18.11.2005 | 06:51 | Nachtleuchtendes | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Oft fragt man sich, warum Gott es uns Weltverstehern so schwer macht; er könnte doch einfach sagen, wie alles so funktioniert. Wie sich jetzt herausstellt, gibt es jedoch ein paar Probleme zwischen Himmel und Erde. Aber der Reihe nach: Von der Weltöffentlichkeit unbemerkt behaupteten vor einigen Wochen die Herren Hsu und Zee, angestellt bei amerikanischen Universitäten, dass der Schöpfer wahrscheinlich am ehesten über die kosmische Hintergrundstrahlung (siehe Bild) mit uns redet, und zwar behaupten sie das nicht in einem obskuren Esoterikmagazin, sondern auf dem offiziellen weltweiten Preprintserver für Physik. Vorteil: Die Nachricht könne, so Hsu und Zee, von jedem im Universum gelesen werden – die Hintergrundstrahlung sei "a giant billboard in the sky", und damit anderen Medien, z.B. dem menschlichen Genom, Felsstrukturen im Grand Canyon oder der Zahl Pi, klar überlegen. Ein, naja, recht interessanter Gedanke.
Der aber, so schreiben heute die Physiker Scott und Zibin von der University of British Columbia in Vancouver, völliger Blödsinn ist. Denn es ist so, dass die Hintergrundstrahlung keinesfalls für jeden gleich aussieht, sondern, wie jede ordentliche Litfasssäule auch, je nach Standort des Beobachters etwas anderes anzeigt. So ist dieses Strahlungsbild da oben zwar hochinteressant, aber was Nachrichten von Gott angeht vermutlich genauso vielsagend wie ein Teller Spaghetti. Scott & Zibin schliessen, und wir folgen ihnen, weil wir kanadischen Unis prinzipiell trauen: "We would imagine that any creator would operate with more subtlety than running advertisements on billboards."
Was alle genannten Herren übersehen haben: Gott, genaugenommen J. Richard Gott III von der Universität Princeton, redet schon lange mit uns, und zwar über genau diesen Preprintserver, auf dem auch die obenzitierten Publikationen erschienen sind. Für jeden nachlesbar: Gott gibt uns eine Karte des Universums, er erklärt, wie man in Schwarzen Löchern überlebt, und zeigt am Ende selbstlos, dass das Universum unter Umständen auch ganz ohne Schöpfer auskommt. Zugegeben, an der Allgemeinverständlichkeit der Offenbarung könnte man noch feilen, aber es ist ein Anfang.
17.11.2005 | 05:54 | Anderswo | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Geschichtsunterricht ist selten interessant, was unter anderem daran liegt, dass man ausschliesslich Zahlen und Namen lernt, und nichts über wirklich wichtige Dinge erfährt, also Mundhygiene, Tischmanieren oder Verhütungsmethoden. Zum Glück können die Kinder heutzutage in der Riesenmaschine nachlesen, wie vor tausend Jahren in Peru gesoffen wurde, nämlich hart und kompromisslos. Wie Scientific American berichtet, lebte das Volk der Wari 400 Jahre lang auf einem 3000 Meter hohen, abgelegenen Tafelberg. Ein denkbar unwohnlicher Ort, kein Wasser, keine Verpflegung, gar nichts. Kein Wunder, dass sie sich eingehend mit Rauschgetränken befassten, und in einer ziemlich gewaltigen Brauerei irgendeine Art Maisbier in grossen Mengen herstellten. Zuständig dafür waren die Edelfrauen des Volkes, was überall als Zeichen des hohen Ansehens der Frauen interpretiert wird. Uns kommt es eher so vor, als käme damit das hohe Ansehen des Maisbieres zum Ausdruck.
Aber wie auch immer. Nach einem rituellen Besäufnis, bei dem parallel zur Maisbiervernichtung Hirsche und Lamas gegessen sowie Zwergeulen geopfert wurden, zertrümmern die Wari im allgemeinen Rauschzustand das gesamte Inventar, stecken die Siedlung samt Brauerei in Brand und ziehen sich unerkannt irgendwo in den Dschungel zurück. Man muss neidlos anerkennen, dass diese Peruaner offenbar grosse Meister des destruktiven Alkoholkonsums waren. Es wird schwer sein, diese Vorlage bei der Release Party der Riesenmaschine zu übertreffen. (im Bild: eine Art Vorgeschmack)
15.11.2005 | 09:17 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Aus dem immer sehr nützlichen Informationsbulletin Dose, erhältlich an allen guten kanadischen Kreuzungen, erfahren wir vom spektakulären neuen Buch von Prof. Bruce Lawrence: "Messages to the World: The Statements of Osama bin Laden" enthält nämlich alle Statements von Osama bin Laden, und, das ist das Besondere, zum ersten Mal in sauberem Englisch. Schnell wird klar, so Lawrence sinngemäss, dass OBL, wie ihn Freund und Feind nennen, historisch und literarisch verblüffend gebildet daherredet, und zudem auch noch Kasuistik, Metonymien, Albernheiten und lyrische Strukturen beherrscht, was man bei Terroristen ja eher selten findet. OBL hat nicht nur ein einwandfreies Alibi für fast alle grossen Verbrechen (Prager Fenstersturz, Vergiftung Cäsars, Erfindung der Stechmücke), sondern ist auch "one of the best prose writers in Arabic", so Lawrence jedenfalls. Zieht man jetzt noch in Betracht, dass OBLs wichtigster Gegenspieler, Donald H. Rumsfeld, in Insiderkreisen schon länger als herausragender zeitgenössischer Lyriker verehrt wird, so ergibt sich ein völlig neues Bild der Weltlage. Irak, Afghanistan, 9/11, war das alles nur ein grausames Missverständnis? Ist der "Clash of Civilisations" in Wahrheit nur ein Gedichtewettstreit, ein interkontinentales Wettlesen, ja, der weltgrösste Poetry-Slam? Wir jedenfalls wissen es nicht. Zum Abschluss noch Lyrik: zunächst ein klassischer Fünfzeiler aus der grossen arabischen Masochistentradition, dann ein Meisterwerk des Neuen Amerikanischen Nihilismus.
