Riesenmaschine

14.10.2007 | 21:12 | Essen und Essenzielles | Gekaufte bezahlte Anzeige

Im Dosenholozän


Ich bin dreitausend Dosen
(Foto: g-hat, Lizenz)
Keine Verpackung wird so häufig zu Unrecht heruntergemacht wie die Konservendose: Hört man irgendwo, die Plastiktüte hätte den Vietnam-Krieg ermöglicht oder die Jutetasche den jugoslawischen Bürgerkrieg? Die Schergen des Antidosen-Mems hingegen schreiben in der Wikipedia, dass die Blechdose den ersten Weltkrieg zuliess und ansonsten für Bleivergiftungen sorgte, bis sie 1950 selbst ausstarb. Dabei wurde die Mutter der Dosengerichte, Ravioli in Tomatensauce, erst 1956 auf den Markt gebracht und brachte eine Blüte der modernen Dose.

Nun würde manch infame Lobby oder Interessenvertretung diesen Umstand klammheimlich aus der Wikipedia beseitigen, den Grund für WKI einfach auf den Anschlag auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand oder das schlechte Wetter abwälzen und hoffen, dass es keiner merkt. Nicht aber die Dosenköche! Wie bereits berichtet, suchen sie stattdessen bessere Möglichkeiten, zum Beispiel helfen sie vier Leuten beim ]grossen Dosentest, sich sechs Wochen lang hauptsächlich aus Dosen zu ernähren. Diesen Leuten kann man hier auch über die Schulter gucken, und es geht ihnen wie erwartet gut. Morgen mittag gibt es übrigens Nudelauflauf mit Erbsen und Möhren und davor eine Pfifferlingssuppe, wie wir aus gut unterrichteter Quelle wissen.

Mal abgesehen vom ewigen Ex-Frischgemüsewegschmeissen: Was wäre das für eine Welt ohne Büchsen? Die bizarre Idee, Linsen oder Bohnen am Tag zuvor einzuweichen, mag einen nur amüsieren, wenn man nicht um Viertel nach elf in der Wohnung ankommt, wo einen die Apathie des Mitbewohners, aber kein herzhaftes Nachtmahl begrüsst. Eingedoste Gerichte halten hingegen für einige kleine Äonen und sicher alle Abende, an denen der liebe Mitbewohner und seine drei Nachbewohner gekocht haben. Trauriger noch war die Welt ohne Dosenöffner, besonders nach Erfindung der Konservendose um 1810. Bis 1858, dem Jahr der Patentierung des Dosenöffners, wurden Dosen mit Hammer/Meissel, Steinen oder Bajonetten ihrer Dichtung beraubt. Man wundert sich im Nachhinein, dass sich der Begriff Dosensteinzeit für diese frustrationsreiche Periode nicht durchgesetzt hat.

Was aber auf der Erde (USA) noch Grosses aus Dosen entstehen kann, sieht man beim CANstruction-Wettbewerb: Dort werden jedes Jahr Skulpturen aus Konservendosen prämiert. Die Gewinner dieses Jahres verbauten 12.528 Dosen zur fleischfressenden Pflanze Audrey II; wahrscheinlich war es gar nicht so einfach, sie zu zählen. Bleibt nur noch eine Frage: Wie bitte baut man aus 3000 Dosen ein Möbius-Band?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Dosen, euch will ich kosen


08.10.2007 | 12:16 | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Mach was aus deinen Knochen

Klar, Existenz ist mit Abstand das Beste, was man erleben kann. Aber es gibt in manchem Leben Punkte, an denen man müde ist, mit Körper und Geist unzufrieden, und sich sein Recht nimmt, mal halblang zu machen. Häufig sind damit Umstände verbunden, die man an sich vermeiden möchte – also Menschen mit gesenktem Kopf, die die eigenen Überbleibsel im Boden versenken, wo man von grauem Gewürm zernagt wird. Ästhetisch ist das so unbefriedigend wie das Leben zuvor, und ansprechende Alternativen sind rar.


Ich habe dir nie einen Osedax-Garten versprochen (Foto: uzvards) (Lizenz)
Seit den Untersuchungen von Whale Fall wissen wir allerdings um die wunderbaren, knochenfressenden, an Blumen gemahnenden Würmer der Gattung Osedax. Um zur Abwechslung mal ein botanisches Alleinstellungsmerkmal auf sich wachsen zu lassen, muss man sich einer tiefen Stelle im Meer versenken, zum Beispiel in der Monterey Bay, wo kürzlich einige neue Arten entdeckt wurden.

Ob Osedax überhaupt auf Menschen- und nicht nur auf Walknochen wachsen, muss allerdings noch jemand herausfinden. Nicht, dass sich hinterher wieder jemand beschwert.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Richtig Walreiten

Roland Krause | Dauerhafter Link


29.09.2007 | 14:31 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Am Ende der CD


Auch als Vogelscheuche zu bemitleiden: Die CD (Foto: zenera) (Lizenz)
CDs, das waren runde, häufig silbrig glänzende Scheiben zur Datenspeicherung aus den 1990er Jahren. In der ursprünglichen Form wurde ihre Kapazität von immerhin 0.0007 TB häufig mit nur 45 Minuten Musik vergeudet, die anfangs nur auf Geräten für sogenannte Stereoanlagen abzuspielen war. Später wurde sie mangels Alternativen von Menschen, die dafür Zeit hatten, zur Datensicherung eingesetzt. Dazu liess man wegen des starren Formats grosse Teile leer oder versuchte mühselig diese oder jene Datei hinzuzustückeln, damit sich das Brennen auch lohnte. Es soll sogar einige Computerspezialisten gegeben haben, die sie als wiederbespielbares Medium verwendeten. Ebenfalls unnütz war der Einsatz der CD als Untersetzer, sie war eindeutig zu gross und meist unangenehm bedruckt.

