Seit ein paar Jahren schon ist praktisch jedes Mittel recht, um die vom Internet- und von Computerspielen abhängige Jugend ins Museum zu prügeln. Im Rahmen der Ausstellung The French Revolution, die noch bis zum 16. März im Hongkonger Historischen Museum läuft, können sich die Museumsbesucher an Durchguckaufstellern wahlweise als Marie Antoinette oder Ludwig der XVI. fotografieren lassen. An zwei Tischen kann man die Napoleonischen Kriege als Brettspiel nachkämpfen, wobei mit grossen Stoffwürfeln gewürfelt wird, und an mehreren Spielkonsolen – sowie hier – darf man als virtueller Revolutionär zur Marseillaise Juwelen zusammenrauben. So weit, so normal wie uninteressant.
Den Höhepunkt der Ausstellung aber bildet eine nachgebaute Guillotine, an der verrohte Internet-Addicts aufgefordert werden: "Try the Guillotine!" Damit der junge Mensch auch zurechtkommt, werden ihm in einem Begleitheft, das sich Educational pamphlet nennt, der Gebrauch und die einzelnen Bauteile der Mordmaschine genau erklärt: "Wooden bed: supporting the criminal in prostrate position to facilitate quick disposal of the body after execution." Zwar hat die Hongkonger Guillotine statt eines scharfen Fallbeils nur eins aus Hartpappe, trotzdem scheint diese Form der Museumspädagogik sehr gut anzukommen: Immerhin steht der digitale Zähler – nicht serienmässig bei den ersten Guillotinen – bereits auf 15.238.
Das ist natürlich ein schöner Erfolg. Fragt sich nur, quo vadis, Museumspädagogik? Eine Ausstellung zu den Atombombenabwürfen auf Nagasaki und Hiroshima? Mit einer Mini-Atombombe im Foyer, die die Aufschrift trägt: "Try the atomic bomb!" Eine Schiessanlage im Bendlerblock mit der Aufforderung:"Versuch den Stauffenberg zu erschiessen!" Eine Flugsimulationscockpit im Nationalen 9/11-Memorial und einem Schild: "Try to hit the towers!" Schon alles in Arbeit? Na, dann.
Schuld sind letztlich Filippo Brunelleschi, Leon Battista Alberti und ihre Kollegen. Erst führten sie die Fluchtpunktperspektive in Malerei und Architektur ein und dann dauerte es nur noch ein paar Minuten Jahrhunderte bis zum wohl grössten Missverständnis der jüngeren Menschheitsgeschichte: 3D-Videospielen.
Nur mühsam kann sich die Welt nun wieder aus der dreidimensionalen Umklammerung befreien. Kleine versprengte Retrogaming-Widerstandszellen sorgten immerhin dafür, dass die Reine Lehre nie in Vergessenheit geriet, und vertrieben sich ansonsten die Zeit auf bizarren Conventions und mit dem VirtualNES. Und ihre Mühen wurden belohnt: Mit dem im Sommer für die Wii veröffentlichten und technisch exakt auf dem Stand der frühen 90er angesiedelten Jump'n'Run Mega Man 9 und weiteren geplanten Neuerscheinungen wie etwa The Great Giana Sisters fürs Nintendo DS.
Aber nicht nur das. Zusätzlich etablierte sich in den vergangenen Jahren eine neue Generation von 2D-Spielen, die mit weitestgehender Reduktion in Form und Inhalt glänzen konnten. Titel wie Loco Roco, World of Goo, Crayon Physics, Sketch Fighter 4000 oder auch Line Rider zeigten, dass nicht in alle Ewigkeit auf die immer gleiche 8-Bit-Pixeloptik referiert werden muss. Und dass es munter so weitergeht, beweisen die Nominierungen bei der Wahl zu den Spielen des Jahres beim diesjährigen Independent Games Festival (23. bis 27. März, San Francisco, via offworld.com): Feist (oben), Night Game und Blueberry Garden (Mitte) gehören zu den Finalisten und erinnern nicht nur optisch an sehr gute, handgezeichnete Magazinillustrationen, sondern hören sich auch so an, quasi.
Auffällig ist dabei die Häufung von schwedischen Entwicklern, auch das nominierte You Have To Burn The Rope – für Anfänger hier ein umfassender Walkthrough – und das ebenfalls vielversprechend aussehende Walkie Tonky (Riesenkampfroboter! – unten) kommen aus dem wurstförmigen Land im Norden. Einem Land, in dem Dimensionen noch höher besteuert sind als Schnaps und sich nur hochdotierte Tapetendesigner drei auf einmal leisten können. Einem schönen Land.
