Riesenmaschine

10.07.2007 | 15:12 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Keine Witze über Junk-DNA


Spiel nicht mit der Schmuddel-DNS (Foto: saynine) (Lizenz)
Als den bärtigen Alpha-Onkeln Eric Lander und J. Craig Venter anno 2000 zur Sequenzierung des menschlichen Genoms gratuliert wurde, stand Grosses zu verkünden: Die Menge der Gene war kleiner als geschätzt. Man frage mal seine Grossmutter, wenn man mal wieder zum Spyware-Entfernen und Apfelkuchen-Abgreifen vorbeigeht.

Fortan grämte sich die Menschheit und fürchtete gar, auf Nematodenniveau abzurutschen, bedrückt von der unangenehmen Idee, sich in der Komplexität des Erbguts nicht von den niedersten Tieren zu unterscheiden. Überdies klebte an weiten Bereichen der Begriff "Junk-DNA" wie das Zeug, was sich in einem Küchenabfalleimer sammelt, wenn man wieder keinen Beutel zur Hand hat. Auch wenn jemand aus dem Bio-LK schnell einwarf, alles in der Natur habe ja einen Sinn, so waren die repetitiven Sequenzen, kaputten Transposons und Genwüsten, die den Rest ausmachten, auch nach längerer Untersuchung nur langweiliges Zeugs. Schlimmer noch, es gibt gute Erklärungen für ihre Erzeugung, aber keine, warum der Kram nicht aufgeräumt wird.

Kürzlich aber gab es wieder gute Neuigkeiten aus dem Genom. Und siehe da, es wird bedeutend mehr von ihm ausgelesen, als bisher angenommen wurde, darunter grössere Bereiche der intergenischen Bereiche, denen bisher keine Funktion zugestanden wurde. Aber der Begriff Junk-DNA muss nun keinesfalls den Weg alles Irdischen gehen, ausgelesene Zeitungen sind schliesslich Hauptbestandteil von klassischem Müll, selbst wenn man ihnen noch die Fischverpackungsfunktion zugesteht.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Tsille Pots


Kommentar #1 von HerrTe:

Bislang rätselhafte Phänome können wohl nur solche faustischen Naturen für "langweiliges Zeug" halten, die dank mangelndem Bewusstsein eigener Beschränktheit an die Spitze einer von wahnwitzigen Machbarkeitsphantasien befeuerten Wissenschaftsindustrie gespült wurden.
Eine hervorragende Gelegenheit, an Erwin Chargaff (1905-2002) zu erinnern, einen der Wegbereiter der modernen Molekularbiologie. Parallel zu seinem Chemiestudium hat er in Wien über Jahre regelmässig die Vorlesungen von Karl Kraus gehört, den er als seinen einzigen Lehrer bezeichnete. Die Spaltung des Atomkerns und des Zellkerns hielt Chargaff, selber ein scharfzüngiger Essayist, für die Sündenfälle der Naturwissenschaft, die Naturwissenschaftler bezeichnete er als die "Taliban der Moderne", und er prophezeite das "molekulare Auschwitz".
Über den ausser Kontrolle geratenen "universitär-industriellen Komplex" ätzte er: "Das Gerede vom Klonen, das Herummachen an embryonalen Stammzellen – das sind Verbrechen. Da ist ein eigenartiges Bedürfnis, die Realität zu verlassen und in das Unbeschreibliche vorzudringen – nur Frevler, nur Trottel machen so etwas."
Die Gentechnik habe "das Denken brutalisiert", sie brächte nur "[s]ehr wenig, man kratzt nur an der Oberfläche. Aber sie schafft lautes Lärmen: Wundersame Siege über die Natur werden verkündet, lemmingartig wird die Allmacht der Gene angebetet. Doch je mehr man erforscht, desto grösser werden die weissen Flecken auf der Landkarte. Die Gene sind nicht das einzige Werkzeug, das die Natur einsetzt, um das Leben aufrechtzuerhalten. In einigen Jahren wird das Wort Gen nicht mehr in aller Munde sein. Ganz verblüfft wird man auf das heutige Gerede zurückblicken. ... Irgendwann werden sie uns auch noch den Todestag voraussagen. Der Mensch soll aber nicht wissen, was die Zukunft bringt."
Diese Aussage ist auf den Menschen als Individuum bezogen. Für die Zukunft der Menschheit prophezeit Chargaff in dem Interview, aus dem alle diese Zitate entnommen sind, an seinem Lebensende düster: "Unendlich traurig ist, wie der Anstand die Welt verlassen hat. Befruchtung und Zeugung werden sie bald abschaffen, Interneteltern werden per Internet Internetkinder ordern, und Kinder werden wie Cocktails zusammengeschüttelt, aber sie werden keine Menschen mehr sein. Die Seele kann man nicht klonen. Wir leben in einer Zeit des Missbrauchs. Des Missbrauchs der Sprache, des Missbrauchs der Naturforschung, des Missbrauchs des Lebens, der Hoffnung. Wir kommen noch in eine Zeit, wo die Leichen nicht mehr begraben oder verbrannt, sondern industriell ausgeschlachtet werden, weil sie so unheimlich viele wertvolle Substanzen enthalten. Die Menschlichkeit ist zu Ende gegangen."
Zitate: http://tinyurl.com/2ev2va
Nicht witzig, in der Tat, und ich fürchte, Chargaff wird recht behalten, auch mit diesem Aphorismus, bezieht man ihn auf den Verfasser selbst: "Sein Nekrolog, an dem er sein ganzes Leben schrieb, wurde irrtümlich mit ihm begraben."

10.07.2007 | 22:15

Kommentar #2 von Homer Simpson:

Booo-ring!

11.07.2007 | 13:59

Kommentar #3 von Homer Simpson:

(also der Kommentar jetzt, nicht der Beitrag)

11.07.2007 | 14:16

Kommentar #4 von kikkoman:

Nörgler, elender!
Tesla finden alle geil, aber Chargaff kriegt immer nur ab. Warum eigentlich?

12.07.2007 | 17:14

Kommentar #5 von Analphabet:

#4: Na, weil er Österreicher ist, u.a.
Und was diese bescheuerten ENCODEr angeht: viel Rauch um nix.

16.07.2007 | 23:00

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