Riesenmaschine

06.06.2006 | 20:56 | Anderswo | Essen und Essenzielles

Vertriebenenwurst


Foto: acme, Lizenz
1957 war ein fabelhaftes Jahr für verquirlte Lebensmittel. Während in Puerto Rico die erste Piña Colada gemixt wird, machen Exil-Rügenwalder in Deutschland etwas Ähnliches: Sie nehmen zwar nicht Kokosmilch und Ananassaft, sondern Schweinefleisch und Speck (im Verhältnis zwei zu eins), rühren es zusammen und reanimieren damit die Rügenwalder Teewurst, deren Heimat durch Gebietsabtretungen Polen und der Sowjetunion anheim gefallen war.

Heute ist der Marktführer im Teewurst-Segment die Rügenwalder Mühle, die in ihren Werbespots der dauersonnenuntergangsbeleuchteten Vergangenheit "bei uns in Pommern" huldigen will, damit aber nur den Blick auf geographische Tatsachen verstellt: Die Rügenwalder Mühle hat ihren Sitz seit 60 Jahren im niedersächsischen Bad Zwischenahn, 562 Kilometer westlich vom pommerschen Rügenwalde (dem heutigen Darlowo).

Umso stärker ist man beim Hersteller von Deutschlands Vertriebenenwurst Nummer eins um street credibility bemüht. Vorsorglich hat man in Bad Zwischenahn schon mal Strassen umbenannt, um sie der Topographie der Teewurst anzupassen. Falls tatsächlich mal Kunden vorbeikommen, um sich vom ordnungsgemässen Zustand der Marketingmaterialien zu überzeugen, muss eventtechnisch aber noch aufgerüstet werden – eine Rügenwalder Mühle gibt es da nämlich nicht.


Kommentar #1 von irgendwem:

Zumindest keine rote flache Pappmühle wie in den schicken Werbespots, aber bestimmt könnte eine der drei Zwischenahner Windmühlen mit geringem Etat an den Flügeln mit Darm überzogen werden. Das sähe dann fast original aus.

06.06.2006 | 21:51

Kommentar #2 von Alexander:

Und diese darmbeflügelte Windmühle findet dann ihren Platz im Zwischenahner Industriepark Kayhauserfeld, neben dem malerischen Gelände in der Industriestrasse 5? Die jahrelange Debatte über ein Vertriebenen-Zentrum hätte ein abruptes. Ende.

06.06.2006 | 23:22

Kommentar #3 von Ole:

Beim Thema "Revanchismus und WUrstwaren" darf die Firma Meica natürlich nicht unerwähnt bleiben. Ich glaube, Titanic erwähnte es irgendwann schon mal, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Meica in ihrer "Deutschländer"-Werbung die Ostmark reannektiert, ist schon ziemlich nassforsch, wie wir Vorkriegskinder sagen:
"Denn wie kein zweites Würstchen vereint Deutschländer das Beste von allen deutschen Würstchen in sich: Sie sind knackig wie Wiener, würzig wie Frankfurter und zart wie Bockwürstchen."

06.06.2006 | 23:36

Kommentar #4 von Sascha Lobo:

Ich kann ja auch schon mal verraten, dass es demnächst auch darum gehen wird, dass in den Wurstwerbungen beider angesprochener Hersteller (Meica, Rügendings) ausschliesslich blonde Kinder vorkommen. Das ist nicht etwa ein "ausschliesslich" im Sinne der üblichen Übertreibung, sondern ein "ausschliesslich" im reinarischen Sinn. Eventuell werde ich in diesem Beitrag eine Brücke in Richtung Deutsch-Südwurstafrika schlagen.

07.06.2006 | 00:06

Kommentar #5 von der Zwergenmaschine:

Soweit ich mich erinnere, hatte Meica auch noch "Krakauer" unter deutsche Wurst subsumiert. Bis in die Kolonien sind sie aber nicht gekommen – Elefantenblutwurst?

07.06.2006 | 18:04

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