Riesenmaschine

05.05.2007 | 15:11 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Graffitiordnung


Die Graffitiordnung im Einsatz

Von den Fenstern abgesehen: alles 2D! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während in Berlin die Neue Höflichkeit gerade im Scheitern begriffen ist, ist Zürich bereits einen Schritt weiter. Der Schritt äussert sich in einem mobilen orangen Einsatzkommando mit der Aufschrift 'Graffitiordnung'. Die Graffitiordnung verfolgt die Strategie, an falschen Orten angebrachte Beschriftungen und Bilder schnellstmöglich zu übermalen, so dass ihre pubertierende Urheberschaft keine Zeit findet, sich vor ihren pickeligen Freunden zu brüsten.
Interessanterweise haben die drei Zürcher Graffitiordner bereits ihrerseits unterschiedliche Malstile entwickelt – einer zum Beispiel übermalt immer nur in Rechtecken und nimmt jedesmal einen leicht anderen Farbton, so dass mit der Zeit pastellfarbige Mondriane die Zürcher Unterführungen schmücken. Ein anderer übermalt knapp und in organischen Formen, wieder ein anderer in wild gezackten Figuren. Allen gemein ist, dass sie nie ganz den Farbton der darunterliegenden Hauswand treffen.
Diesen Umstand macht sich ein aufmüpfiger, wenn auch diskreter Tagger zunutze. Er verwandelt die Übermalungen der Graffitiordnung mit einem einzigen Strich seines fetten Edding in eine perfekte optische Täuschung, indem er ihnen einen Schatten hinzumalt. So feinfühlig kann also Auflehnung gegen Kapitalismus, Staat, Elternhaus, schlimme Kindheit und die Abwesenheit von Geschlechtsverkehr sein.


23.04.2007 | 01:05 | Alles wird besser | Sachen anziehen | Zeichen und Wunder

Die Kunst der Einen und die der Anderen


"Die Erkundigungen des Künstlers bieten keine fertigen Lösungen, schon gar keine unmittelbar nachvollziehbaren Interpretationen. Es scheint so, als wolle der Künstler mit seinen freien Assoziationen Schicht für Schicht abtragen, um hinter das Rätsel der Bilder zu kommen." (Wikipedia)
Bild: Rüdiger Wölk, Lizenz

Die Erkundigung dieses Künstlers hingegen bietet fertige Lösungen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Samstag sassen wieder Millionen Fussballfans vor den Fernsehgeräten und rund 65.000 im Olympiastadion in Berlin und wunderten sich über das Ausrufezeichen, das die Trikots der Dortmunder schmückt. Wer im Internet nach einer Erklärung sucht, wird sicher leicht fündig. Erst wenn man sich aber fragt, wer denn die Gestaltung dieses Ausrufezeichens, dessen Punkt aussieht, als hätte Niki de Saint-Phalle auf LSD ein Spinnennetz zu zeichnen versucht, zu verantworten hat, wird man auf Otmar Alt stossen und sich wundern. Selbst wer dem schmierigsten aller Wikipediabeiträge misstraut und vermutet, dass dieser weitgehend vom Portraitierten selbst verfasst wurde ("Im Jahre 1956 beginnt Otmar Alt eine Lehre als Schaufenstergestalter und Plakatmaler. Die Gesellenprüfung im Jahre 1958 besteht er hervorragend und wird sogar mit einem Preis ausgezeichnet. In dem jungen Mann entwickelt sich der Wunsch, Modezeichner zu werden."), wird anhand von satten 84.800 Googletreffern mit Erstaunen feststellen, dass Otmar Alt offenbar in grossen Teilen der deutschen Bevölkerung für einen richtigen, ernsthaften Künstler gehalten wird.

Wir wissen nicht, was das für Menschen sind, wir kennen sie nicht. Vermuten kann man aber, dass es solche sind, die das, was auf der anderen Seite des Elfenbeinturms passiert ('Knut', ZIA, 2007), zwar möglicherweise 'süss' finden, jedoch kaum als Kunst bezeichnen würden. An der immer grösseren Kluft und dem grossen Befremden auf beiden Seiten droht die Gesellschaft zu zerbrechen – zum Glück gibt es kaum Kontakte zwischen den beiden Gesellschaftsteilen, allenfalls an einem Würstchenstand in Münster und eben beim Fussballschauen, das ist gerade noch zu verkraften.

Überhaupt ist das Ganze keine neue Entwicklung. Das Erscheinungsjahr des Buchs zum Phänomen (Hans Sedlmayer, 'Verlust der Mitte', 1948) legt nahe, dass das alles schon immer so war und gar nicht so schlimm ist. Ausserdem naht jetzt möglicherweise die Aufhebung der Kluft zwischen feuilletongestählter Intelligenzia und dem Lager der Liebhaber des "vordergründig meist heiter verspielt" (Wikipedia) wirkenden Werkes Alts und zwar aus dem Lager der manipulierten Photographie. Wir erwähnten bereits die auf der Art Cologne vorgestellten Rekonstruktionen romantischer Landschaften. Und auch vor den collagierten Landschaftsbildern Andreas Gurskys (Ausstellung im Haus der Kunst, München, noch bis 13. Mai) konnten wir erfreulich einheitliche Reaktionen quer durch alle Bevölkerungsteile feststellen: "Sind die gross! Geil", meinten die einen, "Sind die geil. Gross!" die anderen. Ob der BVB nächste Saison vielleicht einfach mit einem Gursky auf der Brust auflaufen sollte?


