Riesenmaschine

22.05.2007 | 00:50 | Was fehlt

Über den Prozess der Zivilisation des Fahrradfahrens


Kommunikationsgerät aus dem Fahrrad-Neolithikum (striatic) (Lizenz)
Wenn man Norbert Elias Glauben schenken möchte, dann tritt zwischen spontanem emotionalem Impuls ("aus dem Weg, Trottel!") und tatsächlicher Handlung (Betätigen der Fahrradklingel) im Laufe der Menschheitsgeschichte immer mehr ein Zurückhalten dieses Impulses und ein Überdenken der (Rück-)Wirkungen des eigenen Handelns ein. Zum Beispiel könnten sich die so angesprochenen Fussgänger erschrecken, zudem ist man ja als Fahrradfahrer oft gar nicht im Recht, sondern befährt vorschriftswidrig einen reinen Fussgängerweg, in der falschen Richtung und ohne Licht noch dazu. Es fehlt daher eine neuzeitliche Möglichkeit, den Fussgänger höflich zu bitten, doch einen Schritt beiseitezutreten, wenn es ihm gerade keine Umstände bereitet. Es fehlt die höfliche Fahrradklingel. Sie dürfte gar nicht erst Klingel heissen, sondern vielleicht Anklopfe oder Schnurre, und ihr Geräusch sollte an Unaufdringlichkeit etwa einem zarten Handy-Vibrationsalarm gleichkommen: "Hinter mir schnurrte entschuldigend ein Fahrradfahrer". Wir bitten die Hersteller von Fahrradzubehör, diesen Wunsch bei Gelegenheit zu berücksichtigen, wenn es gerade keine Umstände bereitet. Die extra laute chinesische Fahrradklingel und das druckluftbetriebene Air Zound III Bike Horn dagegen sollen Ländern vorbehalten bleiben, in denen man noch auf den Bäumen Rad fährt.


Kommentar #1 von Suicyte:

Kathrin, Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich habe bisher hauptsaechlich als Fussgaenger Kontakt mit Fahrradklingeln gehabt, und diese Assoziation "aus dem Weg, Trottel" ist genau das, was ich aus dem Klingeln herauslese.
Ueberhaupt habe ich das Gefuehl, dass zumindest in unserem schoenen Staedtchen die Fahrradfahrer in puncto Unhoeflichkeit fast bis zu den Taxifahrern aufschliessen.

22.05.2007 | 02:41

Kommentar #2 von Frau Grasdackel:

Das hier beschriebene Zurückhalten der Impulse erinnert mich an den Film "Demolition Man" mit Sandra Bullock und Sylvester Stallone. In der dortigen futuristischen Welt gibt es keine Umweltverschmutzung, keine Arbeitslosigkeit, keine Kriminalität, keinen ungeschützten Sex und eben erst recht keine Schimpfworte. Wird gegen das Schwimpfwort-Verbot verstossen, erhält der sich einem spontanen emotionalen Impuls Hingebende aus einem Lautsprecher eine Verwarnung in Form von einer verbalen Zurechtweisung plus Bussgeldangabe. Wer diesen Film kennt, weiss, dass sich dieses System nicht halten konnte und am Ende doch der wenig impuls-kontrollierte "John Spartan" das Rennen bei Frau Bullock machte. Die "höflichen Fahrradklingeln" wollen wir Frauen doch in Wirklichkeit gar nicht.

22.05.2007 | 03:04

Kommentar #3 von sopran:

Klingeln und Hupen benötigt man für die Menschen, die eine nur wenig abschüssig verlaufende Hundeleine zwischen sich und den gegenüberliegenden Wegrand gespannt haben.
Bei dezentem Flitschenlassen der Bremsgriffe und leisem Kettenrasseln durch Rückwärtstreten (nur bei Freilauf) treten die Menschen oft höflich und nickend aus dem Weg.
Statt ein neues Gerät zu basteln, das dann wieder Geld kostet und kaputt geht, könnte man vielleicht das vorhandene Zubehör besser geräuschdesignen.

22.05.2007 | 09:56

Kommentar #4 von Nic:

Oder den Fahrradfahrer selbst, indem man ihm beibringt zu rufen: "Entschuldigung, dürfte ich bitte mal kurz vorbei?"

22.05.2007 | 10:06

Kommentar #5 von Chilli:

Es gibt doch jede Menge technik-SchnickSchnack, da ist dann wohl auch noch eine MP3-Klingel drin. Diese wäre dann frei besprechbar, kann auch mit Klingeltönen gefüttert werden oder enthält das Lieblings-Gitarrenriff von Metallica als "Dürfte-ich-da-mal-durch"-Ersatz.

