Riesenmaschine

19.11.2005 | 13:50 | Zeichen und Wunder

Die Gallohölle


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Immer wieder Grund zum Grübeln ist der unter Kreativniks häufigverbreitete Drang zur Doppelbegabung. Man kennt sie doch, die malenden Musiker und Sänger, die Schundromane schreiben und auch noch fechten und dicke Flugzeuge steuern müssen. Der Künstler glaubt, mit einer Disziplin sei es nicht getan, seine übersprudelnde Kreativität zu kanalisieren, und die Scharen der ihn umzäunenden Fans, Groupies und andere Speichellecker wagen seine mickrigen Bilder/Bücher/Fotos nicht zu kritisieren, oder noch schlimmer, sie finden das Zeug wirklich auch noch gut. Einer, der es wirklich kann, der WIRKLICH mehr kann als das, wofür man ihn kennt, nämlich als guten, manischen Schauspieler, ist Vincent Gallo, der sich eigentlich ununterbrochen selbst spielt, eine andere Rolle kann er nicht. Nicht nur, dass er eine unfassbar schöne, skizzenhafte Akustikplatte ausgerechnet beim Elektronikavantgardelabel Warp abgeliefert hat, er führt auch Regie, und während sein Debut Buffalo 66 noch ein kleiner konventioneller, tragikomischer Film war, geht sein letzter Brown Bunny radikal in eine vollkommen andere Richtung, nämlich in die, für die auch Andy Warhol seine zähen Filme produziert hat, fetischreiche, erratische Kunstblöcke.
Brown Bunny ist ein schmerzhaft trauriger, unglaublich dunkler, aber auch elendst langweiliger Film über einen verzweifelten Rennmotorradfahrer, Gallo spielt sich selbst natürlich, der seine tote Freundin sucht, gespielt von Chloë Sevigny, der Film kulminiert in einem rohen Blow Job, bei dem beide Akteure nur wispern, flehen, schimpfen und weinen. Niemand mochte den Film, in Cannes wurde er ausgelacht, Gallo hat sich unter Tränen für ihn entschuldigt. Er hätte es nicht tun müssen, weil sein Film den Beweis dafür erbracht hat, dass der normale Kinogeher offenbar doch noch unflexibler, dümmer und muffiger ist, als man bisher angenommen hat, und alles ablehnt, was nicht in ein herkömmliches Erzählschema bzw. seine kleine lineare Welt passt. Und weil Gallo einfach so ein einzigartiger Mensch ist, versteigert er jetzt auch noch sein Sperma im Internet. Bei der Artikelbeschreibung erfährt man, dass er für einen Dreiundvierzigjährigen überraschend wenig graue Haare hat und weiblichen Abkömmlingen von deutschen Soldaten des zweiten Weltkriegs Rabatt gewährt.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


17.11.2005 | 17:04 | Anderswo | Supertiere

Die alte Pflanze


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Man kann nicht gerade behaupten, dass die österreichische Stadt Wien nicht freundlich zu ihren Pflanzen ist. Jetzt in der kalten Jahreszeit z.B. werden die Millionen Blumenzwiebeln in den öffentlichen Rabatten winterfest gemacht und mit einem schön polierten Schild versehen, auf dem der nette Hinweis "Vorsicht, hier schlafen Blumenzwiebeln!" steht.
Nun hat die Stadt anlässlich des 250-jährigen Bestehens ihres Botanischen Gartens vom Staat Australien eine Pflanze geschenkt bekommen, die etwas weniger häufig auftritt als die Blumenzwiebel, nämlich nur ca. vierzig Mal weltweit. Die Rede ist natürlich von der australischen Wollemia, einem der ältesten Gewächse auf Gottes Scholle, das bis zu seiner zufälligen Wiederentdeckung 1994 als ausgestorben galt. Ihr Standort wird geheim gehalten, nur wenige wissen, wo die Wollemia wächst. Ausserhalb dieser geheimen Stelle in Australien gibt es auf der Erde nur fünf Dependancen, eine davon im Disneyland vor den Toren Tokios, allesamt hinter Gittern vegetierend. Und jetzt hat Wien auch eine.
Der Transport hatte nach vorhergehenden, höchst komplexen diplomatischen Vorbereitungen bei den Austrian Airlines die grösste logistische Unruhe nach den Pandabären ausgelöst. Jetzt steht das Bäumchen in einem schnöden Blumentopf auf einer kleinen Insel, beschützt von auch nicht eben jungen Kolleginnen, nämlich den besonders aggressiven Schnappschildkröten, die noch dazu ein stinkendes Sekret absondern. Ein Bullterrier könnte damit zwar auch dienen, böte dann aber doch eher eine ungünstige Optik. Auch wenn er gerade für Wien an Authentizität geradezu ideal für diesen Job wäre, gilt dieses lustige Städtchen ja bekanntermassen als die zugeschissenste Kapitale der Welt.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


