Riesenmaschine

05.10.2008 | 15:50 | Fakten und Figuren

Gelöst: Das Rätsel des Rattenkönigs


Baumkönig (Foto, Lizenz)
Schändlich von der Fachliteratur übersehen wurde eine fundamentale Implikation der gerade mit dem Ig-Nobelpreis für Physik ausgezeichneten Publikation Spontaneous knotting of an agitated string von Dorian M. Raymer und Douglas E. Smith: Wir sind einen Schritt weiter in der theoretischen Erforschung des Rattenkönigs. Wie alle wissen, handelt es sich bei Rattenkönigen um Klumpen an den Schwänzen verknoteter Ratten, grausame Unglücksfälle, von denen weltweit so cirka 30-60 dokumentiert sind. In der diesbezüglich wegweisenden Schriftensammlung Lexikon des Unwissens (ab November als Taschenbuch erhältlich) wurde zum ersten Mal der Rattenkönig mit der weit häufiger beobachteten Erscheinung des Kabelsalats in Verbindung gebracht – dicht gedrängt lebende Ratten werden durch äussere Einflüsse in Hektik versetzt, rennen wild durcheinander, folglich Verknotung, dadurch mehr Hektik und mehr Knoten. Ein wichtiger Transfer, sind Kabelsalate doch wesentlich einfacher im Labor zu untersuchen als Rattenknoten.

"Wesentlich einfacher" bedeutet allerdings leider nicht, dass es auch wesentlich häufiger geschieht: Genauso wie die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zum Rattenkönig liegt die der einigermassen realistischen Experimente zum Kabelsalat tief im einstelligen Bereich. In einem davon jedoch gelingt der Nachweis, dass die Dauer bis zur Knotenentstehung nahezu unabhängig von der Länge des "Kabels" ist, wenn diese 16cm überschreitet, während die benötigte Zeit zur zufälligen Entknotung rapide mit der Länge ansteigt. Daraus folgt: Sind die Schwänze der Ratten nur lang genug, sind Rattenkönige ein unausweichliches Produkt der Natur.


Rattenkönig idealisiert (Foto, Lizenz)
Weiterhin wenig verstanden sind jedoch die Faktoren, die die spontane Knotenbildung in Schnüren jeglicher Art kontrollieren. Die Nobelpreisarbeit kommt hier einen Schritt weiter: Knoten werden erzeugt (durch die traditionelle Labortechnik des Schüttelns), dann fotografiert und anschliessend mathematisch analysiert. Nur ein Beispiel für die erstaunlichen Ergebnisse: Fast alle der beobachteten 3415 Knoten sind Primknoten, die Primzahlen unter der Knoten, also solche, die topologisch unzerlegbar in andere Knoten sind, aber das nur nebenbei.

Zum ersten Mal schlagen sie ein mathematisches Modell für den Kabelsalat und damit den Rattenkönig vor, das sowohl analytisch als auch in einer numerischen Simulation die Versuchsergebnisse qualitativ reproduziert. Interessanterweise beruht ihr Modell auf der Annahme, dass sich zur Knotenbildung eines der Schnurenden in einer Wellenbewegung hin- und herbewegt, das andere aber unbewegt bleibt, eine hervorragende Beschreibung für gewöhnliches Schwanzwedeln. Es bleibt nichts anderes übrig als zu schlussfolgern, dass Rattenkönige eine topologische Idealisierung des gewöhnlichen Kabelsalats darstellen.


Kommentar #1 von Analphabet:

Interessant ist es auch, den Einfluss der Ausgangstopologie zu studieren. Ich führe zu diesem Thema schon seit Jahren Feldversuche durch. So wickele ich z.B. regelmässig das Kabel der Ohrhörer um den Korpus meines MP3 Players (verschiedene Modelle, aber jeweils ohne führendes "i" im Namen). In der Regel ist schon nach kurzzeitiger Inkubation in meiner Jackentasche (bei eher milder Agitation) ein heilloses Kabelchaos zu beobachten – ohne Zweifel gefördert durch die parallele Ausrichtung mehrerer Windungen. In einer Serie von Kontrollversuchen wurde das Kabel einfach zufällig zerknüllt in die Tasche gesteckt, und kam in ähnlich zerknülltem Zustand wieder heraus.
Was einmal mehr beweist, dass sich Ordnung einfach nicht lohnt.