Nichts Menschliches ist wohl so gut erforscht wie das Konsumverhalten, weil es damit schönes Geld zu verdienen gibt. Überraschend unerforscht ist dagegen die Konsumierlust der Toten. Dabei deutet einiges darauf hin, dass auch die Verwesten Markenprodukte bevorzugen. Das ist zum Beispiel in den Gedenktafelhallen buddhistischer Klöster in China zu beobachten. Hier bauen die Nachfahren vor den Tafeln mit den Namen ihrer ihrer verstorbenen Verwandtschaft nicht bloss irgendwelche Lebensmittel auf, sondern – neben unspezifischem Obst – bevorzugt Kekse, Süssigkeiten oder Zigaretten besserer Marken. Die sollen dann die Verstorbenen im Totenreich verzehren oder verpaffen. Weshalb aber die Toten ausgerechnet ein pro-biotisches Getränk wie Yakult zu sich nehmen müssen, entzieht sich dem unmittelbaren Verständnis. Schliesslich könnte ihnen doch angesichts ihres Totseins Gesundheit und Leben völlig schnuppe sein.
Frau und Herr Chen, vor deren Namenstafel im Po Lin Kloster auf der zu Hongkong zählenden Insel Lantau dieses Yakult-Fläschchen steht, schwören trotzdem drauf. Vielleicht wissen sie ja, dass Yakult und andere Joghurt-Getränke gar nicht so pro-biotisch sind, wie man gemeinhin denkt. Vielleicht haben sie ja auch pro-mortale Eigenschaften? Wir haben keine Ahnung. Deshalb: Totenmarktforschung, bitte übernehmen Sie!
Wie viele Lichtjahre man in Ostasien inzwischen Europa und speziell Deutschland in die Zukunft vorausgeeilt ist, zeigt allein ein Spaziergang durch die Hongkonger MTR- alias U-Bahn-Bahnhöfe. In 14 Stationen stehen so genannte iCentres, an denen jeder U-Bahn-Passagier an einem von jeweils drei Rechnern schnell was im Internet nachgucken kann. Natürlich kostet dieser Service keinen Hongkong-Cent. Finanziert werden die iCentres nämlich durch Werbung. So hat momentan das Singapurer Online-Investment-Unternehmen fundsupermart.com die Stationen gemietet. Das heisst selbstverständlich auch, dass jeder Netzausflug auf der Fundsupermart-Seite startet. Man kann sie natürlich wegklicken, oder aber hier zwischen zwei U-Bahnen schnell ein paar Aktien oder Fondsbeteiligungen einkaufen. Am Bestimmungsbahnhof angekommen, stösst man die am besten gleich wieder ab. So hat man zwar gerade in Zeiten wie den jetzigen schnell ein hübsches Sümmchen verloren, dafür aber auch bei der U-Bahnfahrt einen Zusatzthrill gehabt.
Es versteht sich von selbst, dass es auch 2009 solche Internetstationen nicht in Berlin geben wird, genauso wenig wie einen Smart-Card-gesteuerten Zugang zur U- und S-Bahn, so wie ihn die U-Bahnen in Hongkong, Macao, Peking, Shanghai, Shenzhen oder selbst in Guangzhou schon lange haben. Am Anti-Zukunftsstandort Berlin wird man auch weiter brav Münzen in antiquierte Automaten werfen und vom Bahnsteig so lange die Wand anstarren, bis die nächste U-Bahn kommt. Damit bleibt Berlin auch im neuen Jahr technologisch auf dem Stand des frühen 20. Jahrhunderts. Das ist eigentlich auch ganz schön, wenn nicht bloss danach immer Hitler kommen würde.
Café Güte-Filiale, Kornhill PlazaDie Hongkonger Hitlerwiedergutmachungsbäcker von Das Gute müssen vollkommen perplex gewesen sein, als sie bemerkten, dass ausgerechnet ihnen als Vertretern des deutschen Brauch- und Backtums durch den in Asien grassierenden Umlautwahn die Butter vom "Mischbrot" (ein "Das Gute"-Produkt) genommen zu werden drohte. Also haben sie gehandelt und über Nacht gleich zwei Ableger als "Café Güte"-Restaurants in die Shopping Mall-Landschaft der chinesischen Sonderverwaltungsregion gepflanzt. Pech allerdings, dass die Zulieferer der hiesigen "Ich fotografiere mein serviertes Essen"-Seite openrice.com sich nicht die Mühe machen, das vertrackte Sonderzeichen im Sonderzeichenvorrat zu suchen. So bleibt dort die Güte bloss das extrem viel weniger hippe Gute. Wir Umlautjäger von der Riesenmaschine aber verfügen auch in China immer noch über Umlaute satt, und können so diese Gelegenheit nützen, allen unseren Lesern – auch und speziell den Asiaten unter ihnen – für das neue Jahr im hübschesten Umlautdeutsch alles Schöne zu wünschen, sowie Güte und eine gesunde Blässe auch. Güten Rötsch!