Riesenmaschine

12.02.2006 | 12:16 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Kuschelkapitalismus


Vom Klassenkampf zur Kissenschlacht (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Globalisierung, die Beherrschung der Märkte durch internationale Grosskonzerne, die Vermarktung und Vermarkung der Welt und des Lebens – all das steht seit Jahren in gesellschaftlicher Kritik, sei es vor kurzem durch Heuschreckenmetaphern oder 2001 durch Naomi Klein. Mit ihrer Bibel der Globalisierungsgegner, in ATTAC, um ATTAC und um ATTAC herum organisiert, hat sie der Bewegung ein intellektuelles Unterfutter gegeben, das jetzt offenbar zum Einlenken unter den Grossunternehmen geführt hat. Auch wenn sich die Abkehr vom stahlharten neoliberalen Markenkonzern zunächst nur unauffällig bei Peek & Cloppenburg am Tauentzien Ecke Nürnberger Strasse in Berlin im Kellergeschoss vollzieht. Und zwar in Form des abgebildeten supersoften, fickflauschigen Logos von Adidas. Die Botschaft ist klar: Das Logo selbst, die Seele der Marke, der goldene Gral des Branding, verliert die alles Menschliche zerschmetternde Härte und schmiegt sich in Kissenform kunstdaunenbewehrt und von glücklichen, biologisch abbaubaren Kindern genäht im Bett an den Liegebedürftigen. So kuschlig kann Kapitalismus sein!


10.02.2006 | 13:47 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Armbanduhr: Segen oder Segen


- sollte es aber geben: HiPod von Isamu Sanada (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ohne die Zivilisation wäre der Mensch nur ein an ulkigen Stellen behaartes Tier ohne Nagezähne oder praktischen Hartschnabel. Zum Glück aber setzte der Wunsch nach warmen Socken und kaltem Bier den intellektuellen und technischen Schöpfungsprozess in Gang, den wir heute Zivilisation nennen und der es uns nun ermöglicht, auch als Diabetiker süssen Anistee zu trinken oder genau dann wach zu werden, wenn wir es zwar nicht wollen, aber müssen. Die Armbanduhr vereinigt in sich alle, also quasi sämtliche, sprich verhältnismässig viele Errungenschaften der gesellschaftlichen Kultur.

Das fängt mit der Unterscheidung in Damen- und Herrenarmbanduhr an, schlendert an der vernünftigen Akzeptanz des Zeitdiktats vorbei, das man mit einer Armbanduhr für alle sichtbar unterstützt, geht augenzwinkernd an der Tatsache entlang, dass neben "Zeit ist Geld" auch "Zeitmessen kostet Geld" gilt und damit die Grundzüge des Kapitalismus ausreichend beschrieben sind und manifestiert sich schliesslich darin, dass es praktisch kein Armband gibt, dass einen nicht ständig daran erinnert, dass man lebt, weil es drückt und juckt und zwickt. Bis auf die Schweissband-Uhr von Nike, nie wurde ein flexibles Pünktlichkeitsverständnis metaphorischer auf den Punkt gebracht.

Weiters existiert in der Firma Nooka auch ein Monolith in der zeitlosen Uhrenherstellung, was sich zugegeben etwas seltsam anhört, dann aber konsequent auch seltsam heisst: Man führt dort die Modelle ZEN, ZAN, ZOT und ZOO, jeweils in verschiedenen Submodellen und alle sehen aus wie ein Auffahrunfall zwischen einem japanischen Radiowecker von 1957 und der Sonderedition des Spiels Vier gewinnt – "Mengenlehre für Architekten". Nimmt man nun noch neben der Uhr mit der Wählscheibe für die eigene Zeit die blosse Existenz einer Armbanduhr hinzu, in der man seine Sea Monkeys sichtbar mit sich herumtragen kann, dann wird niemand ernsthaft meiner These widersprechen können: Wenn Armbanduhren jemals aussterben sollten, stirbt die Zivilisation an sich. Wer mir nicht glaubt, kann mich gerne mit einer Armbanduhr mit integriertem Lügendetektor prüfen.


08.02.2006 | 12:36 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

Unterschicht von oben

Spätestens seit Yann Arthus-Bertrand ist Hubschrauberfotografie eine eigene ästhetische Fotogattung. Doch während Arthus-Bertrand auf die Veränderung der Welt und ihrer Schönheit fokussiert ist, verfolgen andere einen eher dokumentativen Ansatz, zum Beispiel ein mexikanischer Hubschrauberpilot, der seinen Arbeitsalltag über Mexico City fotografisch festhält. Ein wenig unbedarft und vermutlich unabsichtlich taucht er dabei mitten die Missstände des grössten Stadtmolochs der Welt mit über 20 Millionen Einwohnern, wobei, wie man an manchen Slumfotografien sieht, Einwohner mit wohnen nicht viel zu tun hat. Ein auf dem Dachfirst stehender Selbstmörder ist ebenso auf den Fotos zu sehen wie ein riesiger Pulk von Fake-Taxis, also Taxis ohne Lizenz oder eine gigantische brennende Müllkippe samt Müllfischern.


