Riesenmaschine

08.11.2006 | 17:59 | Fakten und Figuren

Der Punkschalthebel


Sag mir, wo die schmutzigen Gesichter sind (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Volten, Metaebenen oder Trends in der Musik nachvollziehen zu können, ist immer ein guter Gradmesser, an dem sich feststellen lässt, wie weit man vergreist ist. Momentan machen es einem aber gerade zwei aktuelle Lieder sehr schwer, noch irgendetwas zu erkennen, in welche Richtung z.B. gefahren wird.
Das eine ist "Ridin" von einem Rapper namens Chamillionaire, es ist weniger der Song, ein flotter, gehetzter Ohrwurm, als der Name des Interpreten (1,79 cm gross laut Wikipedia). Was ist ein Chamillionaire? Ein Kofferwort für einen Hochstapler? Einer, der sich wie ein Chamäleon anpassen kann und so tut, als sei er reich? Oder ist das Präfix Cha ein Akronym für die Certified Horsemanship Association, oder doch nur das japanische Wort für Tee? Teemillionär? Sah man schon mal einen Afroamerikaner auf einem Pferd sitzen, Tee trinkend gar?

Das andere verstörende Lied ist von einer schottischen Schreckschraube namens Sandi Thom (Bild), musikalisch ein sparsam instrumentierter A-capella-Song, in dem sie jodelt I wish I was a Punk rocker, die nächsten Zeilen aber lauten "...with flowers in my hair, in 77 and 69 revolution was in the air", es wird eine krude Vergangenheitsglorifizierung entworfen, die darin gipfelt, dass "footballers still had long hair and dirt across their face". Die 69er Revolution? Wo? Gegen was? Verkrustete Kopulationsgewohnheiten? Oder ist die gleichnamige Tanzkapelle aus Vaterstetten gemeint? Aber dass das Lied nicht der Logik von Dada folgt, offenbart sich erst in der deutschen Übersetzung eines Internetübersetzungsdienstes: Ich wünsche, dass ich ein Punk-Schalthebel war. Tja, wer will das nicht, Schätzchen, die Zeit einfach qua Schalthebel umlegen?


Kommentar #1 von Alter Sack:

Hm, die jungen Leute. Frage mich: Ob Revolutionsnostalgie nicht auch Revolutionen bahnen kann?

08.11.2006 | 21:42

Kommentar #2 von irgendwem:

Lieber Tex,
ja. Das stimmt. Fräulein Thom fand also früher alles viel besser; sie wünscht sich sogar in eine Zeit zurück, in der man Computer gruselig fand ("Oh I wish I was a punk rocker with flowers in my hair[...]When the head of state didn't play guitar[...]And computers were still scary and we didn't know everything"). Kurioserweise kann man überall lesen, dass es das Internet war, das Sandi Thom berühmt gemacht hat. Jenes hat ihr ermöglicht, den BÖSEN PLATTENFIRMEN ein Schnippchen zu schlagen.
Hmm.

09.11.2006 | 00:28

Kommentar #3 von irgendwem:

sehr intersseant im Camillinonairevideo: Der böse Cop ist ein Neger, freut die überwiegend weisse Käuferschaft

09.11.2006 | 01:54

Kommentar #4 von irgendwem:

Der Grund für diesen Beitrag ist wohl, dass Herr Rubinowitz in dem Punk rocker Video als Gitarrist auftritt (Tip: Brille aufsetzen, dann erkennt man ihn unter der Perücke). Und er hat eine Gitarre, aus der keine Töne kommen. Nennt man das dann Gitarrenluft spielen?

