Riesenmaschine

11.09.2007 | 09:46 | Supertiere | Zeichen und Wunder

Wabi Sabi Spinne Auto


Mit etwas gutem Willen ist das Spinnennetz durchaus zu erkennen, jede Unterstellung, ich würde ein verkapptes Selbstportrait in die Riesenmaschine einschleusen wollen, muss also als an den Haaren herbeigezogen betrachtet werden. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Weshalb mein Automobil, ein goldener Mercedes 230 CE, '89er Baujahr, natürlich Automatik, alles andere ist scheinbeschäftigtes Gepose, fast ein Jahr herumstand, kann man hier nachhören. In dieser Zeit fand es neue Liebhaber, und jetzt, da ich wieder mit dem Auto herumfahre, teilen wir es uns zu dritt: zwei unsichtbare Spinnen wohnen jeweils in den Seitenspiegeln. Mittags, wenn ich zum Auto gehe, um zum Arbeiten in ein Café zu fahren, haben die Spinnen rechts und links Netze gesponnen, die vom Rückspiegel bis an den Türkorpus, manchmal sogar bis an die nicht vorhandene B-Säule reichen.

Es zeigt sich, dass Tier, Ding und Mensch eine nennen wir es Symtriose eingehen können, die zu dreierseitigem Nutzen ist. Das Tier profitiert technisch, weil die Netze im Fahrtwind nur in der Hälfte der Fälle kaputt gehen. Ansonsten werden in zehn Minuten Fahrt mehr Luft und Insektengetier durch das Netz getrieben als in hundert Jahren Windgetöse. Das Ding hingegen profitiert ästhetisch, weil es sein durch vieltausendeuroteure Reparaturen ramponiertes Image aufbessern und sein über die Jahre durchaus klobiger scheinendes Äusseres mit filigranen fliegenden Bauten aufpeppen kann. Der Mensch zum Schluss profitiert feinstofflich, weil er mit dem Spinnennetz der verborgenen Spinne am Rückspiegel endlich das Konzept Wabi Sabi versteht und fortan Gelassenheit und Frohsinn seine Lippen umspielen, wenn er im Strassenverkehr zum Fluche ansetzt.


Kommentar #1 von Martin:

Vor einigen Jahren habe ich bei meinem Renault Clio Bj 91 auch schon Bekanntschaft mit dem Exemplar Spiegelspinne gemacht.
Die anfängliche Skepsis wich nach der ersten Autobahnfahrt einem gewissen Respekt ob der Widerstandsfähigkeit und Persistenz dieses kleinen Geschöpfes. Auch zog ich die unvoreingenommene Naivität und den durch den endlosen Neubau des Netztes versprühten Optimismus gerne als Motivationsquelle heran. In der letzten Phase war ich sogar ein klein wenig stolz auf mein Haustier und schützte es vor der Zerstörungswut meiner Mitfahrerinnen.
Das Auto ist inzwischen wohl in Weissrussland. Ob die Spinne an der Grenze noch den Absprung geschaft hat weiss ich leider nicht. Aber wahrscheinlich sind kaukasische Mücken auch nicht schlechter als deutsche.

11.09.2007 | 13:03

Kommentar #2 von Valerie:

und mein haus hat einen blauen rückspiegel. das ist ungewöhnlich für ein haus, aber es hat einen rückspiegel, dafür hat es innen keine spiegel, in meinem erdgeschoss nicht und in meinem obergeschoss nicht. also sehe ich mich nie, auch nicht, wenn ich meine haare hinter meine ohren streiche und das manchmal gern sehen möchte. in linkskurven sehe ich , was draussen los ist. in rechtskurven sehe ich manchmal mein haar zum fenster hinauswehen, da biegt sich mein haus nämlich nach innen. wir halten uns dann mit den beinen in den türrahmen fest. auf die türrahmen kann man sich verlassen, die bleiben wo sie sind. da kann man etwas hineinschreiben, da kann man sich dann in den kurven daran festhalten, auch wenn das glückliche haar weht.