08.04.2007 | 10:59 | Alles wird besser | Essen und Essenzielles

Speichermedien zu Bierbrauereien


So schön kann Bierbrauen sein; Bild: Fluxxion
Es gibt in der modernen Warenwelt kaum Traurigeres als Technologien und Standards, die mit grossem Aufwand entwickelt werden, sich auf dem Markt nicht durchsetzen können und dann von herzlosen Managern ohne Standing vom Markt genommen werden. Die entsprechenden Entwicklungsabteilungen werden aufgelöst, Produktion und Support eingestellt und die übrig gebliebenen Patente werden in die Sklaverei verkauft – und dann haben sie noch Glück gehabt. Allenfalls wird ihnen in Nerdforen ein virtueller Friedhof gebaut. Das vielleicht aktuellste Beispiel dieser oft verdrängten Schattenseite des Kapitalismus ist PPD, ein Ableger der BD, einem Medium, das sich gegenwärtig noch mit HD-DVD und HD-VMD einen brutalen Kampf um Leben und Verschwinden liefert. Verdrängt wurde PPD übrigens von UDO, was die Vermutung nahe legt, dass weniger technologische Überlegenheit als viel mehr eine eingängige Namensgebung über das Schicksal eines digitalen Standards entscheiden könnte.

Rechtzeitig zu Ostern erreicht uns nun die Nachricht der Auferstehung von DCC (*1992, +1996), einem digitalen Speichermedium, das von Philips einst als Nachfolger der Musikkassette entwickelt wurde. Peter Sygall, der Vater von DCC, verliess Philips nach dem Tod von DCC und gründete Fluxxion. DCC wird jetzt zum Bierbrauen eingesetzt – Siliziumplatten mit Milliarden von kleinen Löchern filtern dabei die Überreste der Hefe und sogar Bakterien aus dem Bier. Dabei wird DCC nun in den nächsten Jahren das bedauernswerte Kieselgur verdrängen, ein Material, das einst schon bei der Dynamitherstellung von Kollodiumwolle verdrängt wurde. DCC ist nämlich viel leichter und benutzerfreundlicher als Infusorienerde und ausserdem schimmert es in den schönsten Farben, was vom hellgrauen Kieselgur sicher nicht behauptet werden kann.

Unsere Gedanken gelten dem Kieselgur, trotzdem: eine letzlich begrüssenswerte Entwicklung im Kampf gegen die Verschwendung menschlichen Erfindergeistes. Wir warten auf den Einsatz von Zip-Discs bei der Kelterung von Wein, von 5,25"-Disketten in Bäckerstuben oder von Lochkarten als Teefilter.


28.03.2007 | 22:20 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Sachen anziehen

Riesentaschen


Aus der Business-Kollektion (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

At your own Request (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gerade erst bemängelten wir, dass die auf dem Markt erhältliche Mode in keinster Weise mit dem erhöhten Gadgetaufkommen des modernen Menschen Schritt hält und einfach nicht genug Transportkapazität bietet. Zwar werden einige Geräte immer kleiner und einige andere verschmelzen auch – wie etwa die Sonnenbrille mit dem Bluetooth Headset. (link) Doch so wie der Vision vom papierlosen Büro zum Trotz der Papierverbrauch stetig ansteigt, so werden die Dinge, die wir zum Leben mit uns herumtragen, in ihrer Summe doch immer mehr und raumintensiver statt umgekehrt. Und auch wenn wir uns wünschen und auch davon überzeugt sind, dass Email, Telephon, Portemonnaie, Internet, MacBook, Zigarettenetui, Autoschlüssel, GPS, Sonnenbrille, Reisepass, iPod, Digitalkamera und Moleskin endlich in einem einzigen Gegenstand Platz finden werden, so sind wir doch realistisch genug zu wissen, dass bis dahin noch manche Cargohose ins Land gehen wird. Abhilfe dafür kommt ausgerechnet aus einer eher traditionellen Ecke, nämlich aus der Schneiderei Henry Needles & Sons in London. Dort wird unter dem Kollektionsname 'Great Pockets' endlich formschöne Kleidung für den modernen Grossstadtbewohner angeboten. Diese ist zwar etwas kostspielig, aber das wird das iPhone schliesslich auch sein. Dank geht auch an die Firma Nokia, die die Kollektion in der leicht durchschaubaren Absicht unterstützt, in möglich vielen Blogs verlinkt zu werden.


09.03.2007 | 02:39 | Sachen kaufen | Sachen anziehen

1:0 für den Lässig-Look mit Stil


(Bild: Ausriss aus dem neuen 'Sieh an!'-Versandkatalog)
Vermutlich war es Max Goldt, der einst mit der Begründung, an den Armen friere er nie, die Existenz von Pullundern rechtfertigte. Es ist eine der schönen Folgen des Kapitalismus, dass er auch für Leute, die an den Armen nie frieren, ein entsprechendes Produkt bereitstellt. Genau aus diesem Grund wollen wir die Existenz der links abgebildeten 'Zehensocken' begrüssen: Zwar ist nicht klar, wie viele Menschen es sein mögen, die ständig zwischen dem zweiten Zehenglied und dem ersten Drittel des vorderen Fussballen etwas frösteln, aber es ist immerhin denkbar, dass es den einen oder anderen mit dieser Friervorliebe gibt, und es ist dem neuen Sieh an! Katalog hoch anzurechnen, auch für diese seltenen Kunden ein gutes Produkt im Angebot zu haben. Wo allerdings Diabetiker, die sich jenseits des Sockenmainstreams bewegen wollen und zwischen den Zehen frieren, kaufen sollen, das ist ungeklärt und möglicherweise einer der letzten weissen Flecken auf der Weltkarte des Kapitalismus.


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