09.11.2006 | 08:44

Kommentar #5 von Ramses:

Ach jetzt versteh ich erst: "When the head of state didn't play guitar", damit ist Toni Blair gemeint, es ist nicht gut, dass er Gitarre spielt, warum eigentlich nicht? Was soll er sonst spielen? Blockflöte? Bei Bill Clinton fand man das doch gut, dass er Saxofon spielte

09.11.2006 | 10:39

Kommentar #6 von Lortnoc:

Stänkern ist nicht so toll wie ein gutes Mittagessen. Aber trotzdem, der Kommentar #3 ist so nicht in Ordnung. Die Wortwahl stinkt (Wort 10).

09.11.2006 | 11:35

Kommentar #7 von Hallo:

An Kommentator 2: Mit "And computers were still scary" meint sie sicher nicht, dass man das Internet eigentlich gruselig finden sollte, sondern dass damals Computer an sich noch unheimliche, roboterartige Wesen waren (zumindest in der Vorstellung), so wie HAL 9000 z.B.
Was ich nicht ganz verstehe, ist wie diese Verbindung zwischen Punk und Blumen im Haar gemeint ist... meint sie das ironisch, oder will sie damit ausdrücken, dass rückblickend verklärt alles eine einheitliche Rebellensuppe ist?

09.11.2006 | 12:18

Kommentar #8 von semanz:

so ist das mit der semantik, sie hat schon kriege ausgelöst: "neger" wird vor allem im osten dieses schönen landes durchaus auch von den so genannten bildungsaffinen vollkommen wertungsfrei verwendet. in bremen heissen schwarze sogar "schwatte", ohne dass das zu irgendwelchen komplikationen führt. in diesem zusammenhang ist auch interessant, dass das wort "mulatte" wie ein ganz dreckiges schmimpfort und mit "kanacke" verwandt anmutet, aber auch überhaupt kein problem ist.
es gibt ein schönes lied, das mal zu recherchieren wäre, das sich mit der amerikanischen bezeichnung "coloured" beschäftigt, und das geht inhaltlich in etwa so:
when you're dead, you're grey
when you're angry, you're red
when you're cold, you're blue
I'm always black
and you got the nerve to call me coloured.

09.11.2006 | 12:24

Kommentar #9 von T:

habt ihr noch nie nen Hippie-Punk gesehen? gibts auch mit Rasten, bringt noch das Inselflair in die Revolution!

09.11.2006 | 12:25

Kommentar #10 von Ramses:

Das ist ja das fatale an dem Song, dass man nie genau weiss, was Ironie, was Historisch, was Dada ist, wo fängt die Ironie an, wo wirds kritisch historisch, und wo macht sie ein kleines Witzchen. Das mit den Punks und den Blumen könnte genauso eine Verarschung sein, "weiche Punks", diese so genannte Revolution 77, nichts anderes als eine lustige Zahl, der Song macht mich fertig

09.11.2006 | 12:26

Kommentar #11 von irgendwem:

auf dem Briefkasten am Anfang klebt ein fotokopierter Zettel, auf dem NEVER MIND THE BALANCE steht, jemandes Hand, vermutlich die des Kameramanns wirft gerade einen Brief ein, bevor sie anfängt zu singen, WAS SOLL DAS DENN NUN WIEDER HEISSEN?

09.11.2006 | 12:33

Kommentar #12 von irgendwem:

Ich glaube da ist kein Millimeter Ironie. Okay, der Punkrocker mit Flowers im Haar, klar, soll lustig sein. Aber beides heisst: Früher hatte man noch VISIONEN und MEINUNGEN. Und hat nicht alles ENTMENSCHLICHT und total UNPERSÖNLICH per Computer gemacht. Weshalb sie ja auch per Computer berühmt geworden ist.

09.11.2006 | 19:20

Kommentar #13 von Peter Engländer:

...ich wünscht ich wär ein klassischer Komponist mit Kasperlepuppen anstatt Händen lalala...
... persönlich halte ich diese zwei aktuellen Radiomusikrefrainfetzen für sehr viel gruseliger:
"ich kriege nie genug vom Leben" & "ich liebe dieses Leben"

09.11.2006 | 19:49

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