22.05.2007 | 10:11

Kommentar #6 von Herr Hagebutt:

Chilli, ihr Vorsclag verrät, dass sie an Weltverbesserung nicht wirklich interessiert sind.
In Ergänzung zu den hilfreichen und sinnvolen Bemerkungen von Frau Sopran weiter oben: Die Bremsklötze am Rad lassen sich auch so einstellen, dass sie bei Benutzung eine breite Palette an Quietschlauten von sich geben. Bei moderatem Druck auf den Bremshebel lässt sich so ein Signal modulieren, dass allgemein verständlich sagt: Entschuldigen Sie bitte, aber ich war ihretwegen soeben genötigt zu entschleunigen. Reparieren Sie ihr Fahrrad doch bitte nicht zwischen den beiden Blumenkübeln auf dem Radweg.

22.05.2007 | 11:14

Kommentar #7 von Hr. Rübenacker:

Überhaupt sollten die Signalgeber an Fahrrädern mal verbessert werden – so könnte man passend zur Situation die passenden Signale geben:
zur allgemeinen Zerstreuung der Fussgängermassen eine Warnsirene mit dezenter Lautstärke (ich stelle mir da etwas ähnlich des Walgesangs vor), zur Abwehr von Autofahrern mit eingeschränkter Wahrnehmung evtl die vorgestellte Presslufthupe (oder ein ähnliches Konstrukt) und schliesslich zur Anzeige der eben erfolgten Vollbremsung bzw. der damit verbundenen Erregung ein infernalisches Kreischen (gern mit den Bremsen gekoppelt, sozusagen eine Art Bremsgeräuschverstärker).

22.05.2007 | 13:00

Kommentar #8 von Die Königin mit Rädern unten dran:

Der gemeine Fussgänger ist gar nicht so sehr das Problem. Sein Verhalten ist meistens kalkulierbar; ein flinkes Vorbeiwitschen ist ohne grösseres Risiko möglich. Sorgen bereiten mir dagegen unsere verträumten und schreckhaften Mitbürger: Kinder, alte Menschen, Philosophiestudenten und Hunde. Das Betätigen der Klingel ist bei ihnen garantiert kontraproduktiv.
Einen Ausweg aus dem Schlamassel kann ich leider nicht anbieten...vielleicht den Fussgänger(führer)schein?

22.05.2007 | 13:31

Kommentar #9 von nico:

Liebe Frau Passig, jetzt ist mir klar warum in Berlin so viele Radfahrer von rechtsabbiegenden PKWs zerquetscht werden: Sie hatten entweder die falsche Klingel oder sie haben nicht freundlich genug "Achtung, hier bin ich!" gerufen!

22.05.2007 | 15:39

Kommentar #10 von Frau Grasdackel:

@8
Die dritte Gruppe der Mitbürger in Ihrer Aufzählung sollten Sie bitte nochmals überdenken! Diese Spezies ist durchaus auch zu realen und produktiven Gedanken und Handlungen fähig! Dies wollte ich nur mal gesagt haben.

22.05.2007 | 16:06

Kommentar #11 von Karl von Drais:

Der Ausweg aus dem Schlamassel existiert bereits. Steht in § 50 der deutschen Strassenverkehrsordnung; der Geltungsbereich müsste bloss noch auf den Rest der Republik ausgedehnt werden:
http://www.gesetze-im-internet.de/stvo/__50.html

22.05.2007 | 16:22

Kommentar #12 von etagenkellner:

auch folgende theorie, vom polizisten aus flann o' briens romanen aufgestellt, sollte bei den überlegungen berücksichtigt werden: auf grund des schlechten zustandes der strassen und des somit auftretenen wackeln & ruckelns vermischen sich die atome & moleküle von fahrrad und mensch, so dass immer mehr fahrrad im radfahrer ist , vice versa.

23.05.2007 | 00:54

Kommentar #13 von michael:

eine geräuschlose, aber auf ihre weise sicherlich auch effektive variante kann man hier finden:
http://www.roseversand.de/output/controller.aspx?cid=155&detail=10&detail2=441

24.05.2007 | 07:46

Kommentar #14 von huhu:

Also ich rufe, wenn ich mit dem Fahrrad an Fussgängern vorbeiwill, immer fröhlich 'klingeling'. Das funktioniert und man kriegt meistens noch ein Lächeln dazu.

29.05.2007 | 22:17

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