Riesenmaschine

15.03.2007 | 22:25 | Supertiere

Kleine Tiere in der grossen Stadt


(Foto: mit freundlicher Genehmigung
von Tékozló Homár)
Bekannt ist, dass noch vor 80 Jahren die Amsel z.B. sich noch scheu im ruralen Dickicht verbarg, jetzt hingegen aus dem urbanen Bild nicht mehr wegzudenken ist. Es gibt in der Stadt wesentlich mehr Tierarten als auf dem Lande, wo mittlerweile quadratkilometergrosse, von Spritzmitteln verseuchte Monokulturen nur wenigen Arten geeignete Lebensbedingungen bieten. In München etwa leben fünf bis sechs Mal mehr Schmetterlingsarten als auf dem Land, wie der Biologe Prof. Josef Reichholf herausfand. Vor allem Vögel und Insekten scheinen die Stadt als Lebensraum ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Aber auch die Guppys. Interessant auch in dem Zusammenhang, welcher Kulturfolger welchem anderen folgt, noch sind die Müllhalden fest in der Hand der Möwen, sollten die aber attraktivere Futterplätze finden, könnten ihnen beispielsweise die Amseln folgen. Budapest scheint momentan einen interessanten evolutionären Schritt weiter. Wie die ungarische Riesenmaschine Homar berichtete, kaufen in den dortigen Supermärkten nicht nur Mäuse und Katzen ein, sondern auch Spatzen. Nur Elmshorn ist noch weiter, sie haben bereits die Zeichen der Zeit erkannt und in der Strassestrasse einen Supermarkt für Tiere eröffnet. Indem Tiere die Menschen ersetzen, werden wir über den Rückgang zur Natur uns unserer "Denaturierung" erst richtig bewusst, wie Claude Lévi Strauss (wird nächstes Jahr 100) schrieb. Über die Müllkippen wandern wir dann demnächst wieder zurück in die Wälder.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Knülle Vögel

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


15.03.2007 | 11:37 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Lichtbeweis


Mit dieser Beleuchtung in einem Kernspintomografen hantieren: höchstes epistemologisches Glück. (Foto: Reelight)
Induktion ist toll. Epistemologisch ist sie ein unbelegbarer Glaubenssprung – warum sollte die Sonne morgen aufgehen, nur weil sie's bislang jeden Tag getan hat? –, der unser Weltbild und alle Technologie stützt, elektromechanisch ist sie die Erzeugung von Strömen durch sich wandelnde Magnetfelder – damit kann man zum Beispiel kochen wie im Raumschiff, aber wer schon mal mit einem Kupferring in einem Kernspintomographen hantiert hat, kann darüber nur müde lächeln – und in der Mathematik ist sie als vollständige Induktion eine fabelhafte Schlussmethode, mit der man die dollsten Sachen beweisen kann. Die Induktionsfahrradbeleuchtung von Reelight, die die lästigen Dynamogeräusche und die lästige Dynamoreibung abschafft, und ausserdem nach Angaben des Herstellers das Kunststück vollbringt, Fahrradfahrer sich um mehr als das Doppelte (85%) sicherer fühlen zu lassen, als sie tatsächlich sind (40%), vereint alle diese Induktionsarten aufs Trefflichste: Wenn das Licht beim ersten Vorbeirotieren des Magneten leuchtet (Induktionsanfang), und wenn es jedesmal leuchtet, wenn es bei der vorigen Umdrehung geleuchtet hat (Induktionsannahme), dann leuchtet es also immer (Induktionsschluss), ganz ohne Batterien, und zwar wegen des Magneten (Elektromagnetismus) aber letztlich doch auch wieder komplett unbeweisbar (Epistemologie). Und wenn dann morgen die Sonne nicht aufgeht, kann uns als Bonus trotzdem nichts mehr passieren, weil wir haben dann ja Licht. Es sei denn, jemand klaut das Fahrrad (15%).


14.03.2007 | 23:21 | Alles wird schlechter | Was fehlt | Sachen kaufen

Taschenbügeldramen


In dieser Form nicht tragbar (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Gesamtsituation in Russland ist durchaus besorgniserregend, aber sprechen wir von den Problemen, die uns um die Schulter hängen, sprechen wir vom Schweigekartell rund um das allgegenwärtig gesellschaftliche Taschenbügeldrama. Und schlagen wir ruhig einen weiten Bogen: Unternehmen beherrschen heute die Welt. Das ist gar nicht so schlimm, wie man zunächst denken sollte, viel schlechter als Staaten früher können sie sich vermutlich nicht anstellen. Unternehmen glänzen wie ihre Vorgänger nicht gerade durch übergrosse Zuhörfähigkeit ihren Untertanen (sog. Kunden) gegenüber, im Gegenteil tun sie alles, um möglichst kompliziert erreichbar zu sein. Dass es trotzdem Marktforschung gibt – also Kundenanalyse über Bande gespielt –, anstatt einfach nachzufragen, was toll ist und was nicht, hängt damit zusammen, dass zwei plus zwei noch vierer ist, wenn ein Experte es sagt.

