehen, dass Beutetiere nicht ausgesaugt werden, sondern zumeist an den Infektionen der Wunden sterben. Die Neunaugenfamilie ist ziemlich alt, bis vor ein paar Jahren hat noch jedes Habitat mit Neunaugen überlebt. Da in den letzten 50 Jahren vermehrt Kulturfische angegriffen werden, die oft in sehr hoher Dichte gehalten werden, haben wir hier ein ähnliches Problem wie der kultivierte Lachs es mit der Seelaus hat. Und dann Lamprizid drauf. Biologisch abbaubar ist das bei der Strukturformel definitiv nicht.
PS: Das Neunauge ist kein Fisch.

06.06.2006 | 09:09

Kommentar #2 von ##:

passt halt voll nicht ins kindchen-schema.

06.06.2006 | 10:33

Kommentar #3 von Sascha Lobo:

Merke: Viele kleine Augen ersetzen nicht zwei grosse. Wer hätte das vorher in der Neunaugerei ahnen können. Das Produkt wäre wesentlich besser angenommen worden.

06.06.2006 | 10:35

Kommentar #4 von Ruben:

Welchen Ort, Herr Dr. Scholz, meinen Sie mit dem Geburtsort Mariens und Josephs, an den diese stupide zurückkehren? Betlehem kann's ja nicht sein, denn dort wurden Maria und Joseph, wie wir beim Herrn Superintendenten damals gelernt haben, nicht geboren. Ich glaube, beide haben nichtmal denselben Geburtsort (Joseph in Nazareth und Maria vermutlich in Jerusalem, da ihr Vater Joachim ein Tempelpriester war).
Und dieser neunäugige Fisch da (der Angeklagte ist für mich ein Fisch, bis das Gegenteil bewiesen ist), kann man den essen?

06.06.2006 | 11:15

Kommentar #5 von Pjotr Pergola:

Man muss sagen, bei aller Fischnis, die das Neunauge unzweifelhaft im visuellen Auftreten vor sich herträgt, dass es sich beim Angeklagten um ein Wirbeltier handelt. Ich rufe die Zeugin Vicki Pedia in den Zeugenlink:
http://de.wikipedia.org/wiki/Neunauge

06.06.2006 | 11:18

Kommentar #6 von Ruben:

Meine verehrten Herrn Geschworenen, das ist ja ein wahrlich hinterhältiges Geschöpf. Es mordet und trickst und täuscht...
Aber kann man es verspeisen? Andere Trickgauner, wie z.B. Bären, kann man ja auch essen. Wenn das Neunauge die Fische verputzt und für uns nichts mehr übrig bleibt, können wir ja auch unsere Bratforelle und unsere Lachspastete stattdessen einfach mit Neunauge machen. Oder pochiert in würzigem Sud, gedünstet, gedämpft, filetiert... hach.

06.06.2006 | 11:39

Kommentar #7 von Holzauge:

Für Ruben:"Das Fleisch ist wohlschmeckend und wird gebraten und mariniert verzehrt. Die Neunaugen müssen nach dem Waschen etwa fünf Stunden gut mit Salz bestreut stehen, um das giftige Hautsekret (Ausscheidungsstoff) unschädlich zu machen. Sie kommen dann aus der Salzlake direkt in die Braterei, wo sie meist über Kohlenfeuer auf eisernen Rosten gebraten werden." Mahlzeit!

06.06.2006 | 13:57

Kommentar #8 von Ruben:

Oh, phantastisch, vielen Dank. Ich hatte mir vorhin "Neunauge à la Bordelaise" herbeigegoogelt, Schalotten, Zwiebel, Schinken, Lauch, und Bordeaux, alles im Schmortopf, das klingt auch ganz vorzüglich. Und als Nachtisch, sehr gewagte Kombination, japanisches Speiseeis aus Neunaugen.

06.06.2006 | 14:18

Kommentar #9 von Aleks:

Sieht wie ein Fisch aus, stinkt wie ein Fisch, ist dumm wie ein Fisch, also Fisch. Fische, #2, sind übrigens Wirbeltiere. Das weiss ja sogar ich.

06.06.2006 | 15:44

Kommentar #10 von Telekommanda:

Immerhin Tiere die sich dem Kapitalismus angepasst haben. Da bleiben wo es sich gut leben lässt und die zufälligen Bewohner dieser oder weiter entfernten Landstriche bis zum letzten auszunehmen. Es würde mich auch gar nicht wundern wenn der Neunauge ballt an Land gehet, kriechen lernt, dem TÜV die Weltherrschaft entreist und als erstes ein Treppenverbotsgesetz erlassen würde. Der kleine Charlie wird abgesetzt und der Döner erlebt eine neue Renaissance. So oder so was ähnliches könnte die Pro7 Produktion "In Zukunft mehr Augen " verlauten lassen.

06.06.2006 | 15:47

Kommentar #11 von irgendwem:

also meiner meinung nach macht die unterteilung von tieren in fische und nichtfische nur noch in kulinarischer hinsicht sinn, was ruben ja auch intuitiv erkannt zu haben scheint. das phylogenetische taxon pisces ist genauso tot und sinnentleert wie das der reptilia, weshalb ich es vollkommen gerechtfertigt finde, neunaugen ganz lapidar nach ihrem habitus – kiefer hin oder her – als fische zu bezeichnen. mich interessiert ja viel mehr, herr scholz, woher sie wissen wie die viecher riechen?

06.06.2006 | 16:04

Kommentar #12 von Aleks:

Wie Fisch halt so riecht, man weiss ja wohl, wie Fische riechen.

06.06.2006 | 16:20

Kommentar #13 von Kai Diekmann:

Herr Dr. Scholz, wir hätten da eine Volontariatsstelle frei. Ihre Abneigung gegen gute Recherche und Ihre plakativen, unsachlichen Kommentare lassen mir als Chefredakteur unseres Blattes das Herz aufgehen. Bitte melden Sie sich!

06.06.2006 | 21:43

Kommentar #14 von Aleks:

Leider zahlt die Riesenmaschine sehr gut fürs Nicht-Recherchieren.

06.06.2006 | 21:55

Kommentar #15 von Ruben:

#13 hat mir jetzt den durch diese schöne Recherche angeregten Appetit versaut.

06.06.2006 | 22:08

Kommentar #16 von Freund edler Fische:

Da hat wohl jemand eine Fischvergiftung oder zumindest ein -Allergie. Gute Besserung.

07.06.2006 | 22:04

Kommentar #17 von Vernaderer:

Also, zwecks Sympathiehenung:
Die Armen Neunaugen haben sogar mehrere Herzen! Da sollten sie doch auch einen Platz für die armen Zuchtforellen finden und sie nicht ganz aussaugen.
Und zur Verwendbarkeit siehe auch:
http://www.sciencenews.org/pages/sn_arch/8_10_96/food.htm

05.07.2006 | 15:47

Kommentar #18 von jey p.:

an ruben:ich hab ne frage.wie hat der geschmeckt(oder war das ein scherz?)und wie viel kostete er?:P

23.07.2009 | 10:53

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