13.11.2005 | 13:56 | Anderswo | Supertiere

Fiese Biester


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Wer in Mittelchile, dem so genannten Kleinen Süden, unterwegs ist, wird sich wundern, warum die Hitchhiker dort flach auf der Strasse liegen, und nur ab und zu, wenn sich mal ein Auto nähert, matt den Daumen heben. Sind sie zu faul oder nur so unendlich müde?
Den Grund erfährt man dann nicht sofort, man muss ihn sich ein wenig erarbeiten. Steigt man aus dem Bus in die wunderschöne Landschaft hinein, ist man plötzlich von einer Wolke tief brummender ca vier cm fetter Pferdebremsen umgeben, Tabano genannt, hier für unsere japanischen Freunde als Faltbremse. Man rennt in ein schützendes Haus, denn in das trauen sie sich offenbar unangemeldet nicht.
Es gibt allerlei Tipps, wie man sie sich vom Leib hält, einige sagen, nichts Buntes anziehen, andere wiederum nichts Helles, dritte warnen vor Dunklem. Auch reagieren sie wie die Wespen nicht auf Geruch, sondern nur auf Bewegung. Ganz falsch ist also dem ersten Impuls nachgeben und rennen und wild fuchteln. Einfach wie in Zeitlupe gehen, sich auch mal für ein Viertelstündchen an einen Baum lehnen, oder eben wie die Autostopper auf die Strasse legen, beste Fortbewegungsmethode: sich rollend auf dem Boden bewegen.
Auch sind sie gar nicht so schlimm, wie sie tun. Weil ihnen das blutgerinnende Sekret fehlt, mit dem z.B. unsere Mücken ihren Stich nach der Nahrungsaufnahme ordnungsgemäss verschliessen, der dann den Juckreiz auslöst, lassen ihre chilenischen Kollegen die Wunde einfach offen, aus der dann ein dünnes Blutrinnsal rieselt. Peinigender Juckreiz entfällt also. Und das beste an der ganzen Geschichte ist, dass sie nur exakt einen Monat aktiv sind, sie tauchen wie von Zauberhand jedes Jahr am 19.12. auf, und verschwinden wie sie gekommen sind am 19.1., keine Ahnung, was sie den Rest des Jahres so treiben, bzw. wie sie sich ernähren. Vielleicht stechen sie ja Bäume im Wald, und saugen das Harz der Zimtbäume. Jedenfalls zündet der Chilene dann die Knallbremse.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Politik ohne Ziel