11.09.2007 | 17:33

Kommentar #3 von irgendwem:

mal testend wieviele der riesenmaschinischen gebote umschiffbar sind und bezugnehmend auf #2: freu! ^^

11.09.2007 | 21:42

Kommentar #4 von Frau Herr:

Hilfe – ich fahre ein Opferauto.
Binnen sieben Monaten wurde es von einem gewalttätigen Pfosten in Toulouse vermöbelt (ein Angriff von hinten – fand ich besonders fies); Fahrtwind riss den erst vor zwei Jahren erneuerten Auspuff fort; ein Rehbock hat sich in einen von Anfang an ungleichen Kampf mit meinem Wagen eingelassen (mein Auto konnte nur verlieren); und heute, heute wurde das Arme Opfer einer unerschrockenen Kamikazefahrerin, die ungebremst in es hineinbumste("Huch, ich dachte, ich hätte Vorfahrt, oder so!" -Totalschaden, übrigens).
Die Spinne in meinem Auto ist hellgrün und heisst Superhorst (inzwischen in der vierten Generation) – ob vielleicht hier ein Zusammenhang besteht?

11.09.2007 | 23:29

Kommentar #5 von psycho killer:

Wehret den Anfängen!
http://www.texasento.net/Social_Spider.htm

12.09.2007 | 08:19

Kommentar #6 von Bin Leiden:

Was es nicht alles gibt! Da kann ich mit meiner Spinnen-Auto-Geschichte wohl kaum gegen anstinken. Bei meinem letzten Besuch in Metropolis wurde mir der Opel nämlich lediglich von einem aufgeregten jungen Mann in Spinnenkostüm "entliehen" um "Superfliege" zu fangen. Bis heute warte ich auf eine Rückgabe/Erstattung.

12.09.2007 | 11:34

Kommentar #7 von Sabine:

Wabi Sabi, warum Objekte? Das hätte ich gern als Spitznamen, das ist schön!

12.09.2007 | 11:56

Kommentar #8 von Frau Grasdackel:

Wenn zukünftig alle Riesenmaschineautoren ihren Beiträgen ein aktuelles Foto von sich, das sie in Verbindung mit der behandelten Thematik zeigt, beifügen würden, fände ich das durchaus begrüssenswert.

12.09.2007 | 17:54

Kommentar #9 von Ruben:

Wie sehen Sie eigentlich aus, Frau Grasdackel? Wir könnten uns ja mal auf einen Kaffee treffen...

12.09.2007 | 18:05

Kommentar #10 von Frau Grasdackel:

Ich weiss zwar auch nicht wie Sie aussehen, Ruben, aber wenn Sie mal in der Heidelberger Gegend sind, können wir uns gerne mal zum Anschauen und Philosophieren treffen.

12.09.2007 | 18:15

Kommentar #11 von Ruben:

Heidelberger Gegend, ja, da bin ich sogar hin und wieder. Abgemacht.

12.09.2007 | 18:33

Kommentar #12 von Allgemeinplatzhirsch:

Liebe Frau Grasdackel, ich ... ähem ... bin auch... sehr schön...
?

12.09.2007 | 18:59

Kommentar #13 von Sprachputzfrau:

-bio steht nicht für "zwei", somit ist eine Steigerung von Symbiose auf -triose ein unschöner Versuch, eine Dreiheit auszudrücken.
Die unfreiwillige Änlichkeit mit einer Zuckerbenennung (Glukose, Mannose, Triose) macht diese Wortneubildung noch verwirrender.

13.09.2007 | 13:32

Kommentar #14 von Allgemeinplatzhirsch:

Vermutlich wollte der Autor mit diesem Neologismus den Begriff der "ménage à trois" vermeiden, um zu verhindern, dass durch den Satz "In dieser Zeit fand es neue Liebhaber, und jetzt, da ich wieder mit dem Auto herumfahre, teilen wir es uns zu dritt" keine unnötig verwirrenden Assoziationen ausgelöst werden.

13.09.2007 | 15:49

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