Let me be a martyr / dwelling in a high mountain pass / among a band of knights who / united in devotion to God / descend to face armies.
Once in a while / I'm standing here, doing something. / And I think, / "What in the world am I doing here?" / It's a big surprise.
13.11.2005 | 11:15 | Anderswo
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Auf einer Liste der seltsamsten Länder läge Chile ganz sicher sehr weit vorn. Es ist nicht nur das längste Land der Welt, sondern auch der einzige Gegenstand im Universum, der zehnmal so lang wie breit ist. Es hat die trockenste Wüste (Atacama), den höchsten Vulkan* und besitzt zudem die Osterinseln und das Eiland, auf dem angeblich Robinson Crusoe strandete. Eigentlich schon Grund genug, um in helle Begeisterung auszubrechen, aber zudem leistet sich das Land auch noch ein verkehrtes Politiksystem. Vermutlich wurde hier 1970 zum ersten und letzten Mal ein Marxist ordnungsgemäss und demokratisch zum Präsidenten gewählt. Tyrann Pinochet andererseits, der seltsamerweise 1973 einen Putsch zur Machtergreifung brauchte, wurde man 1988 wieder los, indem man einfach eine Volksbefragung durchführte, ein genialer Trick, über den man anderswo mal nachdenken sollte. Nun ist Chile keinesfalls besonders fortschrittlich oder modern, sondern nur durcheinander: Zum einen verfügt das Land über die höchste Dichte an Internetcafes nördlich der Antarktis, zum anderen verbietet es so exotische Dinge wie Ehescheidungen (jedenfalls bis 2004). Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Dezember 2005 scheint es nicht besser zu werden, denn im männerdominierten und streng katholischen Chile führt eine alleinstehende Frau mit unehelichen Kindern, Michelle Bachelet, alle Umfragen an. Keiner weiss, was das zu bedeuten hat.
Vermutlich ist es nur eine Reaktion auf die konsequente und offensichtliche Konfusion des Landes, wenn im Vorfeld der Wahl niemand die Bevölkerung mit politischen Inhalten konfrontiert. Das Land erstickt zwar im Verkehrschaos, weil die Strassen mit Wahlplakaten vollgestellt sind, aber sie zeigen lediglich die Gesichter der Kandidaten, dazu ihre Namen ("Lavin", "Hirsch") und vielleicht noch "Presidente", damit man nicht ganz ahnungslos im Gesichtermeer steht. Zudem findet man die Namen an Häusern, Felsen, Schneefeldern, Denkmälern usw., obwohl Graffiti in Chile selbstverständlich komplett verboten sind. Die Riesenmaschine wird die absurde Lage weiterhin beobachten und aus irgendeinem Anlass berichten. Im Bild übrigens eine oberhessische Seenlandschaft mit Vulkan Fujiyama im Süden Chiles.
* Ojos del Salado, 6930 Meter. Andere hingegen behaupten, der Kilimandscharo (5895 Meter), der Mauna Kea (Hawaii, 4205 Meter), der Chimborazo (6310 Meter) oder gar der berühmte Llullay-Yacu (Argentinien, 6920 Meter) wären noch höher.
10.11.2005 | 23:18 | Anderswo
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Normalerweise lassen wir uns ja keine Charity-Veranstaltung entgehen; wir klettern für Pandabären auf den CN Tower, wandern für Amyotrophe Lateralsklerose, ziehen uns für die Krebsforschung aus, laufen rückwärts gegen Brustkrebs oder denken uns was ganz anderes Bescheuertes aus. Es gibt einfach sonst kaum Events, die soviel Freundlichkeit und Gemeinsinn ausstrahlen, dass man fast kostenlos den Welthass in neue, bizarre, nie für möglich gehaltene Bahnen lenken kann. Plötzlich hasst man auch Behinderte und kleine niedliche Felltiere, bestimmt irgendein wichtiges soziologisches Phänomen, das für die Weiterentwicklung der Menschheit von grosser Bedeutung ist. Aber gestern ist uns dann doch eine neue Dimension in der Charity-Saga entgangen, denn im Boat-Club in Toronto wurde, um Geld für das Rote Kreuz zu sammeln, sechs Stunden lang "Ace of Spades" von Motörhead gespielt, ohne Pause, keine Coverversionen, 768mal "Ace of Spades" in Folge. Wir vermuten, dass man hinterher zum erbitterten Heavy-Metal-Kritiker wird, vielleicht wird man endlich mal die alten Black-Sabbath-Platten rückwärts abspielen, und "Headless Cross" für das halten, was es ist, nämlich ein zutiefst unchristliches, seelenfeindliches Werk, aber belegen können wir das leider nicht.
... 64 65 66 67 68 [69] 70 71 72 73 74 ...
|
IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- mit geschlossenen Augen durch die Waschstraße
- Wahrheit und Schönheit, ganz ohne Ironie
- Keramik aus Bunzlau
- Renaissance von "cool"
SO NICHT:
- Heilbutt grüssen
- ein Bett aus Dörrobst
- Tripelmoral
- Bunkerblues
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Breakfast on Pluto", Neil Jordan (2005)
Plus: 60 Minus: 18, 41, 66, 77, 99, 102, 103, 104, 105 Gesamt: -8 Punkte
KATEGORIEN
ARCHIV
|
|