Riesenmaschine

08.05.2007 | 02:04 | Anderswo

Wahn mit starrer Achse


(Foto: feaverish, Lizenz)
Wie immer sind Amerikas Blogs voll mit Enthusiasmus über den neuen Fortbewegungstrend: Nach der Pferdekutsche (damals), dem Hüpfball (lange her), dem Surfbrett (60er) und dem Skateboard (80er) erobert zur Zeit das Fixed-Gear-Bike die Welt. Seinen Vorgängern im Geiste, wenn es Geist hätte, nicht unähnlich, lässt sich das aus dem Bahnradsport stammende Fahrrad, einmal ausser Kontrolle geraten, nicht mehr kontrollieren. Aus gutem Grund, denn es hat weder Bremse (oder maximal eine) noch Gangschaltung noch Freilauf noch Rücktritt. Wie die New York Times treffend zusammenfasst, haben Räder mit starrer Achse in Sachen Verkehrssicherheit und Benutzerfreundlichkeit genau gar keinen Vorteil, dafür jede Menge Nachteile gegenüber normalen Rädern, so dass Fahrradfahren, Zitat eines offenbar Verrückten, zu so etwas wie Schach verkommt, "man muss seine Züge einen Block im Voraus planen". Dafür sehen die ultra-puristischen Fixed-Gear-Bikes deutlich besser, schneller und wahnsinniger aus als ihre konservativen Artgenossen, praktisch die Freeclimber unter den Spaziergängern oder der Hüpfball unter den Mount-Everest-Besteigern. Wird der Fixed-Gear-Boom eine Nischenerscheinung bleiben? So wie der Wankel-Motor etwa und das Eselreiten auf öffentlichen Strassen? Oder wird er, wie das Windsurfen, hasardierende Multimillionäre produzieren, die ungebremst beruflich gegen die teuersten Laternenpfähle der Welt rasen? Wie immer, wenn ein neues Kind geboren wird, sitzen die normalen Radfahrer nur hilflos am Tisch und zucken mit den Schultern. Man wird circa 20 Jahre abwarten müssen. Ungeduld macht sich breit.


Kommentar #1 von beaver:

Bremsen kann mit den Dingern (die auch hierzulande mehr und mehr Anhäger, nein, Fahrer, Anhänger hingen ja hinten dran, gewinnen) schon. Aber nur unter Einsatz brachialen, beinmuskulären Widerstandes. Zudem ist man gezwungen, immer der, dem Übersetzungsverhältnis zwischen vorderem und hinterem Zahnrad geschuldeten, Kurbelumdrehungsgeschwindigkeit zu folgen,also entsprechend schnell die Füsse kreisen zu lassen. Das ist mir zuviel der Diktatur der Technik über ihren Nutzer. Da lobe ich mir das geringe Mehrgewicht, bremse und schalte gleichzeitig mit meinen Dual-Control-Shiftern formel-1-mässig. Und loben will ich auch die Fähigkeit meines Rades, jederzeit brutalst zu verzögern, sprich vollzubremsen. Denn lieber steh ich quer als dass ich platt, zusammen mit meinem Minimalrad, unter einem dahergelaufenen Astra liege.

08.05.2007 | 02:41

Kommentar #2 von michael:

ach, das ist doch gar nicht minimal. das kann ja lenken.

08.05.2007 | 08:11

Kommentar #3 von MatzeLoCal:

Also an meinem BMX-Rad fehlen schon seit Jahren sämtliche Bremsen... und im Sommer mach ich damit auch 100 – 200 KM Touren mit.
Achja... bei einer Polizeikontrolle wäre ich um die 95 Euro los... es gibt bei der Polizei ja so nette "was kostet der Spass"-Listen .

08.05.2007 | 08:16

Kommentar #4 von alk:

Das ist doch nix neues. Die Dinger haben seit Jahren einen eingefleischten Fanclub. Ich kannte sie allerdings bisher und dem Begriff Singlespeeder.

