Riesenmaschine

03.04.2008 | 00:22 | Effekte und Syndrome

100 Megahertz Inszenierung


Ein DB-Fernverkehr-Fahrkartenautomat während des Zusammenbruchs der Inszenierung. Man kann selbst den Fotografen erkennen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Der ganze Apparat der Selbstinszenierung ist natürlich umständlich; er bricht manchmal zusammen und enthüllt dann seine einzelnen Bestandteile ..." Mit diesen Worten zitiert Benjamin von Stuckrad-Barre den Soziologen Erving Goffman, am Anfang seines Fotoromans "Deutsches Theater". Ein Zitat, das einem des öfteren einfallen sollte, denn es beschreibt eine Erfahrung, die einen freudigen Ausdruck in müde Gesichter zaubert. Es handelt sich bei diesem Zusammenbruch des Inszenierungsapparates vermutlich um eine derart existenzielle Erfahrung, dass selbst noch ihr Widerschein im Kleinen und Kleinsten in hochemotionale Erregungszustände versetzen kann.

Fällt zum Beispiel eines der Systeme hinter den vielen, vielen Bildschirmen aus, die uns tagtäglich umgeben, lässt sich erkennen, dass auch kein noch so grosser Weltkonzern über andere Betriebssysteme verfügt als wir, im Innern also aus dem gleichen Holz geschnitzt ist. Lustig wandert dann statt des Unternehmenslogos die Windows-Fehlermeldung über die aufgestellten Flatscreens. Während manche an diesen Ausfallerscheinungen interessenlos vorübergehen (weil sie ja auch wenig verraten, was wir nicht eh gewusst hätten), bleibt der Sensible andachtsvoll davor stehen und sagt: "Schau mal! Auch nur Windows hier." Manchmal enthüllt der Zusammenbruch aber auch mehr, zum Beispiel wo eigentlich all die Rechner ein neues Zuhause gefunden haben, die wir spätestens zum Jahrtausendwechsel auf den Müll geworfen hatten.


Kommentar #1 von Phil:

Ich stand auch schonmal vor nem Geldautomaten, der erst meine Karte frass, dann abstürzte und dann erfolglos versuchte Windows (NT) wieder hochzufahren. Und mein Zug ging 10 Minuten später. War leider keine Zeit für Andacht.

03.04.2008 | 00:38

Kommentar #2 von Fry:

Mich überkam immer wieder der Gedanke, die nutzen Textdateien als Datenbankersatz. Aber damit ist auch das Rätsel gelöst, warum die Automaten so "schön" träge reagieren. Danke Riesenmaschine

03.04.2008 | 02:22

Kommentar #3 von mymanfriday:

was macht eigentlich herr von stuckrad-barre? zusammenbruch? fehlermedlung? neues zuhause? jahrtausendwechsel?

03.04.2008 | 09:11

Kommentar #4 von einem begeistertern Fan:

Hübsche Koinzidenz: Vor einiger Zeit sass ich in einem Bus des Nahverkehrs in Recklinghausen und grinste beim Blick auf den dortigen Werbemonitor für mich hin, der – statt nervige Reklame zu powerpointen – ein Wiedereinlegen der Startdiskette reklamierte. Jetzt, keine zwei Wochen später, dieser Artikel. Riesenmaschine – it's Magic!

03.04.2008 | 10:37

Kommentar #5 von kasten:

Die Zitation von Stuckrad-Barre ist ja auch so eine Art von Zusammenbruch der Selbstinszenierung. Zumindest wenn man als fortschrittlich wahrgenommen werden möchte.

03.04.2008 | 11:26

Kommentar #6 von mymanfriday:

#5 erstens: das zitiern barres, oder das zitieren goffmans durch barre? zweitens: man unterschätze deren befunde nicht bezüglich der aktualität. drittens: man unterschätze deren befunde nicht bezüglich zukünftiger entwicklungen.

03.04.2008 | 12:51

Kommentar #7 von Christoph:

ich hatte einen ähnlichen Vorfall etwas grösserer Art (im wahrsten Sinne des Wortes). Es passierte in unserer Innenstadt (Magdeburg) auf der Riesen-Video-Werbe-Wand (zu sehen ist ein Foto auf http://videowand.com/).
Erschienen ist überraschenderweise ein Windows 98(!) – Ausnahmefehler in einer Auflösung von ca. 640x480 auf dem Riesenscreen.
Also das hat mich schon etwas schockiert. Hatte hier nicht mit sooo alter Technik gerechnet.

03.04.2008 | 13:32

Kommentar #8 von elblette:

ein freund brachte mal ein foto der riesigen videowand am times square mit dem windows95 logo mit nach hause. dieses zusammenspiel von blade-runner-zukunftskulisse und schnödem windows-absturz war schon sehr charmant!

03.04.2008 | 14:21

Kommentar #9 von zappo:

http://www.bahn-spass.de/wp-content/myfotos/2007/ankunftrechner.jpg
HUNDERT...achtundsechzig! HA!

03.04.2008 | 15:07

Kommentar #10 von bahnfahrer:

Wow, 168 MHz. Das müssen diese neuen Automaten sein, die durch die einfache reduzierung der Click-Response-Zeit von 2 auf 0.5 Sekunden die Usability gefühlt vertausendfacht haben.

03.04.2008 | 17:51

Kommentar #11 von michael:

wenn ich mich recht erinnere, hat der postbank-automat in hagen sogar noch ms-dos. welches trotzdem fortschrittlich genug war, meine karte einer internen vernichtungsprozedur zuzuführen, weil deren automat kaputt war.

03.04.2008 | 21:38

Kommentar #12 von gnaddrig:

Und ich hatte immer gedacht, dass in den Automaten wer sitzt und mit einem Diaprojektor vorgefertigte Bilder von innen auf den Bildschirm projiziert (die Riesenmaschine soll ja neuerdings auch so ähnlich funktionieren). So lahm wie die Dinger oft sind, hätte er massig Zeit, aus einem grösseren Fundus das jeweils passende Dia rauszusuchen.

03.04.2008 | 22:13

Kommentar #13 von Alexander:

Zyniker verstummet: Die Deutsche Bahn hat die Zeitzeichen erkannt und setzt beim Abstürzen mittlerweile auf Open-Source-Lösungen.
http://www.bahn-spass.de/2007/01/27/kernel-panic-in-hh/

03.04.2008 | 22:37

Kommentar #14 von martin:

Zu #13: Wer lesen kann ist im Vorteil: Hardware-Crash!

04.04.2008 | 20:38

Kommentar #15 von nikosch:

Ach DOS geht doch in Ordnung. Ist ja nicht sehr anspruchsvoll. Besser, als wenn mich der Drospa Fotoautomat bei jedem Datenträgerwechsel fragt, ob Windows neustarten soll. Und ich so auch noch auf dem öffentlichen Touchscreen Windows Dialogboxen weg'klicken' muss...

04.04.2008 | 21:39

Kommentar #16 von Lars:

SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...SELFTEST...

05.04.2008 | 01:35

Kommentar #17 von auskenner...:

das riesendings an der spree, das immer werbung macht und darauf wartet, dass endlich endlich jemand eine flasche reinschmeisst läuft übrigens auf MAC OSX. Wau. Wau.

08.04.2008 | 16:58

Kommentar #18 von Philipp:

Ich habe die Geschwindigkeit der Fahrkartenautomaten bisher immer auf eine lahme Internetverbindung oder so geschoben. Aber jetzt ist ja alles klar.

11.04.2008 | 09:51

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