05.10.2008 | 23:54

Kommentar #2 von Aleks:

Vollkommen richtig erkannt. Das ordentlich gerollte Kabel ist auch der Ausgangspunkt der Verknotung im oben beschriebenen Experiment bzw. im dazugehoerigen Modell. Ausserdem spielen natuerlich eine Rolle die Steife der Schnur, der zur Verfuegung stehende Raum und ob die Schnuere eventuell mit adhaesiven Substanzen versehen sind (Spinnennetze + Staub, verschuettete Club Mate, Rattenspucke).

06.10.2008 | 01:06

Kommentar #3 von Analphabet:

Ist eigentlich die Abwesenheit dokumentierter Mausekoenige vor allem der unzureichenden Schwanzlaenge geschuldet?

06.10.2008 | 13:07

Kommentar #4 von irgendwem:

Nettes Bild von dem Baumkoenig, uebrigens. Muss man sich so aehnlich auch den Erlkoenig vorstellen?

06.10.2008 | 13:09

Kommentar #5 von unschuldig nachgefragt:

Und was ist mit dem Zaunkönig? Dürfte bei Maschendrahtzäunen häufiger als bei Jägerzäunen sein, oder? Oder ist der gemeine Maschendrahtzaun schon eine Art Drahtkönig?

06.10.2008 | 14:14

Kommentar #6 von schwanzab:

Ja, Analphabet, dasselbe gilt übrigens auch für Swingerkönige.

06.10.2008 | 14:16

Kommentar #7 von M:

Gurkenkönig? Weinkönig (gibts den eigentlich)? Heute ein König?

06.10.2008 | 19:33

Kommentar #8 von Pastor Bondätsch:

Ja ja, forschen, forschen, forschen. Aber wo bitteschön bleibt der sich selbst verschleifende Senkel, der unverhedderbare Tesafilm? Elfenbeinturm schön und gut, aber ein bisschen mehr Praxisnähe wäre von den "Herren" Wissenschaftlern doch zu erwarten.

07.10.2008 | 12:51

Kommentar #9 von tulek:

Wissen ist ok,
aber um die Existenz eines Rattenkönigs hätte ich lieber nicht gewusst.
Wirklich nicht.
Und jetzt auch nicht.
Übrigens hat Ludwig Hirsch ein sehr hübsches Lied mit dem Titel "Der Rattenkönig" im Angebot, obwohl ich es mit meinem neu erworbenen Wissen nie wieder in altgewohnter Unbeschwertheit werden hören können.
An dieser Stelle habe ich einen Inflektiv hingemacht, für den ich mich schämen werde, sobald ich begriffen habe, was das überhaupt ist.

07.10.2008 | 16:24

Kommentar #10 von irgendwem:

Damit ist Riesenmaschine endgültig im Mainstream angekommen. Bravo.

07.10.2008 | 20:29

Kommentar #11 von mymanfriday:

bemerkenswert, dass herr pastor dem elfenbeinturm mangelnde praxisnähe ankreidet und dabei dem elefenbeinturm eine konnotation zuspricht, die aus der exegetischen praxis stammt, die den so schönen frauenhals zum stillen kämmerlein verheddert, und gegen die sich seine zunft – als pastor wird er wohl nicht katholisch sein – gerade so vehement und ursprünglich wehrt. gleiches recht für alle und ein bandaid auf die blinden flecken der eigenen praxis und auf die der wissenschaft!

08.10.2008 | 11:52

Kommentar #12 von irgendwem:

Das Problem von der realen auf eine rein diskursive Ebene zu verschieben ist ein so billiges wie amüsantes Witzchen, mehr nicht.

08.10.2008 | 18:18

Kommentar #13 von mymanfriday:

als wäre diskursives nicht real und wissenschaft nicht diskrusiv.

08.10.2008 | 18:54

Kommentar #14 von immermittwochabends:

Und was ist so schlecht an billigen, amüsanten Witzen? Raab verdient sein Geld mit billigen, meistens nicht mal amüsanten Witzen. Was wollen Sie also?

08.10.2008 | 21:08

Kommentar #15 von tomorrow, tomorrow and tomorrow:

Und wie ist das mit dem dem Kartoffelkönig? Entsteht der aus alten Lumpen? Kartoffeln haben doch keine Schwänze,oder doch? Ach, all diese ungelösten Rätsel...

10.10.2008 | 14:18

Kommentar #16 von Gemüsemonarchist:

Ignorant! Kartoffeln haben keinen König, die sind streng basisdemokratisch. Da gibt es nur unhierarchischen Filz in Form von Kartoffelpuffern

14.10.2008 | 22:00

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