Deshalb gilt an dieser Stelle das Sprichwort "Fragen kostet nichts" eben nicht, Marktforschung ist eine teuere Angelegenheit und so wird nur in Bereichen überhaupt nachgefragt, wo es sich zu lohnen scheint und wo man Produktunzulänglichkeiten vermutet. Oft sind diese Fehler aber ganz woanders, und so verwundert es nicht, dass die Taschenindustrie bislang mit Sicherheit viele Shrillionen ausgab, um die Modefarben und -materialien der neuen Saison herauszufinden, aber sich noch niemand des Taschenbügeldramas annahm; denn diese Halterungen, die eigentlich lotrecht zur Zugrichtung zwischen Haltegurt und Tasche sitzen sollten, verdrehen sich noch stets um 90°, klemmen dann längs und lassen sich nie wieder für länger als 30 Sekunden richtig positionieren. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Wie in Russland.


14.03.2007 | 11:43 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Blukoli


Kohl und koli (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es ist gar nicht mehr so leicht, irgendetwas ohne Mehrwert drin zu kaufen. Früher, also dasjenige Früher, als nur die Älteren von uns geboren waren, konnte man noch den schieren, blossen Apfel erwerben, der nicht mehr als gepflückt und transportiert worden war, heute vernachlässigbare, kaum mehr wahrgenommene Mehrwerte. Heute besteht die Konsumgesellschaft aus einer riesigen, unablässig von allen verfolgten Show "Pimp my Product", und der schönste, weil zykluserhaltende Mehrwert ist das Neue. Gerade auch in der Lebensmittelindustrie müssen ständig Neuigkeiten her, sie gehören zu den sogenannten Fast Moving Consumer Goods, mit hoher Drehzahl und damit hohem Gewöhnungseffekt.

Für kurze Zeit schien die Genmanipulation der schillernde Ausweg aus dieser Falle – leider wurde dieses in alle möglichen Richtungen dehnbare Feature mit nur mittlerer Begeisterung beim Verbraucher aufgenommen. Weil sich nun Gemüse noch nicht mit ein donnernden Gigahertzcrescendo verkaufen lässt, hat man im Extra-Markt zu einem ebenso sympathischen wie althergebrachten Werbertrick gegriffen: Wer nichts Neues zu verkaufen hat, kombiniere Altes und benenne es neu. So kommt eine Packung zu Stande, die die vielen hundert Jahre alten Kulturgemüse Blumenkohl und Brokkoli enthält, aber glitzy neuneuneu als Blukoli daherstolziert. Vom Extra-Markt lernen heisst sienen.


14.03.2007 | 01:59 | Fakten und Figuren

Pi-Tag


Foto: 76074333@N00 / Lizenz
Wenn man sich so umschaut, hat man zunächst den Eindruck, dass sich jemand bei der Einrichtung und Programmierung der Welt ganz vernünftige Gedanken gemacht hat: Dinge fallen im Allgemeinen in eine vorhersehbare Richtung (wenn auch nicht immer zum optimalen Zeitpunkt), die Abstände zwischen Tag und Nacht sind zumindest grob deckungsgleich mit unseren Schlafphasen, die wenigsten Dinge sind giftig, es gibt viele niedliche Tiere und ab und zu fällt Schnee, aber halt nicht zu oft.

Doch bei genauerem Hinschauen tun sich Lücken auf: Lebewesen sind zum Beispiel gar nicht dauerhaft niedlich, sondern oft nur als Jungtiere (es gibt Ausnahmen im Nagetierbereich, aber mal so im Allgemeinen). Schönheit ist häufig eine ziemlich oberflächliche Sache (Supermodels zum Beispiel, von aussen: top, aber innen ist alles rosa und schleimig). Und viele Naturkonstanten sind total unhandlich und schwer zu merken, wie z.B. die Eulersche Zahl (2,718281828459usw.) oder Pi (3,14159265358979etc.).

Nun ist heute wie jedes Jahr Pi-Tag (14. März wegen der amerikanischen Datumsschreibweise 3/14, der Höhepunkt des Pi-Tages ist um 1:59 erreicht) – ein guter Tag, um Abhilfe zu schaffen und für Pi endlich ein leichter merkbares Format zu finden, zum Beispiel 3,2 oder 77 (gute Ansätze gab es schon mal vor 110 Jahren in Indiana, wo Pi per Gesetz auf 3 festgelegt wurde). Weitere mögliche Aktivitäten entnehmen wir dem englischen Wikipedia-Beitrag zum Thema: "eat pie, play piñata, drink Piña Colada, eat pizza, listen to the song 'Pi' by Kate Bush, watch Pi, or recite Pi". Noch besser wäre es natürlich, wenn man endlich mal von dem Gedanken runterkommt, dass Kreise eine praktische geometrische Form sind, und sie stattdessen im Alltag konsequent durch gleichseitige Sechsecke ersetzen würde. Da ist der Umfang immer der sechsfache Radius, so geht's doch auch.


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