Architekten-Hospitalismus (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)


Ziemlich viel mit Wohnen zu tun hat diese Fotografie (Link über BLDGblog und Archinect). Es handelt sich um ein riesiges Hausbauprojekt für Finanzschwächlinge und deren Familien. Der Hang des Amerikaners zum Einfamilienhaus ist ebenso berücksichtigt wie der Wunsch zum farbenfrohen Haus mit Vorgärtchen, weil viele Lateinamerikaner durch das ständige Telenovelasehen unfassbar spiessig geworden sind. Bunte Häuser für Arme, es ist ja nicht alles schlecht in diesen Schwellenländern, der 1,8ten bis 2,9ten Welt, wie sich aus meinem Vierzimmerstuckaltbau mit W-LAN und Putzfrau leicht behaupten lässt. Der kleine Preis, den die Bewohner dort bezahlen, ist eben die vollständige Aufgabe der Wohnindividualität und der Verlust eines Gutteils der Kinder im verirrfähigen Alter. Dafür klingeln regelmässig neue Menschen an der Tür, und wer von uns würde nicht sein Rosenholzparkett eintauschen gegen ein regelmässiges Sozialleben.


07.02.2006 | 20:05 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Schöner chatten

Häufig hört man im Bekanntenkreis die Klage "Ich würde gerne videochatten, um nicht dauernd an Chatpartner zu geraten, die hässlich sind wie die Nacht, habe aber das Problem, dass ich selbst hässlich bin wie die Nacht". Die bisherige Methode, Fotos auszutauschen, ist wenig verlässlich, wenn man sich vor Augen führt, wie weit die Kunst des geschickten Retuscheurs geht. Für dieses Problem kann man den entsprechenden Bekannten nun eine Lösung empfehlen: Verschiedene Hersteller bieten Webcams an, die die gefilmte Person automatisch verschönern.

Früher: Ziemlich dunkel. Heute: Viel heller! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Popgadget teilt uns mit, dass die Firma Buffalo eine Kamera mit Minischeinwerfer und automatischem Weissabgleich anbietet – ein guter Anfang, denn wie jeder Filmkenner weiss, sind die Beleuchter nicht nur für die Alkoholversorgung am Set verantwortlich, sondern können mit guter Lichtsetzung auch eine Erdkröte in eine wunderschöne Erdkröte verwandeln. Noch ein bisschen mehr bewirkt die Firma Elecom, die sogar eine Kamera mit Videoretusche in Echtzeit anbietet. Wie auch immer das geschehen mag. Hier bietet sich weiteres, enormes Entwicklungspotential, wir prognostizieren Webcam-Beauty-Skins zum Runterladen, die per Motion Capturing auf das Webcam-Bild gerendert werden. Video-Chatter werden sich also aussuchen können, ob sie heute einfach nur schöner oder eben gleich als Heidi Klum erscheinen wollen. Die Möglichkeiten sind nach oben und unten offen! Leider kann man seinem Bekanntenkreis diese Methode, hässliche Chatpartner zu vermeiden, nur so lange empfehlen, bis jeder so eine Webcam hat. Wenn es soweit ist, wird man sich einen neuen Weg ausdenken müssen, um als hässlicher Mensch den Videochat zu nutzen. Vielleicht ein Rückgriff auf die früher verbreitete Methode "Sack über dem Kopf".


05.02.2006 | 13:37 | Alles wird besser | Was fehlt

Baustoff Luft

Das sogleich folgende Bild zeigt nicht nur den Gewinner der Bronzemedaille des Wettbewerbs "Unbeholfene Anleitungsgrafik 2005", sondern illustriert auch die Erfüllung eines alten Menschheitstraums, nämlich, das Unaufblasbare aufblasbar zu machen. Wir sehen ein Betonhaus zum Aufblasen.

Betonballon (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Das Wort "Haus" in Betonhaus ist eine Idee übertrieben, es handelt sich eher um ein Betonzelt, aber immerhin. Es wiegt unaufgepustet 230 Kilogramm und wird danach mit Wasser und chemisch erzeugter Pusteluft in die Form eines riesigen Dresdner Weihnachtstollens gebracht. Nach zwölf Stunden ist das Betonzelt so hart wie ein Dresdner Weihnachtsstollen nach zwölf Tagen. Dann hält das Zelt bis zum Ende der Welt, oder, um es ungereimt zu sagen, etwa zehn Jahre, dabei ist es erdbebensicher und überhaupt sehr praktisch.
Das Concrete Canvas genannte Ding (Quelle: Technovelgy) ist bisher noch nicht mal ein Prototyp, sondern eine Idee von zwei etwa 14-jährigen Designstudenten in England, die zwar mit Preisen überhäuft werden, aber trotzdem noch immer einen Finanzier für die Massenproduktion suchen.

Warum nur ist die Welt noch nicht reif für viel mehr Aufblasbares, warum ist bei durchsichtigen Sesseln und undurchsichtigen Frauen bisher Schluss? Wieso sind noch keine Fahrräder, Autos, U-Bahnen, Schlösser aus Luft ins Blickfeld der begehrenden Öffentlichkeit gerückt? Weshalb hört man ständig von Abgeblasenem (WM-Gala) und Aufgeblasenem (Karikaturen) und so gut wie nie von Aufblasbarem? Ein Medienboykott?


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