Riesenmaschine

22.06.2006 | 17:58 | Vermutungen über die Welt

Sa, 9:30: Überschrift überlegen


Wo sind die Zylonen, wenn man sie braucht? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Störung Prokrastination ist putzigerweise so eine Art Statusmerkmal unter Bohemienanwärtern geworden. Man überböte sich gegenseitig im Sachen nicht gebacken kriegen und bewiese irgendwas damit, könnte man sich nur aufraffen. Unabhängig vom stattlich dicken Prestige, das dabei abfällt, ist Prokrastination aber auch lästig, weil man ja nichts gebacken kriegt. Abhilfe schafft die einleuchtende Methode der Mikroschritte, wie von der ansonsten ziemlich grässlichen Inspirationshölle SARK vorgeschlagen: statt gleich das ganze Ausmisten des Schranks in den Terminkalender zu schreiben, plant man für Donnerstagmorgen das Öffnen der Tür, und für Freitag nachmittag, ein paar Schuhe anzusehen. Winzige Schritte und Terminvorgaben helfen SARK zufolge übers Prokrasitinieren hinweg. Die Suche nach einer neuen Prestigekrankheit beginnt man dann am Besten mit dem Starten des Browsers, Montagnachmittag um vier.


21.06.2006 | 23:35 | Alles wird besser

Endlich: Die Fick-Dich-selber-Orchidee


The anther cap opens, the stipe carries two pollinia and rises up from the clinandrium, then curves downwards to cross the rostellum; the stipe next curves up towards the stigma and inserts the pollinia into the stigma cavity. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Menschen, die es gern mit Blumen sagen, haben es nicht ganz leicht. Die meisten Gewächse, die man so kaufen kann, sind positiv konnotiert, was die Anzahl der möglichen Sätze deutlich beschränkt.

Zwar sind ein paar der minderen Kräuter, wie Tulpen oder Zwiebelblüten durchaus mit milde Nörgligem belegt, aber auf einen Blumenstrauss, der sagt "Nie rufst Du an, fick Dich doch selbst", hofften Freunde floralen Ausdrucks bislang vergebens. Man kann die Armut der Blumensprache übrigens auch daran erkennen, dass der Inhalt dieses harmlosen kleinen Beitrags hier sich in ihr nur schwer ausdrücken liesse.

Womöglich sogar gar nicht. Aber Hilfe naht. In der chinesischen Wüste wurde, wie das Orchideenzüchterfachblatt Nature in seiner morgigen Ausgabe berichtet, jetzt eine Orchidee gefunden, die sich ausschliesslich selbst fickt, indem sie sich Blüte für Blüte einen Staubbeutel direkt in den eigenen Stempel wachsen lässt. Jetzt fehlt nur noch eine Gärtnerei, die die neue schöne Vokabel interessierten Straussdichtern verfügbar macht, und wieder ist die Welt ein klein wenig benutzbarer.


20.06.2006 | 11:09 | Nachtleuchtendes

Brathirn, selbstgemacht


Nachmachen, Kinder!
(Foto: 44165698@N00 / Lizenz)
Fruchtbar und furchtbar trennt nicht viel, das wissen von zum Beispiel Karnickeln und Kröten überrannte Inselstaaten und Kleinkontinente recht gut. Auch in der Hirnforschung ist das so, wo seit hunderten von Jahren interessante Aufschlüsse gewonnen werden, wenn im Kopf was kaputtgeht. Der berühmteste Fall war wohl Phineas Gage, dem beim Steinesprengen eine Stahlstange durch die Stirn getrieben wurde, und der mit anschliessenden Verhaltensänderungen dokumentiert, wozu das Stirnhirn möglicherweise gebraucht wird. Das war 1848, und bis heute gehen grundlegende Theorieveränderungen oft auf einzelne Kopfdefekte zurück. Die Neuordnung der Sehrinde in einen aktions- und einen wahrnehmungsorientierten Verarbeitungsstrom zum Beispiel wurde von Milner und Goodale vor zwanzig Jahren zunächst mit den sonderbaren Effekten in einem Einzelfall von Kohlenmonoxidvergiftung begründet.

Der grosse Nutzwert lokaler Defekte hat natürlich auch dazu geführt, dass Tieren, besonders Affen, in sogenannten Läsionsstudien oft chemisch oder elektrisch Hirnzellen lahmgelegt oder gleich ganz zerschossen, und die folgenden Verhaltensstörungen akribisch protokolliert werden. Eine durchaus frurchtbare Forschungsmethode. Seit den späten achtziger Jahren kann man dergleichen auch am Menschen ausprobieren. Bei der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) werden starke Magnetfeldpulse direkt an der Kopfhaut erzeugt, was bei entsprechender Eichung der Felder Hirnareale entweder aktiviert oder für eine gewisse Zeit lahmlegt. Wie das funktioniert, weiss zwar niemand so genau, aber verwendet wird es fleissig. Das gleiche gilt übrigens für die Kopfspinne Orgasmotron, die von der Wissenschaft bislang eigenartigerweise gemieden wird. Ein Tabu?