08.05.2007 | 09:00

Kommentar #5 von Rayk:

Ich weiss nicht mehr wo ich das gesehen habe, aber bei irgendeiner WM der Fahrradkuriere waren diese Dinger äusserst beliebt. Und in dieses Geschäft passen sie ja gut hinein: Schnell reagieren, maximale Geschwindigkeit, und geklaut werden die Dinger auch nicht, kommt ja kein anderer vom Fleck mit.

08.05.2007 | 09:43

Kommentar #6 von sopran:

Ich bin mit sowas schon 1987 rumgefahren. Etwa eine Viertelstunde, dann habe ich mich doch auf die Fresse gelegt (Glatteis) und dem Spinner das Ding wieder zurückgegeben. Vorteil: Man kann damit rückwärts fahren, wenn man kann, und im Stand ungeduldig herumtänzeln, ohne die Füsse aus den Haken nehmen zu müssen.

08.05.2007 | 10:50

Kommentar #7 von nitpickier:

Hallo, Herr Dr. Scholz,
"..und der Skateboard (80er).." bitte noch einmal überdenken.
Für mich einfach nur ´n kaputtes Fahrrad, aber im Augenblick offenbar schwer "trendy" (herrlich bescheuertes Adjektiv, das es gerade deshalb auch haargenau trifft) und aufgrund dessen wahrscheinlich auch noch ´nen Tausender teurer. Hach, ich vermisse die Zeiten, wo es vernünftige, allgemein sichere Fahrräder für unter 500 DM gab...

08.05.2007 | 10:51

Kommentar #8 von nitpickier:

..interessant, ich bin sicher in meiner Anrede den Autor nicht mit "Dr." tituliert zu haben. Offenbar wurde der Titel, unter dem sein Besitzer übrigens selbst nicht zeichnet, automatisch eingefügt. Ein weiteres, etwas hahnebüchenes, Riesenmaschinefeature. Zuviel Zeit, hm?

08.05.2007 | 10:57

Kommentar #9 von KochSchlampe:

So wirklich neu ist der Trend nicht. Einige Kuriere fahren schon sehr lange mit Bahnrädern und andere Verrückte tun das seit ein paar Jahren. Zumindest sieht man sie immer wieder auf den Strassen damit fahren.
Das sollte sich evolutionär lösen lassen.

08.05.2007 | 11:39

Kommentar #10 von Karl von Drais:

Sicherer, formschöner und ideal für die öffentlichen Strassen der Zukunft: Das Squarewheel
http://www.sciencenews.org/articles/20040403/mathtrek.asp

08.05.2007 | 12:02

Kommentar #11 von der Rüdnitzer:

@MatzeLoCal: "Ohne Freilauf" heisst doch nicht automatisch "ohne Bremsen".

08.05.2007 | 12:05

Kommentar #12 von sopran:

Stimmt. Auch das abgebildete Fahrrad hat eine Bremse.

08.05.2007 | 13:16

Kommentar #13 von Aleks:

Und, hey, wenn man genau liest, steht es sogar im Beitrag!

08.05.2007 | 16:00

Kommentar #14 von michael:

zu #7:
man bekommt fast jedes fahrrad zum preis eines mittelklassigen bolzenschneiders.

08.05.2007 | 16:53

Kommentar #15 von akeem:

komplexitätsreduzierung. darum gehts, weil wir kuriere zu doof zum schalten, bremsen, funken, fahren und kucken gleichzeitig sind. und zu faul. ausserdem kosten bremsen und gänge geld. im betrieb, meine ich jetzt. bei der polizei ist's genau andersrum. kostet aber nur nen 10er: http://www.2rad-koeln.de/BussgeldFahrrad.pdf

08.05.2007 | 20:54

Kommentar #16 von schlauch:

das in dem katalog nicht noch mein fülldruck + abweichungstoleranz festgelegt ist, ist auch alles ...

09.05.2007 | 02:01

Kommentar #17 von Riesenmaschinentestlabor:

Herr Dr. Scholz Test eins zwo drei Herr Dr. Scholz

09.05.2007 | 09:38

Kommentar #18 von Riesenmaschinentestlabor:

Tatsächlich. Was im Umkehrschluss wohl bedeutet, dass hier keine Herren Scholze mehr ohne Titel anzusprechen sind, obwohl sie diese gar nicht besitzen. Hm.