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


10.11.2005 | 11:09 | Fakten und Figuren

Das Schweigen von Yoko Ono wird überbewertet


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Unausrottbar hält sich noch Jahrzehnte nach deren Ende die unappetitliche, allunwissend wolllüstige und xenophobe Folklore, Yoko Ono sei schuld am Ende der Beatles gewesen und sowieso nur eine schrill krähende Schreckschraube, die sich im Schatten der Beatles gesonnt habe. Dabei kann sich jeder Vulgärpsychologe zusammenreimen, dass es nicht die grosse Fluxuskünstlerin gewesen sein konnte, sondern allein die Eifersucht Paul McCartneys, der durch die Präsenz der grandiosen Frau an der Seite des sie zu Recht bewundernden Lennons seine Rolle, äh, davonschwimmen sah. Lustigerweise hat sich kürzlich Yoko Ono bei McCartney dafür entschuldigt, dass sie seine Songs als "seicht" bezeichnete. Er wird halt nicht genau einschätzen können, ob sie es ironisch, "ironisch" oder ironisch meinte, z.B. einen Rassismus verniedlichenden Text wie "Ebony and Ivory" nicht anders als seicht bezeichnen zu können. Denn Paulchen hat die Entschuldigung noch nicht angenommen, es wird ihm ebenso schwer fallen, wie den Strafzettel für Falschparken zu akzeptieren.
So gesehen enthält ihre Entschuldigung eine komplexe Assoziationsbreite, man kann sie natürlich auch als Rätsel belassen, da sie zu viele verschiedene Impulse in sich vereinigt, wie es Joseph Beuys 1968 über das "Schweigen" von Marcel Duchamp gemeint hatte, der gegen die seiner (Duchamps) Sicht nach seichten Fluxus-Künstler wetterte, allerdings für einen Mann seines Kalibers erstaunlich unironisch. Nicht so häufig kam bisher die Frage auf, inwieweit die Beatles von Frau Ono profitiert haben, und letztlich dann auch wieder Paule, denn wer weiss, ob er so geworden wäre, wie er ist? Mit dem Behindertenausweis seiner Frau Falschparkstrafen entgehen? Warum nicht einfach Yoko auch dafür die Schuld geben?
Apropos Krähen: Auf ihrer Platte "Unfinished Music" befindet sich übrigens eine kesse Coverversion von John Cages berühmtem Meilenstein 4'33". Ihre Version nennt sie "Two Minutes Silence". Pop spart Zeit, Mull of Kintyre vernichtet sie.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


03.11.2005 | 16:04 | Alles wird besser | Alles wird schlechter

Das gehört so!


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
"Corbjin arbeitet gerne mit Kontrasten: Schwarz ist richtig Schwarz , Weiss so richtig Weiss. Scharfe Bilder sind recht selten & überhaupt ist die Bildqualität schlecht , alles ist meist grobkörnig. Doch das ist Absicht & jeder , der sich über die schlechte Bildquali beschwert hat Corbjin überhaupt nicht begriffen. Das gehört so ! Das ist Kunst!"
So schreibt ein Amazon-Rezensent über die DVD des Fotografen und Videoclip-Regisseurs Anton Corbijn. Die DVD erscheint in der zweiten Staffel einer bereits eingeführten, erfolgreichen Serie namens The Work of Director.... In der ersten Staffel war die erste Liga dieser Regisseure versammelt, Chris Cunningham (Aphex Twins "Come to Daddy" und "Windowlicker"), Spike Jonze (Der traurige Daft-Punk-Hund mit dem gebrochenen Bein, das Fatboyslim-Tanzvideo "Praise You" in Las Vegas), und der allerkreativste: Michel Gondry mit Meisterwerken u.a. für die White Stripes, Kylie Minogue und Foo Fighters bizarrer Traum "Everlong", und jeder natürlich auch ein paar der prächtigsten aller Björk-Videos.

In der zweiten Staffel ist nun nicht eine zweite Liga versammelt, sondern schauderhafte Konfektionsware aus der untersten Schublade, eben der oben erwähnte Corbijn, der vor etlichen Jahren einmal eine einzige, magere Idee hatte (kein Wunder, der Mann ist Holländer), nämlich Musiker besonders kontrastreich S/W zu fotografieren, und weil Musiker ganz besonders eitel sind, und man von ihnen nicht auch noch erwarten kann, dass sie eine Ahnung von Ästhetik haben, standen alle Musiker bei Corbijn plötzlich Schlange, und weil sie schon mal da waren, liessen sie sich von ihm auch noch gleich ein Video machen. Da halten sie dann immerzu irgendwelche Gegenstände vors Gesicht, fahren mit dem Trabbi durch Berlin und Rapsfelder, oder er steckt Kinder in schwarze und weisse Mönchskutten, auf denen entweder ein Minus- oder Pluszeichen gemalt ist, und jagt sie durch die Dünen. Gnade!
Warum verwechseln so viele Menschen eigentlich Kunst mit Kunsthandwerk? Warum Kreativität mit einer Makrameeeule? Wie die SPD in ihrer Zentrale das schauderhafte Willy-Brandt-Denkmal des schwulen Schmiermalers Rainer Fetting, das Gerhard Richter zu Recht als Zombie bezeichnete. Wie ein zeitgenössischer Zombie aussieht, zeigt (siehe Bild) Chris Cunningham mit seinem neuen lynchesken Video "Rubber Johnny", das er gleich für sich selbst gemacht hat.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


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