Noch ein bisschen weniger verstanden als starke TMS sind die Effekte extrem schwacher Magnetfelder, wie sie zum Beispiel Michael Persinger verwendet, um bei seinen Versuchspersonen das Gefühl übernatürlicher Präsenz zu erzeugen. Seine Forschung dazu hat Persinger reichlich Kritik religiöser Gruppen eingetragen. Die von ihm zu Gottbeschwörung und Religiösentriezen verwendeten Geräte liessen sich verhältnismässig leicht zuhause nachbauen, weswegen eine Bande von Geeks bei Sourceforge jetzt auch das openTMS-Projekt gegründet hat. Zwar hat bislang noch niemand behauptet, dass es für solche Hirnbratanlagen nur einen weltweiten Bedarf von fünf Stück geben wird, aber weil das berühmte PC-Zitat von IBM Chef Watson vermutlich auch nie gesagt wurde, haben wir in zwanzig Jahren wohl alle so ein Ding im Wohnzimmer stehen. Wenn es dann noch Wohnzimmer gibt.


16.06.2006 | 02:16 | Vermutungen über die Welt

Rückwärts, marsch!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es gab eine Zeit, da hielt der Mensch seine Rationalität, die er fein von den bloss biologischen Trieben zu unterscheiden wusste, für eine Superkraft, die ihn heraushebe aus dem Gesocks, Gekriech und Geflieg in seine eigene kleine Gerechtigkeitsliga. Der abstrakte Gedanke, so dieser abstrakte Gedanke, komme nicht durch Gekröse und Sacksuppe in die Welt, sondern durch den Geist, und sei also ganz besonders dufte und werweiss sogar von höchster Stelle geplant. Mittlerweile freilich ist diese Ansicht unpopulär, und der menschliche Verstand im verbreitetsten Modell eine Ansammlung von Modulen, die mit ihrer biologischen Bedingtheit das Denkbare beschränken und den Geist an den Matsch ketten. Das ist natürlich dem Romantiker ein Dorn im Auge, und so wird jeder winzige Beleg einer Restwürde gierig kolportiert.

Neuester Anlass zur Freude ist die Meldung zweier Sprachforscher aus den chilenischen Anden, wo die einheimischen Aymara die Zukunft hinten und die Vergangenheit vorne verorten. Das äussert sich sowohl in der Wortwahl als auch in ihren Gesten, und ist natürlich ein hübsches Kuriosum, das auch zu schönen Folgefragen einlädt. "Ist dann Sehen dasselbe wie sich Erinnern und die Welt ein externes visuelles Gedächtnis?", "Fahren Aymara dann also lieber rückwärts im Zug?" und "Kommt es bei den Aymara also drauf an, was vorne rauskommt?" sind nur drei davon. Wer die Meldung aber wie ihre Autoren als Nachweis verstehen möchte, dass der Geist über der Materie stehe, weil "bei derselben Neuroanatomie und Neurotransmittern wir hier eine Grundvorstellung haben, die komplett anders ist", macht im Verständnis der ganzen Kopfchose einen gewaltigen Schritt nach vorn. Also zurück.


15.06.2006 | 09:50 | Nachtleuchtendes | Alles wird schlechter

Im Winter ist es nachts wärmer als ohne Flugzeug


Kondensstreifen entstehen, wenn sich Wolken und Linien paaren
Die Welt wäre zweifellos übersichtlicher, hätten Dinge nicht die Eigenschaft, unerwartet ganz andere Dinge zu verursachen, Dingfortpflanzung. Beim Schmetterlingseffekt zum Beispiel führt das von einem in China umfallenden Sack Reis ausgelöste kühle Windchen zu Schnupfen bei einem Schmetterling in Amerika, der Schnupfen überspringt alle gesellschaftlichen Barrieren und Artenschranken, und ZACK! gibt's in Europa Schmetterlingsgrippepanik und Hamsterkäufe. Legt die Panik sich dann wieder, werden die Hamster an Autobahnraststätten ausgesetzt, es ist ein grosses humanitäres Elend, und alles wegen eines Sacks Reis.

Das ist natürlich alles Unfug, weil es für den Zusammenhang zwischen kaltem Luftzug und Schnupfen nach wie vor keinerlei Beweise gibt, aber es war ja auch nur ein Beispiel für unerwartete Kausalitäten. Hier ist ein anderes: Die manchmal von Flugzeugen verursachten Kondensstreifen reflektieren langwellige Wärmestrahlung zurück auf unser schmelzendes Walfischeis, gleichzeitig aber auch grade erst eintreffende Sonnenstrahlen zurück in den Weltraum. In der Bilanz wird es auf unserem Walfischeis ein bisschen wärmer dabei. Weil nun aber nachts die Sonne nicht scheint, und im Winter die Wahrscheinlichkeit von Kondensstreifen besonders hoch ist, haben Wissenschaftler sich jetzt in der Mittagspause überlegt, dass Nachtflüge im Winter besonders schlecht fürs Klima sind. Obwohl, so unerwartet ist die Kausalität ja gar nicht, hätte man sich eigentlich denken können. Warum kommen wir nie auf sowas?


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