09.05.2007 | 09:39

Kommentar #19 von Dr. Bob:

Gratulation! Endlich mal wieder ein richtig schönes Photo bei der Riesenmaschine – selbst der Lenker zeigt nach rechts. Doch noch viel schöner dieser Satz: "Wie immer, wenn ein neues Kind geboren wird, sitzen die normalen Radfahrer nur hilflos am Tisch und zucken mit den Schultern." Der wirft so viele Fragen auf. Was machen die normalen Radfahrer, wenn ein altes Kind geboren wird? Oder wo steht dieser Tisch, wo die ganzen Radfahrer sitzen? etc ....

09.05.2007 | 09:53

Kommentar #20 von Karteileiche:

Wie, "gar nicht besitzen". Gar nicht besitzen?

09.05.2007 | 13:08

Kommentar #21 von schleichwerbung:

http://cycles-for-heroes.com/

09.05.2007 | 20:11

Kommentar #22 von radabman:

also ohne den sattel würde es mir auch gefallen

10.05.2007 | 00:02

Kommentar #23 von dr. strangler:

fahren sich doch ganz gut, die dinger, nach etwas übung, die meistens nicht mehr als 20 minuten in anspruch nimmt. dann kommt man zumindest elegant geradeaus. an der ampel oder eigentlich überall bleibt´s dann noch ein paar tage haarig, bis man geblickt hat, dass das pedal auch bös in die hacken hauen kann. und dann, dann sieht man einfach nur gut damit aus, braucht´s vor der eisdiele nicht abzuschliessen, wird dort automatisch angelabert, muss nix mehr reparieren (ausser dem hinterreifen) und fährt hundert pro safer durch die gegend, weil man sich nicht mehr auf die 300 stutz bremse verlässt, sondern auf den am direktest wirkenden erstarrungsreflex, der, bevor es kracht, für brutal steife beine sorgt, und die, die bremsen dann quasi von alleine...
amen!

10.05.2007 | 21:18

Kommentar #24 von studio dorsch:

Neulich im März war ich auf der North American Handbuild Bicycle Show in San Jose.
Dort hatten vielleicht noch 20 Prozent der Räder eine Schaltung. Der Vorteil und die Berechtigung des Fixed-Gear-Räder ist, dass sie wunderschön sind.
Und wer nicht damit fahren kann, der schiebt es einfach.
Diesen Link zu kopieren lohnt sich:
http://www.flickr.com/photos/studiodorsch/446609462/in/set-72157600048457792/

11.05.2007 | 10:22

Kommentar #25 von Christoph:

Fixed Gear hatten wir schon vor 30 Jahren zum Winter- und Frühjahrstraining, aber mit zwei Bremsen am Rad, wir nannten es aber Starrlauf oder Starre Nabe meistens 42x18/42x17. Habe nach einen New York Urlaub in diesem Frühjahr ein Rad zum Fixed Gear (48x16 original NY messenger Übersetzung)ohne Bremsen umgebaut, fährt sich wahnsinnig gut und man bekommt den real spirit, Konzentration nur auf das reine Fahren, keine Ablenkung durch ratternde Schaltung u.ä.. Möchte jetzt aber nicht behaupten, dass Radfahren nun nur noch philosophisch zu betrachten ist. Aber es nur auf den Fun-Faktor zu reduzieren wäre zu wenig. Preisreduzierung findet aber durch weniger Komponenten am Rad nicht wirklich statt, denn die, die dran sind müssen wirklich top sein. Schaut mal bei fixedgeargallery rein. Oder seht Euch den jahrzehntealten Spielfilm Quicksilver mit Kevin B.an.

13.05.2007 | 08:04

Kommentar #26 von Takki:

Solche Räder haben die früher beim Schweizer Militär gehabt. Mit denen sind die sogar die Alpen hoch. Das waren halt noch echte Kerle, damals!

14.05.2007 | 21:25

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