Riesenmaschine

27.07.2006 | 22:23 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Zeitgemässe Sprache


Zeit (objektiv) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wenn man Zeit und Philosophen zusammenführt, ergibt sich zumeist ein recht apartes Gemisch. Ein häufiges Reaktionsprodukt in solchen philosophischen Petri-Schalen ist die Behauptung, Zeit sei lediglich eine dem menschlichen Gemüte beiwohnende subjektive Vorstellung, ansonsten aber null und nichtig. Die Konsequenzen daraus werden aber selten gezogen. Als zum Beispiel John McTaggart die Irrealität der Zeit postulierte, warfen ihm seine Studenten zu Recht vor, im Widerstreit dazu dann doch an Prüfungsterminen festzuhalten.

Viel stringenter war da schon der Harvard-Professor Willard van Orman Quine. Für den Gottkaiser der modernen analytischen Philosophie sind die Weltendinge gemäss Relativitätstheorie nicht einfach in bestimmten Jetztpunkten existierende Entitäten, sondern vierdimensionale Raumzeitwürmer, die sich wurststückartig über ganze Raumzeitbereiche erstrecken. Insgesamt sind auch nicht nur alle Orte gleichberechtigt, sondern auch alle Zeitpunkte objektiv gleich real. D.h. aus unserer subjektiven Perspektive gesehen ist Raymond Burr tot, aber objektiv betrachtet lebt er noch. Quine folgert, dass man für eine der objekiven Realität gerechten Sprache alle Beugungen und Tempora in den Zeitwörtern streichen müsse. Sehr gut, sagen die Studenten, dann vereinfachen sich die Hausarbeiten. Eine weitere, zwingende Konsequenz aus seiner Theorie ist, dass es in der objektiv-zeitlich einförmigen Wirklichkeit keine Bewegung geben kann – wo kein Zeitfluss, dort keine Veränderung. Also hinfort mit allen Verben, hinfort mit Akkusativ und Dativ. Sprache jedenfalls ist für quineianische Studenten kein Problem mehr, die Graduierung erfolgt sofort. Nur blöd, dass Quine schon tot ist, bzw. vielleicht war das auch nur ein Trick.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Thementag: Das Vergehen der Zeit

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


Kommentar #1 von CFB:

"Professor Quine was born June 25, 1908 (anti-Christmas) and died December 25, 2000 (Christmas)." finde ich sehr nett geschrieben, da anti-Christmas in der Regel (also laut Google) eher eine Geisteshaltung und weniger einen Zeitpunkt zu beschreiben scheint.
Als nicht Fachkundigen würde mich allerdings interessieren, ob Herr Quine denn auch eine Notwendigkeit darin gesehen hat, eine der objektiven Wirklichkeit gerechten Sprache zu sprechen? Mir ist nach 5 Minuten eher fruchtloser Herumprobiererei schon ganz blümerant; den Zustand möchte ich natürlich nur ungern grundlos aufrecht erhalten.

28.07.2006 | 00:46

Kommentar #2 von Ruben:

Ja, äh, also Quine geht es natürlich um eine kanonische, reglementierte Notation für die Wissenschaft. Umgangssprachliche Sätze müssen dafür in quantorenlogische Formeln übertragen werden. Da wird natürlich noch viel mehr eliminiert als nur Tempora von Verben. Z.B. auch Eigennamen (eigentlich alle singulären Termini), denn die bringen es nicht.

28.07.2006 | 00:59

Kommentar #3 von CFB:

(Umgangs)sprache an sich würde doch vermutlich auch gar keinen Sinn mehr machen. Interessiert doch eh keinen, wenn immer alles in jedem möglichen Aggregatzustand ist, war und sein wird.

28.07.2006 | 01:21

Kommentar #4 von Ruben:

Subjektiv gesehen ergibt die Umgangssprache Sinn. Obiger Beitrag pisst Quine ziemlich unseriös ans Bein, nüchtern betrachtet handelt es sich bei Quine aber um Abhandlungen über massive Probleme der Übertragung strenger logischer Formalismen auf etwa die Naturwissenschaften, welche – schliesslich objektiv sein wollend – allesamt noch sehr billigen Vorstellungen vom Funktionieren der Sprache anhangen (etwa eben die gedankenlose Annahme der klaren Referenz singulärer Terme und Namen, die derart nicht so einfach objektivierbar ist).
Aber seien Sie getrost, Raymond Burr ist tot. Für Sie.

28.07.2006 | 01:29

Kommentar #5 von CFB:

Danke für die Erklärungen.
Den Nutzen für die Wissenschaft hätte ich mir laienhaft ähnlich begründet.
Dass Raymond Burr für mich tot ist, beruhigt jetzt auch ein wenig.
Weitermachen.

28.07.2006 | 08:32

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