Da freut man sich, dass am Ende des ihres Technologiezyklus doch noch jemand etwas Interessantes mit ihr anfangen konnte: Spanische Tüftler haben aus einem handelsüblichen CD-Spieler ein Messgerät zur Hochdurchsatzanalyse von Pestiziden mittels Immunoassays gebaut. Wenig überraschend kann es trotz extra Lasern mit spezialisierten Geräten nicht mithalten, ist aber schön billig. Eines schönen Tages verspricht man sich 300.000 Proben auf einer Scheibe unterzubringen und soll damit Heimdiagnose von Krankheiten durchführen können. Den CD-Spieler also noch zweimal umziehen und dann mutig entsorgen ("Werde sowieso nicht krank"). Zum Werfen sind Floppies sowieso besser geeignet.


12.09.2007 | 15:57 | Anderswo | Supertiere

Der letzte Beetle


Ruhm macht einsam, bisweilen tot.
(Foto: chidorian) (Lizenz)
Die Geschichte des hybriden Karten-Arcade-Spiel Mushiking ist schnell erzählt: Die Elfe Popo und der Hirschkäfer Mushiking müssen den Wald vor anderen bösen Schrötern bewahren. Es kommt zum Showdown Käfer gegen Käfer.

Den Namen der Protagonisten nach zu urteilen ist die internationale Vermarktung des Spieles noch nicht angedacht. Dabei sind die weltweiten Auswirkungen schon überall zu spüren: Hirschkäfer und ihre Verwandten sind bei Kindern in Japan mittlererweile begehrte Haustiere geworden; sie werden in Anatolien gesammelt und von deutschen Mittelsmännern nach Japan verschifft, wie uns die Times berichtet. (Glücklicherweise werden die Mittelsmänner aus dem Geschäft gedrängt). Die Sammelwut bekommt den Käfer-Populationen in der Türkei schlecht. Mit imaginären Feen ist in Japan natürlich auch kein Stich zu machen.

Obschon es niemanden überraschen sollte, dass es populären Videospielhelden an den realen Kragen geht: die blauhaarigen Igel, praktisch alle Pokemons und Klempner sind in freier Wildbahn bereits ausgestorben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Die Spiele der Grillen


24.07.2007 | 11:21 | Was fehlt | Fakten und Figuren | Papierrascheln | In eigener Sache

Lexikon des Unwissens


Lexikon des Unwissens, unbekleidet (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zu den ungeklärten Rätseln der Menschheit gehören die Texte, die Herausgeber oder Verleger oder wie auch immer Verantwortliche auf Buchrückseiten und in Einbände drucken lassen. Zu Kriminalromanen werden die gesamten Ermittlungen und ermordeten Hauptpersonen zusammengefasst, Liebesromane werden mit rhetorischen Fragen dekoriert, die jedweden Zweifel ausräumen, welchen der beiden Schönen die Heldin am Ende wählt, und wenn man sonst nicht weiter weiss, druckt man aus dem Zusammenhang gerissene Zitate von Zeitschriften der eigenen Verlagsgruppe drauf. Dabei sollten doch Käufer längst gewohnt sein, die Informationsattrappen systematisch zu ignorieren, die damit von der Buchevolution eigentlich erbarmungslos ausgeräumt werden müssten.

Das Lexikon des Unwissens der Riesenmaschine-Autoren Kathrin Passig und Aleks Scholz, soeben erschienen im Verlag Rowohlt Berlin, untersucht diesen Sachverhalt trotz ebensolcher Begleittexte leider nicht, enthält aber eine erkenntnisreiche Rundschau, was wir beispielsweise doch nicht über Wasser oder die Besiedlung von Amerika wissen. Man wird über dieses oder jenes Ereignis wie das in Tunguska, Schnurren von Katzen oder Leben auf diesem Planeten schon mal gestolpert sein, die Grenzen zwischen gesichertem Wissen und dem hypothesenspeienden, grauen Nichts sind allerdings präzise umrissen, sodass man auf ihnen amüsiert und sicher flanieren kann, ohne in den Sumpf der Ignoranz zu gelangen oder sich zum Mondfahrt-Dissidenten-Affen zu machen.

Die Kakerlakenherrscher, die den Transhumanoiden als intelligente Lebensform nachfolgen, werden sich an einigen der erörterten Fragen immer noch Scharten in die Maxillen beissen. Andere Wissenslücken werden bald aufgefüllt sein; da wir nicht wissen welche, empfiehlt sich die baldige Lektüre, um den Augenblick der Erkenntnis voll auszukosten.

Nachtrag: Eine Liste mit Korrekturen gibt es unter lexikondesunwissens.de


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